Kurpfalz Regional Archiv

Geschichte(n) und Brauchtum aus der (Kur-)Pfalz

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Eine lange Reise in die Ungewissheit

02.01.98 (Brauchtum & Tradition, Kirchen & Klöster)

Über die Wallfahrt zum Apostel Jakobus, oder: Was hat Santiago de Compostela mit Speyer gemeinsam?
„Jakobspilger“ heißt die Figur, die in hü­nenhafter Größe schon von weitem den Pro­spekt von der Maximilianstraße zum Dom be­herrscht. Er ist unterwegs nach Santiago de Compostela, dem Grab des Apostels Jakobus. Dorthin, in eine der wichtigsten Wallfahrts­orte der Römisch-Katholischen Christenheit seit dem Mittelalter, zog es jahrhundertelang die Scharen der Pilger. „Jakobs-“ oder „Ster­nenweg“ hieß die Straße, deren einzelne Ver­ästelungen sich im Nordosten Spaniens tra­fen. Seit dem 10. Jahrhundert war die Wall­fahrt nach Santiago de Compostela im­mer beliebter geworden. Eine wesent­liche Motivation bezog sie aus den Auseinandersetzungen, die die spani­schen Lokalherren gegen die Araber führten, die seit dem 8. Jahrhundert den größten Teil der iberischen Halb­insel beherrschten. Wer gegen diese „Ungläubigen“ kämpfte, konnte sich Verdienste für sein Seelenheil erwer­ben. Später trat an die Stelle des wirk­lichen Kampfes die Wallfahrt. Außer in Rom gab es sonst nirgendwo im abendländischen Kulturkreis ein Apo­stelgrab, und Jerusalem blieb für die meisten unerreichbar. So erklärt sich die große Beliebtheit des Ortes bei den Pilgern.

Die Legende berichtet, dass der Apo­stel nach seinem Märtyrium in Palästi­na von seinen Jüngern an der Nord­westküste Spaniens bestattet wurde. Sein Grab geriet bald in Vergessenheit, zumal sich die Mauren in Spanien eta­bliert hatten. Es war der Einsiedler Pelagius, dem 813 ein Engel erschienen sein soll und die Stelle zeigte, wo sich das Grab befand. Der Weg dorthin ist aus den vielen erhaltenen zeitgenössi­schen Berichten leicht zu rekonstruie­ren, die so genannten „Pilgerführer“ beschrieben den Weg ähnlich unserer Straßenkarten anhand der Stationen, die man berührte.
Es war sicher ein Zufall, dass die Auf­findung des Grabes in die Zeit fiel, wo man der Hilfe gegen die so genannten Ungläubigen dringend bedurfte. Den­noch dauerte es noch einige Jahrzehn­te, bis die Gegend so sicher war, dass sich die Wallfahrt etablieren konnte. Dann setzte sie in immer stärkerem Umfang ein, getragen vor allem von den ärmeren Leuten, die den Apostel als ihren Schutzheiligen verehrten. Sie reisten in Gruppen, wobei sich unter­wegs noch zu vielen Besuchen bei den zahlreichen anderen Wallfahrtsorten Gelegenheit bot.
Und so sah die Reise aus: Unser Speyerer Pilger mag sich zu­nächst nach Westen begeben haben: Über die Straße nach Neustadt und Kaiserslautern erreichte er Metz, durchquerte die Champagne und traf dann in Frankreich ein, wo er seinen Weg über Reims, Paris und Or­leans nach Tours fortsetzte. Die Reise führte quer durch Südwestfrankreich, über den Pass von Roncesvalles durch die Pyrenäen nach Spanien.
Oder der Speyerer Jakobspilger erreichte das Nachbarland über die Bur­gundische Pforte westlich von Basel. Dann kam er nach Cluny, das bedeu­tende Kloster in Burgund, streifte Le Puy, reiste durch die Provence, über­querte die Pyrenäen und stieß, bereits im heutigen Spanien, in Puente de la Reina auf den anderen Weg. Von dort aus führte der Pilgerpfad geradewegs nach Westen.
Am Ziel der Reise angekommen, sah er eine Kathedrale, die eines mit dem Speyerer Dom gemeinsam hat: Sie ist ungefähr gleich alt. Der heutige Bau wurde um 1075 begonnen, allerdings hatte die Geistlichkeit Probleme, den Bau zu finanzieren. Es kam sogar zur Verhaftung des Bischofs. Die Kirche war noch unvollendet, als 1105 die Chorkapellen geweiht wurden, ein Jahr, bevor Heinrich IV. starb und in der Afrakapelle neben dem Speyerer Dom beigesetzt wurde. Heute muss man sich allerdings erst von dem Schreck erholen, den die barocke Prachtfassade bewirkt. Diese Fassade hat nichts mit dem Bau zu tun, der da­hinter ist, eine weitere Ähnlichkeit, die die Kathedrale von Santiago mit der von Speyer verbindet.
Ein Vergleich dieser beiden romani­schen Kirchenbauten ist sehr lehr­reich: Speyer, geplant und errichtet als Grabkirche eines Königshauses und als Demonstration kaiserlicher Macht, hat nicht nur andere Dimensionen: Der Dom in Speyer ist rund 50 Meter län­ger als die Kathedrale von Santiago. In Santiago umziehen außerdem Empo­ren das ganze Kirchenschiff. Denn die Kirche musste die Pilgermassen auf­nehmen zu können, die erwartet wur­den. In Speyer gab es keine vergleichbare Wallfahrt, hier ging es um Größe und die Demonstration von weltlicher Macht.
Auch ist der Querschnitt in Santiago ein anderer: Speyer hat als Ba­silika ein Mittelschiff, das eine eigene Fenster besitzt. In Santiago ist das Mit­telschiff unbeleuchtet, dafür taucht die Laterne über der Vierung genau die Stelle in helles Licht, unter der sich das Grab des Apostels Jakobus befindet.
Bei alldem ist zu bedenken, was Rei­sen im Mittelalter bedeutete: Es gab keine Autobahnen, Eisenbahnen oder Flugzeuge, die Straßen waren holprig, und, da ungepflastert, bei Regen oder zur Zeit der Schneeschmelze schlam­mig. Dabei war Reisen auch bei Trockenheit eine sehr holprige Ange­legenheit, ohne Gummireifen und Fe­derung waren die Karren äußerst unbequem. Aber die meisten der Pilger waren zu Fuß unterwegs, nicht des­halb, weil das bequemer war, sondern weil es zusätzliche Buße und Askese bedeutete. Und unter den zahlreichen Gründen, die einen Menschen zu einer Pilgerfahrt bewegen konnten, war der einer von der Kirche auferlegten Buße nicht selten. Allein das zeigt schon, dass sich die Menschen damals der Strapazen bewusst waren, die eine sol­che Reise mit sich brachte.
Zu diesen Mängeln kamen Räuber und die Gefahr, in der Fremde keinen Schutz zu finden, keine Nahrung und keine Unterkunft. Klöster waren frü­her die einzigen Herbergen, denen sich ein Reisender ohne Angst anver­trauen konnte. Und so war es auch auf dem Weg nach Santiago: Es kam zu zahlreichen Klostergründungen, die sich der Reisenden annahmen. Und die Klöster lebten auch von der Dank­barkeit der Pilger: Diese unternahmen diese Reisen oft auch deshalb, weil sie sich davon die Linderung eines Lei­dens erhofften. bei einem Erfolg spen­deten sie in der Regel dann auch reich­lich.
Davon profitierten die Klöster. Erst allmählich entstanden die Hospitäler Sie waren ursprünglich Pilgerherber­gen, und damit diese nicht lange su­chen mussten, befanden sich diese Häuser oft direkt neben einem der Stadttore. Erst später wurden mit Hos­pitälern die Häuser für Kranke und Sterbende bezeichnet. Ein sicheres Indiz für ein Hospital ist der Heilige, dem die Kapellen ge­weiht waren, mit denen sie immer ver­sehen waren: Die Heiligen Drei Köni­ge galten als Schutzheilige der Pilger und der Reisenden, bei Hospitälern zur Krankenpflege wurde meistens der Heilige Geist gewählt.
Bei diesen schwierigen Verhältnis­sen in diesen unsicheren Zeiten war es kein Wunder, dass Pilgerreisen Mona­te in Anspruch nahmen, Reisen in das Heilige Land, die Krone, die alle erstrebten, konnten sogar Jahre dauern.
Dennoch nahmen viele Menschen des Mittelalters die Strapazen einer Pilger­fahrt auf sich. Sie trieb nicht nur die Frömmigkeit, sondern sicher auch die Neugier, waren diese Reisen doch für die meisten die einzige Gelegenheit ih­res Lebens, einmal die angestammte Scholle verlassen zu können, auch ein­mal etwas anderes zu Gesicht zu be­kommen als den eigenen Kirchturm. Wenn man aber von den wenigen ab­sieht, die zur Führungsschicht gehör­ten und reisen „mussten“, wie etwa die Könige, gehörten weite Reisen für die meisten Menschen des Mittelalters selbst als Pilgerfahrten zu den Erfah­rungen, die sie nie machen konnten. Biographien wie die des dichtenden Ritters Oswald von Wolkenstein, der um 1400 aus Abenteuerlust und später im Auftrag des Königs den ganzen Mit­telmeerraum, Westeuropa und den Vorderen Orient bereist hat und dabei bis nach Persien gekommen sein soll, waren die Ausnahme.
So erinnert der „Jakobspilger“ mit sei­nem dicken Mantel, dem Stock und dem gebeugten Gang, dem ange­strengten, aber erwartungsvollen Ge­sichtsausdruck daran, welche Strapa­zen die Menschen bereit waren, auf sich zu nehmen, um ein Stück Gewiss­heit zu haben, den Lohn für ihre Mü­hen im Jenseits zu erhalten. Gerade, wenn es ums Reisen geht, erinnert sie daran, wie weit wir uns inzwischen von dien Zeiten entfernt haben, in der die Menschen, für die sie steht, ein all­täglicher Anblick waren. (jfe)
Quelle: Rheinpfalz, 02.01.1998

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