Kurpfalz Regional Archiv

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Lebendige Zeitreise in das Mittelalter

27.11.05 (Speyer)

Weihnachtsführung durch die ehemalige Reichsstadt / Weitere Führungen bis Weihnachten und vor Silvester
Ein Besuch in Speyer ist für viele Reisegruppen und Tagestouristen oft mit einer Stadtführung verbunden, die in knapp zwei Stunden zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten der ehemaligen freien Reichsstadt führen. Wer aber dabei das Leben in einer mittelalterlichen Stadt kennenlernen möchte, wird vom Gefühl der Zeit in diesen Rundgängen nur wenig erfahren oder nur andeutungsweise mitbekommen. Um diese Lücke zu schließen, werden von der Tourist-Information seit einiger Zeit Sonderführungen angeboten.  Passend zur jeweiligen Zeit führen kostümierte Frauen und Männer durch die Stadt, um Speyer einmal aus einer ganz anderen Perspektive kennen zu lernen.So auch am vergangenen Freitagabend, als zum ersten Mal eine historische Weihnachtsführung angeboten wurde. Trotz der eisigen Kälte, die vor allem auf der Domplatte die Lebensverhältnisse der Menschen vor über 500 Jahren erahnen ließ, waren zahlreiche Speyerer und auswärtige Gäste gekommen, um beim Schein der Laterne durch romantisch verwinkelte Gässchen geleitet zu werden. Mit der nötigen Fantasie wurde man so zum Zeitreisenden und unversehens in das Jahr 1462 versetzt – und dies nur wenige hundert Meter entfernt vom bunten Treiben des Weihnachtsmarktes des Jahres 2005. Mit Agnesia, der Magd eines Ratsherrn, der Webersfrau Margarethe und Hildegard, der Frau des Braumeisters, hatten die Spaziergänger durch die Geschichte die richtigen Begleiterinnen an ihrer Seite. Unter dem Motto „Anno Domini“ führten die drei Weibsleut so lebendig durch die abendliche Stadt, dass Autos plötzlich zu Fuhrwerken oder der imaginäre Dreck und Unrat auf den Straßen spürbar wurde. Die an der regionalen Heimatgeschichte interessierten Besucher lauschten fasziniert den Schilderungen des damaligen Lebens in der bedeutenden Reichsstadt, das geprägt war von den steten Spannungen und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Bischof Johannes und dem Kurfürst Friedrich von der Pfalz.
Während der Führung wurde nicht nur an die damaligen neun Kirchen und zwölf Klöster in der 5 000 Einwohner-Stadt erinnert, sondern auch an die Probleme der Menschen von damals. Passend zur Vorweihnachtszeit wurde erzählt von der wundersamen Wirkung der Kerze, heilkräftigen Lebkuchen und Verboten gegen schmückendes Tannengrün. Über die Ursprünge der heute bekannten Adventsbräuche wurde ebenso berichtet wie über das karge Leben in der Fastenzeit vor Weihnachten.
Dank der glänzenden schauspielerischen Leistung von Yvonne Schwegler aus Hockenheim war es für die Teilnehmer des Stadtrundgangs ein ausgesprochenes Vergnügen, den Welt- und Glaubensansichten einer jungen, noch immer den richtigen Mann suchenden Magd aus einfachen Verhältnissen zu folgen. Die Bürgersfrauen wurden ebenso beeindruckend dargestellt von July Sjöberg aus Heidelberg und Cornelia Benz (Speyer).
Am Dom mit seiner interessanten Zahlensymbolik waren gleich zu Beginn des Rundgangs die ehemalige Palastanlage scheinbar ebenso deutlich zu sehen wie der Kreuzgang oder die verschiedenen angebauten Kapellen. Die Inforamtionen über das Steinmetzhandwerk waren für viele neu, gleich wie die Schilderungen vom täglichen Leben zur Zeit des ausgehenden Mittelalters. Vorbei am Heidentürmchen, einem der ehemals 68 Türme der von einer hohen Mauer umgebenen Stadt, ging es hinunter zum Holz- und Fischmarkt. Dabei regten sich die drei Frauen immer wieder über den Rat der Stadt auf, der erst vor Tagen beschlossen hatte, für die Bewachung der Stadt nicht mehr teuer bezahlte Söldner einzusetzen sondern die Aufgaben den einzelnen Zünfte zu übertragen.
An der Ruine des ehemaligen Gerichts- und Zeughauses sowie der späteren Ratsschule aus dem Jahr 1240 traf die Gruppe auch noch auf den Benediktinermönch Remigius (Dieter Kleiner), der auch sofort das Gewissen jedes einzelnen erforschte, ob auch die Fastengebote eingehalten würden.
Die spannenden Augenzeugenberichte von Bürgerinnen, Mönch und Ratsmagd boten ein lebendiges Bild vom mittelalterlichen Leben in Speyer und ließen diese Zeit wieder lebendig werden. Und als man schon meinte, wieder im Heute angekommen zu sein, wurde der eine oder andere auch noch vom patrollierenden Nachtwächter (Otmar A. Geiger) aufgegriffen, der so manchem später Zecher mit seiner Hellebarde „an der Kandarre“ nahm und ihm mit der großen Laterne „heimleuchtete“.
Die Weihnachtsführung „Anno Domini“ wird noch an allen Freitagen im Advent, jeweils 19 Uhr, angeboten. Informationen zu den verschiedenen Stadtführungsangeboten gibt es bei der Tourist-Information Speyer, Telefon 06232/142392, oder im Internet unter www.speyer.de (Rubrik „Licht und Eis“).
Eine spezielle Nachtwächterführung mit Otmar Geiger wird in diesem Jahr zudem noch am 30. Dezember, 18.30 Uhr, angeboten (alle anderen Termine sind bereits ausgebucht). Anmeldungen dafür sind noch unter Telefon 0171/3131092 möglich.

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