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Erschütternden Begegnung mit einer ganz besonderen Musik

04.09.05 (Speyer)

„Schubertiade“ erster Höhepunkt der 25. Internationalen Musiktage „Dom zu Speyer“ / Begeisterte Zuhörer in der barocken Dreifaltigkeitskirche
Einen an Emotionen reichen Konzertabend erlebten die Zuhörer am Freitagabend in der bis auf den letzten Platz besetzten barocken Dreifaltigkeitskirche. Quasi im Schatten des wuchtigen romanischen Kaiserdoms gelegen, hatte Domkapellmeister Professor Leo Krämer als künstlerischer Leiter der 25. Internationalen Musiktage „Dom zu Speyer“ die Begegnung mit der Musik von Franz Schubert in diesen Kirchenbau gelegt. Eine Entscheidung, die der möglichst historisch genauen Interpretation zweier der ungewöhnlichsten Kompositionen der Musikliteratur sehr entgegen kam. Wer gekommen war, den fröhlichen, ja ausgelassenen Franz Schubert zu hören, wurde an diesem Abend bitter enttäuscht. Keine Märsche oder Volkstänze, keine Lieder oder Romanzen. Die Zuhörer mussten sich vielmehr mit einer Musik auseinandersetzen, die ins Mark ging und ob ihrer wechselnden Gefühle wohl niemanden unberührt ließ.
Die Speyerer „Schubertiade“ bot die seltene Gelegenheit, das bewusste Sterben eines der genialsten Musiker „mitzuerleben“.
Mit der Sinfonie Nr. 7 h-moll stand zunächst die „Unvollendete“ auf dem Programm. Trotz ihrer ungewöhnlichen und eher unüblichen „schwarzen Tonart“ war es ein Genuss, dem Spiel des Kammerorchesters der weltberühmten St. Petersburger Philharmoniker zu folgen. Bereits nach wenigen Tönen wurde deutlich, dass sich hier die besten Musiker des Orchesters mit hoher Leistungsbereitschaft fern jeder Routine hingebungsvoll ihrer Kunst widmeten. Bewundernswert hatte man sich nach nur einer Probe unter der Leitung von Leo Krämer in die Gestaltung der verschiedenen Klangwelten eingelebt. Und dies bei besten Orchestertugenden wie klangliche Geschlossenheit bei lebendiger Korrespondenz der der Instrumentengruppen, sorgsam ausgefeilte Dynamik und virtuose Beherrschung der schwierigen Partituren. Die Aufführung von Schuberts zweisätziger Sinfonie gab in der Verbindung von bildhaften melodischen Linien und dem Auskosten harmonischer Schönheiten dem Weg von der Klassik in die Romantik überzeugende Gestalt. Das Orchester verstand es glänzend, die häufig wechselnden, zum Teil extremen emotionalen Situationen in einem schillernden Klangmosaik umzusetzen.
Die folgende Es-Dur Messe, die Franz Schubert in seinem Todesjahr 1828 schrieb, gilt in ihrem eindringlich emotionalen, teils sogar liedhaften Gestus als Ausnahmewerk romantischer Kirchenmusik. Ihre unkonventionelle Anlage und etliche Textauslassungen belegen, dass Schubert ein sehr persönliches Bekenntnis, scheinbar sein eigenes Requiem schaffen wollte. Genau um diesen individuellen Charakter ging es auch Leo Krämer, der die Messe mit ihrer in der Musikgeschichte einzigartigen Radikalität zwischen Harmonie und Dynamik möglichst nahe am kompositorischen Original aufführen wollte. Mit dem Domchor Speyer, dem Chor der Saarländischen Bachgesellschaft und dem Philharmonischer Chor an der Saar standen dem Domkapellmeister seine mit ihm vertrauten Sängerinnen und Sänger zur Verfügung. Aber mit dem Chor des Staatlichen Konservatoriums Kazan erlebte der an sich schon hochklassige Festivalchor eine deutlich hörbare Qualitätsverbesserung vor allem in den hohen Stimmlagen. Die 49 meist jugendlichen Sängerinnen und Sänger aus der russischen Tatarenrepublik hatten eigens eine dreitägige Busreise auf sich genommen, um sich mit einer schier unglaublichen Stimmenreinheit nach nur einer gemeinsamen Probe auf höchstem Niveau in die Speyerer „Schubertiade“ mit einzubringen.
Die Musik wurde keinen Takt lang in eine dämmrige Sakralaura gehüllt, sondern emotionsgeladen und mit spürbarer Begeisterung dargeboten. Der gewaltige Chor glänzte mit präziser Artikulation und beachtlichem Ausdruckswillen, konnte den Schmerz des „Crucifixus“ im Credo ebenso intensiv ermitteln wie das sphärisch sanfte Zurücksinken beim „Adoramus te“ im Gloria. Die dynamischen Kontraste im Sanctus kamen immer effektvoll, jedoch nie scharf oder überzeichnet – diese Sänger verwechselten an diesem Abend unter Krämers Dirigat glücklicherweise Ausdruck nicht mit Lautstärke.
Das Kammerorchester der St. Petersburger Philharmoniker sekundierte – wie nicht anders zu erwarten – stets verlässlich, vor allem die Posaunengruppe gefiel mit noblem, kraftvollem Klang. Leo Krämer betonte trotz des immer wieder die Stimmung aufrüttelnden Wechselspiels zwischen dynamischen Ausbrüchen und harmonischen Erlösungsmomenten den letztendlich intimen Werkcharakter. Damit entführte er die Zuhörer in eine unsichtbare Welt und gab den Schubert’schen Blick ins Jenseits frei.
Als Solisten waren Judith Janzen (Sopran), Susanne Schaeffer (Alt), Andreas Wagner (Tenor I), Michael Wagner (Tenor II) und Vinzenz Haab (Bass) zu hören. Die Sänger konnten musikalisch und stimmlich zwar überzeugen, fühlten sich aber wohl durch Schuberts stiefmütterliche Behandlung nur zu routiniertem Engagement herausgefordert.
Der Chor füllte seine Hauptrolle bis zum ergreifenden Ausklang des „Donna nobis pacem“ im Agnus Dei gleich intensiv aus und wurde nach dem Verklingen des Schlussakkords zusammen mit Orchester, Solisten und Dirigent von dem begeisterten Publikum lang anhaltend gefeiert. Letztendlich auch ein Befreien von inneren Spannungen nach einer erschütternden Begegnung mit einer ganz besonderen Musik: Aufrüttelnd und aufwühlend, dennoch nachdenklich, friedvoll, zärtlich und erhaben – und je nach Stimmung des Zuhörers immer wieder anders und immer neu. Die 25. Internationalen Musiktage „Dom zu Speyer“ erlebten mit einer „Schubertiade“ der besonderen Art einen ersten Höhepunkt.

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