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Bummel durch die Renn-Nacht als besonderes Erlebnis

24.07.05 (Hockenheim)

Lange Tradition für die Hockenheimer: „Naus fahre, um ä bissl zu gugge“ / Viel weniger los als in den Jahren zuvor / Wirte auf der Suche nach den Gästen / Probleme mit übereifrigen Securitys / Rund um das „Pumpwerk“ die wahre Rennparty
Der Abend und die Nacht vor dem Großen Preis von Deutschland gehört in der Rennstadt seit Generationen den Hockenheimern – mehr noch natürlich den Formel 1-Fans. Während die Einheimischen „naus fahre, um ä bissl zu gugge“, feiern die zum Teil von weither angereisten Rennsportfreunde ihren eigentlichen „Grand Prix“ auf den Zeltplätzen am Motodrom und den großen Campingplätzen rund um die Stadt. Aufgewachsen im Forsthaus an der Continentalstraße erlebte wohl keiner so nah und direkt den Renntrubel mit wie ich, der heute bereits zum 25. Mal als Lokalreporter der Schwetzinger Zeitung/Hockenheimer Tageszeitung über das Geschehen rund um einen Grand Prix auf dem Hockenheimring berichtet. In diesem Vierteljahrhundert hat sich so viel verändert, dass sich die Veranstaltungen fast nicht mehr vergleichen lassen. Lagerten die Rennfans einst noch direkt an der Rennstrecke und feierten rund um den Contikreisel ihr großes Fest, kommt man heute nur noch mit Sonderausweisen mit dem Auto in die Nähe der Rennsportanlage. Als Folge hat die besondere Rennatmosphäre, die Mischung aus Lagerfeuer, dem Duft von gegrillten Würstchen und der typische Benzingeruch längst diesen Teil der Grand Prix-Welt verlassen. Das Leben der Rennfans spielt sich heute westlich der Autobahn ab. Die Folge: die Tribünenstraße lag auch an diesem Samstagabend wie verlassen da, die wenigen Abendspaziergänger und Fahrradfahrer reichten bei weitem nicht aus, den Biergarten am Motodrom auch nur ansatzweise zu füllen. Aber beginnen wir von vorn:
Meinen Bummel durch den Rennabend beginne ich zunächst in Reilingen. Bereits am Ortseingang lauern um die hundert Rennfans und viele einheimische Kinder am von Sicherheitsleuten hermetisch abgeriegelten Vier-Sterne-Hotel „Walkershof“ auf die dort wohnenden Formel 1-Stars und andere Promis. Das „Sorry, keine Presse“ macht deutlich, dass man ungestört den Abend genießen möchte. Und wenn ein Fahrer mal das Hotelareal verlässt, dann meist in einer verdunkelten Limousine und in hohem Tempo. Für die wartenden Fans also fast keine Chance, an ein Autogramm zu kommen. Es ist inzwischen kurz nach 19 Uhr und mein nächstes Ziel ist der Wersauer Hof. In der Idylle des Pferdehofs haben sich die Continental-Reifenwerke einquartiert. Obwohl die geladenen Gäste längst das schmucke Gelände verlassen haben, hat der firmeneigene Werksschutz kein Erbarmen mit dem Reporter: „Von wem wissen Sie überhaupt, dass wir hier sind? Kein Kommentar, hier kommen Sie nicht rein!“ Der eigentliche Hausherr zuckt mitleidsvoll mit den Schultern, aber über das Rennwochenende hat er seinen Hof an das Unternehmen vermietet, und damit bestimmen andere darüber, wer den Wersauer Hof betreten darf – und wer nicht.
Über den Sandweg fahre ich nun Richtung „Dänisches Lager“, einem der größten Campingplätze in der Nähe des Hockenheimer Schützenhauses. Dabei passiere ich auch einen Bauernhof, auf dem bereits seit vielen Jahren Formel 1-Fans aus dem bayerischen Günzburg übernachten. Die Frage, warum heuer die Gruppe viel kleiner ist als sonst, wird damit beantwortet, dass es sich nicht mehr alle dieses Vergnügen leisten können.
Davon ist auf dem Campingplatz, vor allem im Bereich rund um die Grillhütte wenig zu spüren. Hierher kommen längst die Rennbesucher, die eine „echte Rennsause“ erleben wollen. Aus phonstarken Musikanlagen dröhnen die Bässe, die Zapfanlagen kommen fast nicht zum Stillstand, eigens mitgebrachte Motoren werden immer wieder unter dem Jubel der Anwesenden angeworfen. Wenig weiter findet in einem überdimensionalen Ferrari-Planbecken eine Wasserschlacht einiger Oben-ohne-Girls statt, was nicht minder die Scharen anlockt.
Als ich durch die Waldstraße fahre, ist es kurz nach 20 Uhr. Im VIP-Village auf dem FV 08-Sportplatz ist noch nicht viel los, so dass ich beschließe, hier später nochmals vorbeizuschauen. Da ich den Formel 1-Stars in ihren riesigen Wohnmobilen auf dem HSV-Gelände die abendliche Ruhe gönne, fahre ich gleich weiter ins alte Fahrerlager, einem weiteren Festgelände für die echten Rennfans. Hier geht dann auch wirklich die Post ab, hier wird wie früher eine riesige Fete von begeisterten Hockenheimring-Besuchern gefeiert. Über die Contibrücke geht es zum Motodrom, wo, wie bereits erwähnt, eigentlich nichts los ist. Also weiter zum DJK-Sportplatz. Dieser ist zwar recht gut bezeltet, aber auch hier ist wenig los, Live-Musik gibt es in diesem Jahr nicht. Über die Nordumgehung komme ich gegen 20.30 Uhr ins Talhaus, wo jetzt die große SWR3-Party beginnen soll. Da wird sicher was los sein, denke ich mir und packe meine Fotoausrüstung aus. Die Rechnung habe ich aber wieder einmal ohne die heute scheinbar überall im Einsatz befindlichen Securitys gemacht. Die Wachmänner in ihren gelben Jacken lassen mich ohne Akkreditierung nicht durch, vom SWR ist niemand zu sprechen. Das „Ihr persönliches Pech“ mit eindeutig schwäbischen Einschlag klingt in mir noch nach, als ich versuche, durch eine Lücke im sonst total mit weißen Planen verhängten Zaun zu fotografieren. Gleich zwei Herren mit den gelben Jacken stürzen auf mich zu, schreien irgendwas von „Hausfriedensbruch“ und geben Worte von sich, die man an dieser Stelle nicht wiedergeben darf. Jetzt zucke ich mit den Achseln und fahre weiter zum Segelflugplatz. Dieser ist in diesem Jahr nur knapp zur Hälfte mit Camper gelegt und auch sonst geht es hier recht ruhig zu. Vorbei am ebenfalls nur luftig voll belegten Campingplatz „Auchtergrund“ blicke ich links von mir auf einen übergroßen Ronald, der um diese Zeit auf viele leere Plätze im unter ihm liegenden Hamburger-Restaurant blicken muss. Zurück in der Innenstadt komme ich an einigen Restaurants mit griechischer und italienischer Küche vorbei. Beim einen steht der Wirt vor der Tür und hält scheinbar nach Gästen Ausschau, bei den anderen sind selbst die Terrassenplätze nicht übermäßig voll belegt (den Hinweis, später sei mehr los, nehme ich wörtlich und komme noch zwei Mal wieder, finde aber auch dann nicht mehr Gäste vor).
Je mehr ich in Richtung Stadthalle komme, um so mehr Menschen sind zu sehen. Toll, hier scheint endlich was los zu sein. Und in der Tat, die Plätze an den Biertischen im Hof sind voll belegt, weiter Bänke werden immer wieder herangeschleppt. Diese Aufmerksamkeit gilt aber weniger für die, die gerne ein frisches Bier oder eine Weinschorle trinken würden. Einige Gäste verlassen nach mehr als 15-minütiger Wartezeit empört das Gelände, viele stehen auf und holen sich selbst die Getränke. Hier im Stadthallenhof sitzen eigentlich die, die hier beim Formel 1-Rennen immer sitzen: Stadträte, Mitarbeiter der Stadtverwaltung, Vereinsvorsitzende – eben viele Hockenheimer. Nur wenige Rennbesucher finden den Weg zu diesem Veranstaltungsort, was ja aber gar nicht so schlimm ist. Auch die Hoggemer wollen schließlich „ihren“ Grand Prix feiern und tun dies auch zum schönsten Oldie-Sound der „Blue Jeans“. Ein Blick in den „Stadtpark“ beweist dann aber doch, dass es Gasthäuser gibt, die an diesem Abend voll besetzt sind (ohne Rennen wäre es sicher aber auch so gewesen).
Noch schnell durch die Karlsruher Straße gefahren, wo es ebenso ruhig ist wie in der restlichen Innenstadt, fahre ich durch die Heidelberger Straße wieder in Richtung Motodrom. Die Feuerwache ist hell beleuchtet, aber alle Einsatzfahrzeuge stehen in ihren Boxen. Die Dienst habenden Feuerwehrleute und viele Polizisten nutzen diese ruhige Zeit, um sich mit einem leckeren Abendessen aus der bekannt-guten Feuerwehrküche für die kommende Nacht zu stärken. Rund um den Bossert-Kindergarten ist auch gegen 22 Uhr noch echt was los, selbst an den hell erleuchteten Verkaufsständen. Dies alles nehme ich aber nur am Rande wahr, denn ich möchte jetzt zum VIP-Village auf dem FV 08-Sportplatz, wo, wie auf einem großen Infoboard zu lesen ist, Bridgestone, Honda, Henkel und einige ungenannte Unternehmen ihre Gäste empfangen und scheinbar fürstlich verköstigen. Da Gelände jedenfalls ist hermetisch abgeriegelt, Planen versperren jede Sicht. Lediglich ein Fahrzeug-Anhänger mit der Aufschrift „Mobiler Life-Strip“ erregt die Aufmerksamkeit des Lokalreporters und vieler Abendbummler. Die freundliche Frage nach dem Zutritt zum VIP-Village richte ich scheinbar an den falschen „Security“. Obwohl ich noch keinen Millimeter das „Allerheiligste“ betreten habe, will er mir mit lauten Worten überdeutlich klar machen, dass gleich nach dem lieben Gott er komme, und er würde von der „Sch…presse“, er scheint mich zu meinen, hier nie und nimmer einen hereinlassen. Will ich auch gar nicht – vor allem habe ich keine Lust, mich mit solch einem Zeitgenossen einzulassen. Laufe zurück zum Auto, das in der Waldstraße steht, um von hier aus doch noch eine Foto zu machen. Dass dies ein Fehler ist, merke ich nur wenige Augenblicke später, als der „Security“ mit zwei seiner Kollegen auf mich zustürmt und mir den Fotoapparat entreißen will. Sie wollen sofort den Film haben, nehmen meinen Hinweis „Ist keiner drin“ (wir bei der SZ/HTZ arbeiten nämlich seit langer Zeit bereits digital) als Provokation und zerren immer übler an mir herum. Mein Glück, dass in diesem Moment eine Hundestreife der Polizei vorbeikommt und sich für das Gerangel näher interessiert. Da die Sachlage klar ist, werden die Wachmänner aufgeklärt, dass sie auf öffentlichem Gelände keine Rechte haben, beim „Oberschreier“ werden die Personendaten notiert. Nie war ich den Kollegen in Grün dankbarer als in diesem Moment, setze mich in mein Auto, um mit dem Pumpwerk das letzte Ziel meines Bummels durch die Renn-Nacht aufzusuchen.
Unglaublich, was hier los ist. Die gute Öffentlichkeitsarbeit des Teams um Lothar Blank hat sich ebenso bezahlt gemacht wie die guten Renn-Partys der Vorjahre für Mund-zu-Mund-Werbung gesorgt haben. Während sich drin im Pumpwerk die Fans eng auf eng stehend zum rockigen Sound der legendären ZAP-Gang austoben, herrscht auch rund um das Pumpwerk das echte, unverfälschte Non-Stop-Formel 1-Renn-Party-Feeling. Kurze Gespräche mit den Besuchern aus allen deutschen Regionen machen deutlich, dass man sich hier wohl fühlt. Während sich in mir das Dröhnen der Bässe der ZAP-Gang langsam abbauen, mache ich mich auf dem Weg nach Hause. Ein tolles Feuerwerk über dem Campingplatz an der Grillhütte verabschiedet mich und versöhnt mit dem zuvor Erlebten. Obwohl ich mir noch wenig zuvor geschwört habe, das dies wohl der letzte Bericht über das Drumherum eines Formel 1-Rennens gewesen sein wird, bin ich mir jetzt schon fast wieder sicher, auch 2006 zum nächsten Bummel durch die Renn-Nacht aufzubrechen. Ein Rennen ohne dieses Erlebnis? Eigentlich undenkbar …

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