Kurpfalz Regional Archiv

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Stift Neuburg – Romantikerklause im Neckartal

14.10.13 (Landschaft & Orte)

Abtei und Kirche „Stift Neuburg“ in Ziegelhausen bei Heidelberg sind seit dem Einzug der Benediktiner-Mönche 1926 wieder das Ziel vieler pfälzischer Katholiken geworden. Einzigartig ist ja die Lage des Stiftes im Neckartal, einzigartig seine Bedeutung für die Dichtung und Kunst der Romantik, unerschöpflich seine neu erschlossenen Quellen des religiösen Lebens, die in Exerzitien, Einkehrtagen Studientagungen und im vollendeten Vollzug des göttlichen Dienstes wieder wirksam wurden.
Aber „Stift Neuburg“ hat schon im 19. Jahrhundert eine ungewöhnliche Anziehungskraft auf die Geister ausgeübt. Karl M. von Weber, der Komponist des „Freischütz“, die Dichter H. Brentano, Luise Hensel, Ludwig Tieck und Justinus Kerner, der geistesgewaltige Joseph von Görres sowie die Maler Overbeck, Christian und Philipp Veit und besonders Edward von Steinle kehrten hier ein. Die Gäste waren z. T. Konvertiten, wie der Stiftsherr von Neuburg Johann Friedrich Schlosser und seine Gattin Sophie, geb. du Fay, beide aus Frankfurt/M..
Die Schwester des Dichterfürsten Goethe hatte 1773 einen Onkel des späteren Stiftsherrn geheiratet. Goethe kam so in verwandtschaftliche Beziehungen zu der alten Frankfurter Juristenfamilie. Fritz Schlosser war als Vertreter der Freien Reichsstadt Frankfurt/M. 1814 zum Wiener Kongreß entsandt worden. Dort besuchte er – der Protestant – mit Sophie und vielen Diplomaten die Predigten des hl. Clemens M. Hofbauer, des „Apostels von Wien“. Unter seinem Einfluß trat das Ehepaar der katholischen Kirche bei. „1814, Dezember 21., trat ich mit meiner Frau zur Kirche zurück“ – so kennzeichnet Fritz Schlosser diesen Schritt.
1825 kaufte das Ehepaar nach der Sitte der Frankfurter Patrizier einen Sommersitz. Seine Wahl fiel auf das ehemalige Stift, bzw. Kloster Neuburg. Der Besitz wurde mit feinem Kunstverständnis ausgebaut. Der Chor der alten Kirche diente als Hauskapelle. Bis zu seinem Lebensende verlebte Fritz Schlosser die Sommer- und Herbstmonate im lieblichen Neckartal. Nach seinem Tode am 22. Januar 1851 („An diesem Tage starb mein lieber Mann und mit ihm mein Lebensglück“) wählte seine Witwe Stift Neuburg zu ihrem ständigen Aufenthalt. Kinder waren dem Ehepaar versagt geblieben. Eine tiefe Religiosität und lebendiger Glauben ersetzten, was der Himmel ihm an Kinderglück vorenthielt.
Über den Verlauf eines Tages in Stift Neuburg gibt die Enkelin der Frau Geheimrat Willemer, Antonie Kellner folgende Schilderung:
„Frühmorgens 7 Uhr rief das Läuten der Glocke die anwesenden Katholiken in die hl. Messe, die in der kleinen reizvollen Hauskapelle (Chor der gotischen Kirche) gehalten wurde. Hohe Bogenfenster mit prachtvoller Glasmalerei gingen nach dem Parke, und wenn die Zweige der großen, alten Bäume säuselnd durch die geöffneten Fenster hereinwinkten, die gefiederten Bewohner derselben ihren Gesang in die Morgenstille ertönen ließen, störte dies durchaus nicht die Andacht der Versammelten. Nach der Messe wurde zum Frühstück geläutet. Man kam mit möglichst nettem Morgenneglig6 zum gemeinsamen Frühstück in dem einfachen Eßzimmer zusammen. Den Kaffee besorgte Frau Schlosser als Hausfrau selbst und wie trefflich wußte sie ihn zu bereiten! Es war ein Eckzimmer, in dem die Mahlzeiten eingenommen wurden. Zwei Fenster gingen nach dem Hofe. Der Blick weilte gerne auf dem stattlichen Tor mit seinen himmelhohen Pappelbäumen. Durch die offene Glastür, welche von der anderen Seite nach der großen Terrasse zuging, sah man das wunderschöne Neckartal mit seinem grünen, rauschenden Fluß und die lieblichen Ufer, hinter denen sich die hohen bewaldeten, majestätischen Berge erhoben. Unter traulich-heiterem Geplauder dehnte sich die Frühstücksstunde wohl bis 10 Uhr aus … Während Frau Schlosser dann ihren Schlüsselkorb nahm und verschwand, um das Räderwerk des Haushaltes in Bewegung zu setzen – doch geschah dies stets unhörbar – gingen die Gäste ungestört ihrer Wege. Zu Tisch rief die Glocke um 2 Uhr. Man versammelte sich im Wohnzimmer und ging paarweise und in bester Toilette hinunter ins Eßzimmer. Der Kaffee wurde bei schönem Wetter in der Laube auf der Terrasse eingenommen und nachmittags unternahm man gewöhnlich einen Spaziergang in die herrliche Umgebung oder in den Wald. Abends um 7 Uhr rief die Glocke zum Tee ins große Wohnzimmer. Später wurde vorgelesen, oder Kurzweil getrieben, wenn nicht Musik die Unterhaltung bildete. Die ausgebreitete Bekanntschaft Schlossers und ihre große Gastfreundschaft führten beständig neue Elemente ihrem geselligen Kreise zu und so wurde das Stift ein Sammelplatz der bedeutendsten Persönlichkeiten unseres Vaterlandes.“
Dabei konnte es vorkommen, daß bis zu 15 Gäste auf einmal anwesend waren, so daß der Jüngste im Badezimmer logieren mußte!
„Der Gläubigste ist auch der Duldsamste!“ Das entsprach dem Weltbild Goethe’s, mit dem Schlosser als Schwiegerneffe und Freund engstens verbunden blieb – gab es doch auf Neuburg einen eigenen Goethesaal mit vielen Gedenkstücken und war Marianne Willemer, die nächste Freundin der Gattin Schlossers, als „Suleika“ einmal dem Dichterfürsten sehr nahe gestanden.
So waren Gäste jeder Denkweise und Konfession im Stift willkommen. Der bissige Spott Gutzkovvs, Stift Neuburg sei zu einer „ultramontanen Gespensterburg“ geworden, trifft ins Leere. Stift Neuburg war – wie Graf Schack es eingehend beschrieb, „in einen wahren Musenhof verwandelt worden“, zu dem „alle bedeutenderen Menschen der 30er, 40er und 50er Jahre des 19. Jahrhunderts sich hingezogen fühlten.
Daß mancher dort den Weg zur katholischen Kirche gefunden hat, ist überaus natürlich, weil er sich im Gedankenaustausch mit den hervorragendsten Katholiken überzeugen ließ.“ Zu den Besuchern zählten – außer den schon genannten Schriftstellern und Künstlern – die Kardinäle Reisach und Geissel, die Bischöfe Nikolaus Weis von Speyer und sein Freund Bischof Raehs von Straßburg sowie Bischof Freiherr Ketteler von Mainz, von dem Frau Schlosser schrieb: „Er steht in seiner Großartigkeit in dem Kreise vieler edler Menschen, die ich kenne, allein da.“
Im nahen Speyer schrieb um 1835 der Domkapitular Johann B. Geissel sein Werk vom Kaiserdom und redigierte Domkapitular Nikolaus Weis die führende Zeitschrift „Der Katholik“.
Als dritter gesellt sich ihnen der Sänger der „Domlieder“ Wilhelm Molitor zu, der 1848 den Staatsdienst verließ und seit 1851 als Domvikar bzw. Domkapitular der nächste Mitarbeiter des Bischofs Weis wurde. (Molitors Dichtungen und Dramen füllen vier Bände!) Auch nachdem Geissel Erzbischof von Köln geworden war, blieb er Stift Neuburg freundschaftlich verbunden. Bischof Weis und Molitor kamen Jahr für Jahr zum Stifte. Eine Büste Molitors erhielt sogar einen Ehrenplatz in „der Romantikerklause am Neckar“.
Steinle hat in seinem „Landpfarrer, das Viaticum über das Gebirge tragend“, die Gesichtszüge und Gestalt des Bischofs Weis festgehalten. Die Zeichnung ist mehr als nur die Darstellung eines kirchlichen Dienstes. Bischof Nikolaus von Weis war der große Seelsorger unseres Bistums, als dessen „Zweiter Gründer und Wiederhersteller“ er gepriesen wird. Er ging einen steilen und steinigen Weg, aber die Diözese dankt ihm unendlich viel, mag seine Persönlichkeit auch inzwischen kritischer verstanden werden.
Am engsten aber ist der Maler Edward von Steinle, ein geborener Wiener mit Stift Neuburg verbunden, dem Rat Schlosser den Weg nach Frankfurt ebnete, wo der überzeugte Katholik und „Heiligenmaler“ Professor am Städelchen Kunstinstitut wurde. „Ich wünschte“, so schrieb Frau Schlosser in einer der vielen Einladungen, „Sie schöpften in dem ländlichen Frieden der hiesigen Umgebung einige schöne Vorstellungen von dem himmlischen Jerusalem, das Sie auf die Erde zaubern wollen.“ Die Sprechweise ist nicht ungewöhnlich. War es doch, um Fritz Krauß zu zitieren, „jene goldene Zeit, wo man auf einmal anhub, rein aus dem Heiligen Geist heraus Bilder zu malen“. Heute, in der Mitte des 20. Jahrhunderts stehen wir der Kunst der Nazarener und Romantiker kritisch, zum Teil ablehnend gegenüber. Doch scheint sich auch hier ein Umschwung anzubahnen. In den „Blauen Büchern“ würdigt H. Bünemann diese Epoche, besonders den „Vormärz“ neuerdings positiv und weiß auch das Wirken der Nazarener in das rechte Licht zu rücken: „Es ist aus der Begegnung der strengen Zucht ihres Formenideals mit der Wirklichkeit des individuell geprägten Lebens meist etwas sehr Reizvolles entstanden … Am Rande des Sakralen liegt das Genre der das Kirchliche mit dem Weltlichen vermittelnden Erzählungen von frommer Erfindung, der Legenden. Hier gelangen den liebenswürdigen . Österreichern Führich, Steinle, Schwind die lieblichsten Erzählungen … Die Zeit hat die schönsten Kinderbücher hervorgebracht und dazu stimmt es, wenn uns aus den Kinderbildnissen dieser Epoche das Kind wirklich „als Kind“ entgegentritt, aufgefaßt und anerkannt in seiner Welt und in seiner Reinheit, unberührter Spiegel Gottes.“ (Im Vorwort „Von Runge bis Spitzweg“, 1961 Königstein i. T.)
Edward von Steinle besaß acht Töchter. Berühmt wurden vor allem die Bildnisse seiner Töchter Karoline und Josephine. Die Töchter waren in Stift Neuburg zuhaus, das Ehepaar Schlosser besaß ja keine Kinder. Das begann schon mit dem Jahre 1841 und endete erst mit dem Tode der Frau Schlosser 1865. Die älteste, „das magere Mariechen“, die gefeierte Jose phine und Agnes traten in den Orden Sacrö Coeur ein. Benedetta heiratete den aus Erfurt stammenden Karl Lucius, ein für die katholische Sache sehr tätigen Mann. Zwei Töchter nahm der Tod hinweg: Anna mit 16, die geistvolle und vielversprechende Karoline mit 19 Jahren. Sophie blieb bei den Eltern.
Zum letztenmal kam Frau Schlosser am 30. Mai 1865 zum geliebten Stift. Vier Tage später starb sie. Ihre Erben, die Freiherren von Bernus hüteten und mehrten das Erbe. 1926 kehrten die Benediktiner dorthin zurück. Das Stift gehört nun wieder dem gleichen Orden, für den der edle Anshelm es im 12. Jahrhundert gegründet hatte. Wie sagt Lacordaire: „Die Mönche und die Eichen sind unsterblich.“
Daß „Stift Neuburg“ wieder seiner ursprünglichen Aufgabe und Zweckbestimmung zurückgegeben wurde, soll als Geschenk der Vorsehung dankbar empfunden werden. Solange aber sein stilvolles Bild sich im Neckar spiegelt, wird man auch seiner Romantiker-Epoche gedenken, als hier nicht nur geschwärmt, gemalt und musiziert wurde, sondern die katholische Erneuerungsbewegung des 19. Jahrhunderts in tiefem Ernst und mit großem Erfolg entscheidend gefördert wurde.
Die Geschichte steht nie still. Auch die jüngste Entwicklung der Abtei Neuburg zeigt freudige und tragische Höhepunkte zugleich. Zwar blieb die Abtei während des „Dritten .Reiches“ von Kriegsverwüstungen und Beschlagnahme verschont, während bekanntlich eine große Anzahl klösterlicher Häuser zweckentfremdet und ihre Bewohner ausgewiesen wurden. Aber der erste Abt Graf Neipperg, der im Bistum Speyer ein gern gesehener und gern gehörter Prediger war, mußte Deutschland verlassen und starb in Jugoslawien eines gewaltsamen Todes. In selbstloser Hirtensorge war er deutschen Landsern, Kriegsgefangenen Helfer und Tröster geworden.
aus: „Speyerer Pilgerkalender 1967“

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