Kurpfalz Regional Archiv

Geschichte(n) und Brauchtum aus der (Kur-)Pfalz

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Die Bauersfrau mit den vornehmen Manieren

19.11.89 (Geschichten & Erzählungen, Landschaft & Orte, Personalia)

Sie waren zwar verlobt, aber sie heirateten nie: die hübsche Frankfurter Bankierstochter Anna Elisabeth Schönemann und der angehende Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Als sich 1775 die beiden Familien gegen eine Heirat aussprachen, hatten die beiden Liebenden nicht mehr die Kraft, gegen diese Meinung zu heiraten. Goethe siedelte im November nach Weimar über, auch Lili Schönemanns zweite Verlobung mit dem Straßburger Harry Bernard scheiterte. Erst 1778 heiratete sie mit Bernhard Friedrich von Türckheim, Sohn einer angesehenen elsässischen Patrizierfamilie, einen
ehemaligen Mitarbeiter der Schönemannsschen Bank, der in der Zwischenzeit das väterliche Bankhaus in Straßburg übernommen hatte. Die Ehe mit dem reichen Bankier und beliebten Baron wurde sehr glücklich, eine Tochter und fünf Söhne, von denen einer starb, wurden geboren.
Nach einem Jahrzehnt voller Frieden und wachsendem Wohlstand begann 1789 mit dem Sturm auf die Bastille in Paris die französische Revolution. Baron von Türckheim war in seiner Heimatstadt zu einem angesehenen Bürger geworden. Als 1792 der Bürgermeister von Straßburg, Baron von Dietrich, sein Amt niederlegen mußte, wurde von Türckheim zu seinem
Nachfolger bestellt. Es war eine schwierige Zeit und es gehörte viel Mut und Selbstlosigkeit dazu, dieses Amt mitten in den Stürmen der Revolution auszuüben   und er bekam Schwierigkeiten. Die Straßburger Jakobiner klagten den konservativen Aristokraten beim Nationalkonvent in Paris an. Am 20. Januar 1793 wurde er seines Amtes enthoben und aus Straßburg verbannt. Der Baron und seine Familie zogen sich auf ihr Gut Postdorf bei Finstingen in Lothringen zurück.
Anfang Juli wurde der dortige Bürgermeister schriftlich aufgefordert, Baron von Türckheim festzunehmen und ihn dem Straßburger Revolutionsgericht auszuliefern. Nur durch seine sofortige Flucht entkam der Adelige der Guillotine. Er erreichte das Grenzstädtchen Forbach, wo er sich als Holzfäller verkleidete und mit der Axt auf der Schulter die französischen und preußischen Posten durchschritt.
In Saarbrücken beauftragte er einen alten Invaliden, seine Frau zu informieren. Da die Gefahr bestand, samt den Kindern als Geisel für den geflüchteten Familienvater festgenommen zu werden, entschloß auch sie sich zur Flucht. Völlig mittellos machte sich Lili von Türckheim mit den Kindern und deren Hauslehrer, der Straßburger Diakon Johann Michael Fries, am 8. Juli auf den Weg. Quer durch die Kurpfalz wollte man schnellstens Frankfurt erreichen. Der vierzehnjährige Sohn Friedrich hielt die Reiseroute in einem Brief an seinen Erzieher Redslob fest:
„Sie werden sich wohl wundern, wie es uns möglich war, zu entweichen, aber zuallererst will ich Sie bitten, sich an das Sprichwort ‚Not bricht Eisen‘ zu erinnern, und als dann werde ich Ihnen die Beschreibung unserer Reise machen. Dienstags, des Abends um 6 Uhr verreisten wir von unserem Aufenthaltsorte, ein jeder seinen kleinen Bündel auf dem Rücken,
marschierten die ganze Nacht hindurch und kamen des morgens um 9 Uhr glücklich bei St. Arnual, einem kleinen Dorfe nahe bei Saarbrücken, an. Nachdem wir ein wenig ausgeruht, gegessen und alsdann geschlafen hatten, so machten wir uns wieder auf den Weg, es war vier Uhr, und gingen durch Saarbrücken, St. Johann und die französischen Vorposten durch, ohne daß
nur ein Hahn nach uns krähte, kamen auf einer Glashütte an, wo man uns nur ein wenig Stroh geben konnte, auf dem wir so gut schliefen, als in dem besten Federbette.“
Der Weg durch die französischen Linien indessen war für Lili von Türckheim nicht so ganz einfach. Sie verkleidete sich als Bauersfrau, konnte aber auch als Bäuerin ihre gepflegte Schönheit und ihre vornehmen Manieren nicht vertuschen. Aber sie hatte Glück beim Durchschreiten der Grenzsperren, denn man ließ sie unbehelligt passieren. Im ersten deutschen Dorf kehrte Lili mit ihren Kindern in einem Wirtshaus ein, in dem bereits einige preußische Offiziere saßen. An der Art ihres Auftretens und der Wahl der Worte erkannte man sehr schnell in der Bauersfrau die französische Aristokratin auf der Flucht. Einer der
Offiziere, Rittmeister Graf von Schuleburg, sprach die vornehme Bäuerin an, und Lili gab sich zu erkennen. Zur Überraschung aller stellte sich heraus, daß der Rittmeister die Familie ihres Bruders kannte. Der Offizier unterstützte die Flüchtenden so gut er konnte. Auf einem Wagen ging es bis Ottweiler, von dort weiter nach Kaiserslautern. Am 10. Juli 1794 schreibt Lili aus der Stadt an ihren Bruder Johann Friedrich Schönemann:
„Ich eile, lieber Bruder, Dir meine und der Meinigen glückliche Ankunft in meinem Vaterlande zu melden; was ich dabei empfinde, fürchte, wünsche, läßt sich nicht beschreiben! Bei dem einzigen nur will ich stehenbleiben, daß ich nach einer fünfzehnstündigen Pilgrimschaft, meinen Heinrich auf dem Rücken, Wilhelm an der Hand und die anderen bei mir, glücklich durch alle französischen Vorposten durch und wirklich in Kaiserslautern bin! Eins nur fehlt meiner ganzen Zufriedenheit. Die
Vereinigung mit Türckheim. Daß er glücklich überall durch ist, wo ich hin kam, das weiß ich, aber auch dies nur.
Ich wende mich an Dich, mein Bester, mit der Bitte, ihm sogleich zu melden, daß ich ihm nach, und, sofern ich keine Spur von ihm finde, nach Frankfurt gehe. Ich muß schließen mit der Wiederholung meiner Freude und dem Sehnen nach Euch. Deiner lieben Frau und verehrungswürdigen Schwiegermutter empfehle ich mich und bleibe in baldiger Erwartung Dich zu umarmen, Deine Dich aufrichtig liebende Schwester Lise von Türckheim.“
Die Durchquerung der Kurpfalz ist auch in einem Brief des jungen Friedrichs an seinen Erzieher festgehalten:
„Des anderen Morgens nahmen wir einen geleiterten Wagen, der uns bis nach Ottweiler fuhr, wo wir wieder einen anderen nahmen, der uns nach Kaiserslautern fuhr, wo wir die Post nehmen wollten, aber zum Unglück war gar kein Gefährte da. Endlich erbot sich ein preußischer Postmeister, uns die seinige bis nach Frankenstein zu leihen, wo er sagte, daß wir gewiß deren finden würden; aber als wir dahin kamen, fanden wir keine und sahen uns genötigt, einen geleiterten Wagen, vor den Postpferde gespannt wurden, zu nehmen, auf dem wir ganz ermattet um 10 Uhr des Nachts in Dürkheim ankamen, wo man uns wieder keine Betten, sondern nur ein wenig Heu geben konnte. Des anderen Morgens verreisten wir nach Mannheim, wo wir hofften den Papa anzutreffen, der einige Tage vor uns fortgegangen war; aber als wir dahin kamen, fanden wir ihn nicht
und konnten auch nicht auf die geringste Spur von ihm kommen.“
Türckheim hatte inzwischen bei seinem Schwager Jakob in Heidelberg Zuflucht gefunden. Dort erfuhr er auch von der Ankunft seiner Familie in der ehemaligen kurpfälzischen Residenzstadt. Die wieder vereinigte Familie blieb einige Zeit bei Lilis Bruder in Heidelberg und wartete darauf, von der Familie mit dem Nötigsten versorgt zu werden. Endlich konnten sie nach Frankfurt weiterreisen, wo sie bis Ende August einige sorgenfreie Wochen verbrachten. Schließlich zogen die Türckheims ins fränkische Erlangen um, wo sie ein ganzes Jahr lang bleiben sollten.
Nachdem sich die Verhältnisse in Frankreich wieder beruhigt hatten, zog man im Juli 1795 zurück nach Straßburg, um das Bankhaus wieder zu öffnen. Baron von Türckheim konnte an seine früheren Erfolge anknüpfen. Zehn Jahre lebte Lili noch an der Seite ihres Gatten. Sie starb fast 60jährig am 6. Mai 1817 in Straßburg.

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