Kurpfalz Regional Archiv

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* Der Nachtwächter ist nicht nur nachts für die Leute da

27.12.07 (Speyer)

Traditionelle Spendenübergabe der Nachtwächterey / 3.500 Euro für Kindernotarztwagen, Domsingschule und Kirchenbauverein / Gerüchte aus Speyerer Stadtführerkreisen zurückgewiesen
Jahrhundertelang sorgten die Nachtwächter in der Freien Reichsstadt Speyer für Ruhe und Ordnung, ließen die Menschen in der damals bedeutsamen Stadt mit ihren 24 Kirchen, einer über fünf Kilometer langen Stadtmauer und den darin eingelassenen 68 Türmen ruhig schlafen. Vor allem in den kalten Winternächten zog der Nachtwächter in seinem dicken schwarzen Umhang mit hochgeschlagenem Kragen durch die Gassen und über die Plätze zwischen dem schon damals das Stadtbild prägenden Kaiserdom und dem weithin sichtbaren Altpörtel. Bei seinen Rundgängen hatte er seine Augen überall. Der Nachtwächter kannte die Stadt, die Bürger vertrauten ihm.
„Jedes Mal, wenn ich im historischen Gewand des Nachtrats zu Speyer in der Stadt unterwegs bin, komme ich mir vor, als sei ich tatsächlich auf einer Zeitreise“, stellt der regionale Heimatforscher Otmar Geiger fest, der seit inzwischen mehr als fünf Jahren regelmäßig als Nachtwächter links und rechts der alten Marktstraße, der heutigen Maximilianstraße, unterwegs ist.
Das Interesse an dem Historienspiel ist nach wie vor groß, so dass auch im zu Ende gehenden Jahr alle Rundgänge ausgebucht, teilweise sogar so stark frequentiert waren, dass, so Geiger schmunzelnd, „kleine Fronleichnamsprozessionen“ in den Gassen der Altstadt unterwegs waren. Besonders die vorweihnachtlichen Erlebnisrundgänge lockten regelmäßig weit über 100 Erwachsene und Kinder zum Brunnen auf dem Königsplatz, wo seine Rundgänge immer beginnen.
Und da der Nachtwächter von Speyer seit Jahren seine historischen Stadtspaziergänge auch dazu nutzt, um verschiedene Projekte finanziell zu unterstützen, begann der letzte öffentliche Rundgang für das Jahr 2007 am Weihnachtsvorabend mit der schon zur Tradition gewordenen Übergabe der Spenden an die Vertreter verschiedener Institutionen. „Mindestens die Hälfte meiner Einnahmen fließen alljährlich caritativen Förderprojekten zu, die Erlöse der öffentlichen Vollmondrundgänge stets zu 100 Prozent“, betonte Geiger in einer kurzen Ansprache. Eigentlich sei es nicht seine Art, Spenden öffentlich in den Mittelpunkt zu stellen, aber die immer wieder aus Speyerer Stadtführerkreisen gestreuten Gerüchte, „mit den Spenden des Nachtwächters stimmt was nicht“, ließen ihn immer wieder die Spendenübergabe vor großem Publikum wählen. „Es ist schade, dass es immer wieder Neider und Gerüchtestreuer geben muss“, bedauerte Geiger, aber er könne mit Stolz darauf hinweisen, dass er in den letzten fünf Jahren verschiedene Projekte immerhin mit 9850 Euro habe unterstützen dürfen. „Und das soll mir einer der Gerüchteverbreiter erst einmal nachmachen“, so die trotzige Reaktion des Nachtwächters unter dem Beifall der Anwesenden.
Zur Ausschüttung kamen dieses Mal 3500 Euro, der bisher höchste Jahresbetrag, den Otmar Geiger aufteilen konnte. Wie in all den Jahren zuvor ging auch heuer der größte Brocken, nämlich 2200 Euro, an den Förderverein Kindernotarztwagen am Diakonissenkrankenhaus Speyer, vertreten durch Bürgermeister Gerhard Greiner (Neulußheim). Erstmals bedacht wurde der Förder- und Kirchenbauverein Hockenheim, für den Pfarrer Stefan Scholpp und Klaus Heidrich einen Scheck in Höhe von 500 Euro entgegennehmen durften. Und zur Unterstützung der Musik am Kaiserdom hatte Geiger 800 Euro zur Verfügung gestellt. Während Stadtrat Michael Wagner als Vorsitzender des Domchores die Spende von 400 Euro für die Kinder- und Jugendarbeit in der Domsingschule dankbar entgegennahm, war vom Förderverein der Internationalen Musiktage „Dom zu Speyer“ kein Vertreter zur Spendenübergabe gekommen. Das stimme ihn schon traurig, gab der Nachtwächter zu Protokoll, dass eine Einrichtung, die mit jedem Eurocent rechnen müsse, eine Gabe von 400 Euro verschmäht. Ob er nun diesen Betrag auf die anderen Institutionen umlegen oder als „Samen“ für die kommende Spendensaison verwenden wird, ließ Geiger am Abend der Scheckübergabe enttäuscht offen. „Aber sinnvoll verwendet wird der Betrag auf jeden Fall.“
Sprach’s, zog den Hut ob der eisigen Kälte tief ins Gesicht und stapfte mit seinen vielen Zuhörern davon in die Speyerer Vorweihnacht des Jahres 1757.
Das Flackern der Kerzen in den Häusern wurde beim lebendigen Erzählen des Nachtwächters scheinbar ebenso wieder sichtbar, wie die Gerüche nach Labkuchen, Gewürze oder Bienenwachs über dem Weihnachtsmarkt vor dem in der Dunkelheit der Nacht nur schemenhaft zu erkennenden Dom. Hier ließ Geiger dann auch seine großen und kleinen Rundgangsteilnehmer einen Kartoffellabkuchen nach einem Rezept aus dem Jahre 1743 kosten, um so auch geschmacklich in die Geschichte eintauchen zu können. Überhaupt verband der Heimatforscher viele Stationen seines Rundgangs mit zur Jahreszeit passenden Geschichten aus dem alten Speyer, erzählte vom einfachen Leben der Menschen, aber auch von deren Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen. Die Küchen und Stuben im Glanz des „Weihnachtsmaien“ wurden so ebenso erlebbar wie später die dann mit Weihnachtsbäumen und Krippen geschmückten guten Stuben in den Häusern des Bürgertums. Die Zeit verging dann auch wie im Flug. Ein Stück vom traditionellen „Neunerley“, einem Brot aus „viel fruchten“ und den neun geheimnisvollen Weihnachtsgewürzen, rundete zusammen mit einem echten „Gluter“, dem von Gastwirt Walter Deutsch nach einem alten Rezept hergestellten Glühwein des 18. Jahrhunderts, den historisch-vorweihnachtliche Erlebnisrundgang ab. Spätestens bei der Ankunft auf dem Königsplatz war man dann aber wieder zurückgekehrt in das Speyer von heute mit all seinen Lichtern, der Hektik und des Lärms. Während sich alle noch über einen kleinen Lichttopf für die heimische Weihnachtskrippe freuten, verschwand der Nachtwächter bereits wieder mit schlurfenden Schritten in der dunklen Nacht …  (ara)

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