Kurpfalz Regional Archiv

Geschichte(n) und Brauchtum aus der (Kur-)Pfalz

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Die Auflösung der Kurpfalz

18.05.07 (Geschichte allg.)

1803: Angesehener weltlicher Reichsstand von der politischen Landkarte getilgt
Die Ratifikation des Reichsdeputationshauptschlusses tilgte im Frühjahr 1803 das Kurfürstentum Pfalz von der politischen Landkarte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Nachdem der Friede von Lunéville im Februar 1801 den Verlust seines gesamten linksrheinischen Besitzes völkerrechtlich sanktioniert hatte, fielen jetzt die Oberämter Heidelberg, Ladenburg und Bretten, einschließlich der beiden Hauptstädte Heidelberg und Mannheim, an den Markgrafen von Baden; das Oberamt Lindenfels, Otzberg und die pfälzischen Anteile von Umstadt gingen in den Besitz des Landgrafen von Hessen-Darmstadt über; der Fürst von Leiningen-Hardenburg übernahm das Oberamt Mosbach, der Fürst von Nassau-Usingen das Unteramt Kaub. Damit hatten alle Teile des jahrhundertelang angesehensten weltlichen Reichsstandes neue Herren gefunden.

Der Blick auf das Datum der Auflösung scheint die Frage nach den Gründen überflüssig zu machen, denn der Reichsdeputationshauptschluss setzte vielen Territorien ein Ende. Doch der Hinweis auf das Reichsgesetz löst das Problem nicht, sondern erhellt vielmehr dessen Brisanz. Es erübrigt sich fast darauf hinzuweisen, dass die Kurpfalz weder zu den geistlichen Reichsständen noch zu den Reichsstädten zählte, deren Säkularisation beziehungsweise Mediatisierung 1803 dazu diente, die Landesherren für ihre linksrheinischen Gebietsverluste rechts des Rheins zu entschädigen.
Im Gegenteil: Die Kurpfalz gehörte zu jenen Territorien, die während der Revolutionskriege linksrheinisch bedeutende Gebietsverluste erlitten hatten und deshalb rechtsrheinisch zu entschädigen waren. Dies aber unterblieb! Zu fragen ist demnach nicht allein, warum die Kurpfalz von der Landkarte verschwand, zu fragen ist vielmehr, warum sie als einziges bedeutendes weltliches Territorium nicht entschädigt, sondern entgegen den Grundsätzen des Reichsdeputationshauptschlusses aufgelöst wurde.
Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der europäischen Mächtekonstellation und der Verhandlungsposition von Kurfürst Max IV. Joseph, die schwächer war, als die Größe seines Territoriums vermuten lässt. Zum einen hatten Ehedramen, Mesalliancen und Kinderlosigkeit das einst weit verzweigte Haus fast aussterben lassen. Hatte die Dynastie seit dem Dreißigjährigen Krieg fast ständig drei Kurhüte – neben dem pfälzischen und bayerischen auch den kölnischen – ihr Eigen genannt, so umfasste sie am Ausgang des 18. Jahrhunderts neben der Familie Max Josephs, des einzigen Nachkommens der pfalz-zweibrückischen Nebenlinie, nur noch die Mitglieder der unbedeutenden Seitenlinie Birkenfeld-Gelnhausen.
Zum anderen hatte der Jubel, der 1799 dem neuen Kurfürsten entgegengebrandet war, nicht darüber hinwegtäuschen können, dass der landflüchtige „Herzog ohne Brücken“ ein Habenichts war, der froh sein durfte, an die Regierung gelangt zu sein. Überdies beruhte Adelsherrschaft in hohem Maße auf verwandtschaftlichen Beziehungen. Diese Basis jedoch fehlte dem neuen Kurfürsten, denn sieht man von der Gelnhausener Verwandtschaft ab, war er der einzige legitime Spross aller im 18. Jahrhundert geschlossenen Ehen des Hauses Wittelsbach. Erst Max Joseph, der mit zwei Ehefrauen dreizehn Kinder zeugte, von denen neun in den europäischen Hochadel einheirateten, legte binnen weniger Jahre die Basis für den Wiederaufstieg seines Hauses zur europäischen Dynastie.
Von welcher Großmacht aber konnte Pfalz-Bayern politische Fürsprache erwarten, wen konnten Max Joseph und sein leitender Minister Montgelas für ihre Interessen gewinnen, als nach dem Friedensschluss von Lunéville die europäischen Diplomaten und die Gesandten der Reichs stände nach Paris eilten, um ihren Herren die Gunst Napoleons zu sichern? Preußen schied aus, solange die Ansbach-Bayreuth-Frage nicht geklärt war; den russischen Zaren hatte Max Joseph durch die Auflösung des Malteser-Ordens bayerischer Zunge verärgert, und die Habsburger hatten ihre Pläne, ihren Besitz auf Kosten Bayerns zu erweitern, keineswegs aufgegeben. Kurzfristig schien allein ein Bündnis mit Frankreich erfolgsversprechend.
Der Vertrag vom 24. August 1801 besiegelte die neue Freundschaft. Max Joseph verzichtete endgültig auf alle linksrheinischen Besitzungen, und der Erste Konsul sicherte ihm umfangreiche Entschädigungen zu: Die Bistümer Würzburg, Bamberg, Freising und Augsburg sowie einen Teil des Bistums Passau, dazu dreizehn reichsunmittelbare Abteien und fünfzehn Reichsstädte. Noch wichtiger als der Landgewinn war, dass die neuen Gebiete das alte Kurfürstentum territorial „arrondierten“. Bayern ging es 1803 wie allen einflussreichen Reichsständen nicht nur darum, territoriale Kompensationen zu erlangen, sondern vor allem seinen Flickenteppich in ein zusammenhängendes Territorium zu verwandeln.
Dies warf unweigerlich die Frage auf, was mit den beiden rheinischen Exklaven, dem Herzogtum Berg und der rechtsrheinischen Restpfalz, geschehen sollte. Und nachdem Bonaparte die pfalzbayerische Delegation vor die Wahl gestellt hatte, entweder auf die rechtsrheinische Pfalz zu verzichten oder auf Gebiete jenseits des Inns, gab es an der Entscheidung Max Josephs kaum Zweifel. Vor Montgelas breitete er seine widerstreitenden Gefühle aus: „Ich käme mir entehrt vor, wenn ich bereitwillig einen Teil meines Erbes herausgäbe, zumal ich schon ungeheuere Verluste erlitten habe. Die Pfalz, so klein sie noch ist, schmerzt mich desgleichen unendlich. Ich bin dort geboren und erzogen.“ Dennoch fuhr er fort: „Trotzdem würde ich sie noch eher opfern als den Inn. Erhalten wir uns wenigstens diesen und arrondieren wir uns, soviel wir nur können […] Aber das Herzogtum Berg müssen wir unbedingt behalten […].“
Die Aufgabe der rechtsrheinischen Pfalz war demnach keineswegs zwangsläufig oder alternativlos, aber einmal vor die Wahl gestellt, war Max Joseph eher bereit, die Pfalz aufzugeben als die Inn-Salzach-Region oder auf den Erwerb von Teilen Schwabens zu verzichten, wie aus anderen Quellen hervorgeht. „Also hätten wir sie [die Pfalz] uns erhalten können!“ kommentierte später Ludwig I. den Vorgang, und viele der Beteiligten bestärkten ihn in seiner Ansicht: Anfänglich habe der bayerische Gesandte in Paris gar den Erwerb der rechtsrheinischen Besitzungen des Bischofs von Speyer und der kurmainzischen Besitzungen an der Bergstraße angestrebt, um die Pfalz zu vergrößern und eine Landverbindung zum Bistum Würzburg anzustreben.
Aber warum verwarf Max Joseph diese Optionen? Die Antwort ist ebenso naheliegend wie profan: Die rechtsrheinische Kurpfalz war im Vergleich zu den Alternativen wirtschaftlich unattraktiv und heillos überschuldet. Der Blick in die Bilanzen machte es zu einem Akt der ökonomischen Vernunft, die Kurpfalz abzustoßen. Demgegenüber hatte Berg immer zu den reichen Provinzen gezählt und die auf dem rechten Innufer gelegenen Gemeinden brachten dank ihrer Salzproduktion und ihres Salzhandels einen Großteil der Steuern des Kurfürstentums Bayern auf. Solche Regionen durfte keine Regierung preisgeben.
Demgegenüber standen in der Kurpfalz am Ende der wittelsbachischen Ära jährlichen Staatseinkünften von rund 565.000 Gulden Ausgaben für Beamte und Pensionäre von 365.000 Gulden gegenüber, d.h. knapp zwei Drittel aller Einnahmen waren allein für Personalausgaben aufzuwenden, weil das kleine Restterritorium für alle aktiven und ehemaligen Staatsdiener der Zentralbehörden aufkommen musste. Hinzu kamen Schulden der Staatskasse in Höhe von rund sieben Millionen Gulden, weil die linksrheinischen Oberämter ab 1794/97 als Steuerzahler ausgefallen waren und Carl Theodor – um Konflikte mit den bayerischen Ständen zu vermeiden – Staatsanleihen vorzugsweise auf das Konto der Kurpfalz hatte zeichnen lassen.
Bei einem Zinssatz von wenigstens 5,5 Prozent waren für die Schulden jährlich mindestens 400.000 Gulden aufzubringen, d.h. Zinsendienst und Personalkosten übertrafen die Staatseinnahmen bereits um mehr als ein Drittel. Rechnet man die Schulden von Städten und Gemeinden hinzu, wird das Ausmaß des finanziellen Desasters erst recht deutlich. Und wovon sollten die durch den Krieg zerstörten Häuser, Straßen oder Brücken bezahlt und neue Investitionen getätigt werden, zumal die rechtsrheinische Exklave kaum wirtschaftliche Perspektiven bot? Als 1802 die erste Rückzahlung von 500.000 Gulden anstand, konnte nur ein neuer Kredit helfen.
Was lag demnach näher, als auf das Ansinnen Badens einzugehen, nachdem Reitzenstein in einer Denkschrift (16./17. März 1802) erwogen hatte, im Rahmen der territorialen Entschädigungen Badens die rechtsrheinische Pfalz ins Auge zu fassen. Die Gründe liegen auf der Hand: Bayern war aus finanziellen Gründen geneigt, sich von der Pfalz zu trennen und aus politischen, sich auf eine Arrondierung der bayerischen Kernlande zu konzentrieren.
Am 26. Juni 1802 teilte Montgelas seinem badischen Kollegen Edelsheim mit, Max Joseph stimme dem Entschädigungsplan zu. In der Pfalz wollte dies niemand glauben, als Anfang Juli erste Abtretungsgerüchte die Runde machten. Ängstlich bat der Stadtrat Mannheims den Kurfürsten um Aufklärung. Doch dessen ausweichende Antwort konnte die Befürchtungen nicht entkräften. Und weil Baden und Bayern ihre Landgewinne in Sicherheit zu bringen trachteten, noch bevor die Reichsdeputation mit ihrem Hauptschluss das Friedens- und Tauschgeschäft vollendet hatte, vollzogen sie den provisorischen Herrschaftswechsel bereits im Herbst 1802.
Am 22. September 1802 ging die Okkupationskommission der Entschädigungslande unter militärischem Schutz nach Mannheim ab. Gleichzeitig wies Max Joseph die Behörden an, die Kommissäre und ihre Begleitung mit gebührender Achtung aufzunehmen. Am 23. November erfolgte in Mannheim die zivile Inbesitznahme, im Juni 1803 huldigten die Neckarpfälzer in tagelangen Feiern erstmals ihrem neuen Kurfürsten, dem bisherigen Markgrafen und baldigen Großherzog von Baden, Carl Friedrich.
Die Neckarpfalz war nun badisch geworden, wer aber kam für die Schulden auf, die zweifellos Schulden der gesamten Kurpfalz waren? Rund 60 Prozent ihres Territoriums gehörten jedoch jetzt zu Frankreich, das nicht gewillt war, Schulden zurückzuzahlen, die man im Krieg gegen das Mutterland der Revolution angehäuft hatte. Für die Schulden ihrer ehemals linksrheinischen Besitzungen sollten die auf dem rechten Rheinufer Entschädigten mit den Einnahmen ihrer neuen Territorien aufkommen. Dies freilich wies die bayerische Regierung im Falle der Kurpfalz entschieden zurück. Sie bestritt, zur Tilgung der Schulden beitragen zu müssen, und begründete dies mit dem Hinweis, dass die Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses auf den Anfall der Pfalz an Baden und die anderen neuen Reichsstände nicht anwendbar seien. Vielmehr hätten diese ihre Neuerwerbungen als Geschenk Bayerns zu betrachten, und infolgedessen mit dem Angenehmen auch das Unangenehme zu verbinden.
Der Konflikt war unvermeidbar. Zwar akzeptierten die Regierungen der Nachfolgeterritorien, dass sie ihren Anteil an den Gesamtschulden, den sie auf zwei Fünftel bezifferten, zu tilgen hatten. Aber alle weiteren Zahlungen lehnten sie voller Entrüstung ab. Da freilich die Mehrzahl der Gläubiger sich an Baden schadlos hielt, blieb der Karlsruher Regierung nichts anderes übrig, als zu zahlen und die strittige Angelegenheit bei der Bundesversammlung in Frankfurt vorzutragen. Diese wiederum verwies die Sache an die Gerichte, die nach jahrelangen Prozessen zu unterschiedlichen Ergebnisse kamen. Nur in einem Falle musste Bayern einen Teilbetrag zahlen. Und zu einem endgültigen Vergleich kam es erst am 4. April 1859. Die bayerische Regierung verpflichtete sich, von 1860 bis 1866 einen Teil ihrer Schulden in jährlichen Raten zu zahlen Damit fand ein für beide Seiten unerquicklicher Streit nach Jahrzehnten ein für Bayern finanziell günstiges Ende und die Auflösung der Kurpfalz konnte endgültig zu den Akten gelegt werden.
Autor: Wilhelm Kreutz

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