Kurpfalz Regional Archiv

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Mit viel Puder und Pomade

05.02.96 (Burgen & Schlösser)

Bei einem Besuch der kurpfälzischen Sommerresidenz wird man ganz
am Ende des Appartements der Kurfürstin mit einem  im wahrsten
Sinne des Wortes  haarigen Thema konfrontiert: der Puderkammer.
In diesem kleinen Zimmer im südlichen Turm des Schlosses ließ
sich die allergnädigste Landesmutter die Frisur von ihrem
Coiffeur nach dem neuesten Stand der im 18. Jahrhundert ständig
wechselnden Haarmode gestalten und pflegen.

Das Puderzimmer gehört zu den am längsten genutzten Räume im
Schloß und stammt noch von der zuerst hier stehenden Wasserburg
ab. Beim Bau der barocken Schloßanlage wurde ein großer Teil der
herrschaftlichen Burg in den Neubau integriert. Dazu gehörte auch
der frühere Burgfried, wo sich auch die kleine Kammer befand, die
erst in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts umgestaltet wurde.
Damit gehört die Puderkammer wohl zu den ältesten Räumen im
Schwetzinger Schloß.

Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hatte es noch ausgereicht,
die schlichten Locken der kurfürstlichen Haarpracht in den
Ankleideräumen entsprechend zu bestäuben. Damit erhielten sie
jene zeitlose Blässe, die damals „en vogue“ war. Doch die neue
Mode ließ Haartürme auf den adeligen Köpfen des Landes entstehen,
die nicht selten 80 Zentimeter und mehr erreichten. Man mußte
sich also neue Tricks und Kniffe in der täglichen Toilette
einfallen lassen, um eine gleichmäßige Farbwirkung zu erreichen.

Kurfürstin Elisabeth Augusta nahm in dem neu gestalteten
Zimmerchen, dessen Decke künstlich abgesenkt worden war, unter
einem großen Leinenmantel vor dem Spiegel Platz. Eine Seidenmaske
mit Glaseinsätzen für die Augen hielt sie sich vor das Gesicht.
Dann ging eine Bedienstete mit einem großen Blasebalg daran, den
Puder gegen die Decke des Raumes zu blasen. Der feine Staub
schwebte wieder sanft herab und färbte die Locken einheitlich
weiß und duftig. Doch schon vor dieser letzten Puderschicht war
das Haar abwechselnd mit Unmengen von Pomade und Puder gestaltet
worden.

Der helle Staub, mit dem jung und alt die Haare einzufärben
pflegten, hielt die Locken zugleich rein und locker. Außerdem
verhinderte er, daß die Haare durch die benutzte Pomade
zusammenklebten und somit ihre Zartheit von Wolkentürmen
verloren.

Einfacher Puder war aus Weizenmehl, feinere aus Bohnen oder
Stärkemehl bereitet. Gedörrtes Eichenmoos gab dem Puder, je nach
modischem Geschmack, eine graue Tönung. Mit entsprechenden
Extrakten aus Rosenwasser, Nelken oder Lavendel versehen,
verströmten die Frisuren zudem angenehme Düfte.

Diese Verschwendung von feinstem Weizenmehl rief bald Kritiker
auf den Plan, die an dem modischen „Firlefanz“ kein gutes Haar
ließen. Immerhin verstäubte allein ein Soldat der Kurfürstlichen
Garde Mitte des 18. Jahrhunderts wöchentlich 500 Gramm Mehl.
Schon zu Beginn des Jahrhunderts war die französische
Gesellschaft wegen dieses hohen Verbrauches an Mehl gerade noch
an Unruhen in der Bevölkerung vorbeigekommen. Da das Mehl für das
dringend benötige Brot gebraucht wurde, und mit der Zeit der
Weizenpreis ständig stieg, wurde um 1740 das Pudern der Frisuren
wegen Mehlknappheit zeitweise verboten.
Der Adel hielt aber an der alten Haarzier fest und weicht zur
Färbung des Schopfes sogar auf Gips aus. Besonders bei Regen
sollen dabei die „unmöglichsten Creationen“ entstanden sein …

Doch nicht jedem war es vergönnt, sein Haar zu pudern. Die
Gesellschaft in der Kurpfalz teilte sich in die Stände der
Gemeinen und derer, die gepuderte Frisuren zur Schau tragen
konnten. Ein Blick in die wechselvolle Geschichte zeigt, daß die
Ausformung der Haartracht auch viel über den Stand und den Beruf
des Menschen aussagte. Nur die höchsten Würdenträger zeigten sich
im Zeitalter der Aufklärung noch mit dem altmodischen, höfischen
Luxus der üppig gelockten Perücken. So ließ sich die
gesellschaftliche Stellung eines Mannes in jener Zeit am Schnitt
seiner Perücke ablesen. Je höher seine Position war, desto
wuchtiger, aber auch konservativer war der Schnitt seiner
Haarpracht.

Um 1730 trugen die Frauen auch in Mannheim und Heidelberg ihr
Haar eher kurz, zu kleinen Locken gelegt. Die schlichte
Gestaltung, wie man sie auf den Porträts der Hofdamen im Schloß
wiederfindet, sollte als zarte Schöpfung des aufkommenden
„Goldenen Zeitalters“ die Gesichtszüge lediglich untermalen und
das aparte Minenspiel der Damen sanft zur Geltung bringen. Bei
festlichen Anlässen wie dem Neujahrsball schmückte man sich am
kurfürstlichen Hof noch zusätzlich mitlangen Locken, die in den
Nacken fielen, und steckte sich kleine, verzierte Nadeln ins
Haar.

Nach einem kurzen modischen Ausrutscher in der Jahrhundertmitte,
bei dem man sich als Dame die Haare im Nacken zu Zöpfen flocht
und hochsteckte, wurden die Frisuren durch den Einfluß von Madame
Pompadour wieder betont schlicht und luftig, als wollten sie
einen schwungvollen Anlauf nehmen für ihre künftigen Kapriolen.
Ab 1766 schossen die „Coiffuren extraordinaire“ sprichwörtlich in
die Höhe. Marie Antoinette ist zwar nicht die Erfinderin der
Hochfrisur, wohl aber eine engagierte Wegbereiterin, die den
„wandelnden Meterfünfzig“ auf dem Kopf salonfähig machte.

In ihrer Zeit entstand der mit allerlei Preziosen geschmückte
„pouf au sentiment“. Man schmückte sich mit „fremden Federn“,
ließ Figuren, ja sogar ganze Idyllen en minuature ins wogende
Haarmeer einarbeiten. 1775 hieß es in einem Bericht über eine
höfische Gesellschaft „im Parke zu Schwetzingen“:“Man siehet eine
Dame mit einem Dorfe auf dem Kopf, dort eine mit einem ganzen
Walde, auch welche mit Windmühlen. Daß dergleichen Gebäude sehr
geräumig sind, hat einem Künstler Gelegenheit gegeben, den Werth
einer solchen Zierrath noch durch Mechanik zu erhöhen, er hat
dort, wo es hinpaßt, kleine Orgeln versteckt angebracht“.

Wegen der gewaltigen Haarpracht war das Reisen in der Kutsche
beschwerlich geworden. Die Damen mußten sich in die Karossen
hineinknien oder sogar den Kopf aus dem Fenster halten, um die
Haarpracht nicht zu zerstören. 1776 erhöhte man in London sogar
die Türen der St. Paul’s Cathedral und auch im kurpfälzischen
Hoftheater klagte man über „Sichtverhinderung zur Bühne“.

Auch für den Besuch bei der eher konservativen Großmutter mußte
man sich etwas einfallen lassen. Mit einer Sprungfeder konnte man
für die Dauer des Besuches die Frisur züchtig und damit niedrig
halten. Doch kaum verließ man die Oma, betätigte man einen
Schalter und der „pouf à la bonne maman“ schnellte wieder in die
gewünschte Höhe.

Wie aber entstand nun diese meisterliche Haarkunst? Zunächst
besorgte sich die Dame von Welt ein passendes, elastisches
Unterkissen, das man „toque“ nannte. Es bestand aus Wolle, Werg
und Draht, über das eigenes oder Pferdehaar gezogen wurde. Dann
spannte man das gründlich ausgekämmte, mit Pomade und Puder
versteifte Haupthaar über das eiförmige Kissen. Das Seitenhaar
wurde zu großen Locken gedreht. Hatte das eigene Haar nicht die
erforderliche Länge, wurde es entsprechend ergänzt.

Den Rohstoff für die Perücken lieferten Haarsammler, die von Dorf
zu Dorf in der Kurpfalz zogen und das kostbare Material
aufkauften. Dabei wurde auch vor dem Haar der Toten nicht
zurückgeschreckt. Besonders Frauenhaar galt das Interesse der
Sammler. Es wurde bevorzugt, weil es ein Leben lang unter Hauben
geschützt aufbewahrt wurde. Von Wind und Wetter gegerbtes
Männerhaar war dagegen spröde.

Die Pflege der Frisuren war nicht ganz einfach. Waschen des
Haares war auch im ansonsten so reinlichen Hof der kurpfälzischen
Wittelsbacher nicht üblich. Noch 1789 war Wasser an den meisten
Höfen ein verzichtbares Übel. Der Aufputz blieb oft zwei Wochen
lang unberührt, nicht selten kam zwei Monate lang kein Kamm an
die Haare.

Im Innern des Kopfputzes entstand so bald ein seltsames
Eigenleben. In einer zeitgenössischen Schilderung des höfischen
Lebens ist zu lesen: „Als der Kamm an das natürliche Haar
angesetzt wurde, beobachtete ich Schwärme von Tierchen, die in
alle Richtungen auseinanderliefen, weswegen ich meinen Stuhl ein
wenig vom Tisch abrückte. Andere Zeitgenossen berichten sogar von
Mäusen, die in den hohen Frisuren ihre Nester errichtet hatten
sollen.

Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts hieß es auch bei den
adeligen Damen wieder „Zurück zur Natur“.

Aus: Schwetzinger Zeitung, rs, 5.2.1996

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