Kurpfalz Regional Archiv

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Ein Abschied mit Erinnerungen

21.07.98 (Geschichte allg.)

„Schau mal, mit dieser Nähmaschine habe ich meine erste Bluse genäht“, stellt eine flotte Fünfzigerin mit einem sentimentalen Blick fest. Ihre 17-jährige Tochter kann es kaum nachvollziehen, was in ihrer Mutter in diesem Moment vorgeht. Sie schwelgt in Erinnerungen an eine Zeit, in der die Festhalle zum Leben der Georgsgemeinde genauso gehörte wie zum öffentlichen Leben in der Rennstadt. Abschied nehmen ist angesagt. Die alterwürdige Festhalle soll zu einem modernen Gemeindezentrum der katholischen Kirchengemeinde umgebaut werden. Aber wohin mit der bisherigen Einrichtung? Für Pfarrer Jürgen Grabetz und den Pfarrgemeinderat kein Problem: „Wir führen einen Räumungsverkauf durch!“
Im großen Saal der Festhalle stapeln sich Tische und Stühle, Gläser, Geschirr und viele Küchenutensilien. Auch Großgeräte und Einrichtungsgegenstände stehen zum Verkauf. Die ersten Interessenten gehen durch die langen Reihen, notieren sich ihre Wünsche oder greifen gleich zu. Es sind vor allem die Suppenterrinen und Sammeltassen, die schnellentschlossene Käufer finden. Das Partygeschirr wird aufgestockt oder man deckt sich für den nächsten Polterabend ein. Bei Ilse Herold,
der langjährige Wirtin im ehemaligen Restaurant der Festhalle, werden beim Anblick der Verkaufsgegenstände Erinnerungen wach. Es sind vor allem die gepolsterten Festhallenstühle, für die sie sich interessiert. „Die lassen sich so schön stapeln“, meint sie und schiebt mit ihrer Tochter Silke eine weitere Ladung hinaus zum Auto. Silke Herold, zusammen mit ihrem Bruder Marco eines der besten karnevalistischen Tanzpaare in Deutschland, denkt zurück an ihre Kindheit, als sie ihre
Karriere hier auf der Festhallenbühne bei der HCG begannen.
Überhaupt werden bei den meisten Besuchern des Räumungsverkaufs, dessen Erlös dem Umbau zu Gute kommt, Erinnerungen wach an eine Zeit, die längst zur Geschichte geworden ist. Da wird die Rutschbahn von der Empore herab in
den Saal beim Bazar ebenso erwähnt wie die Schießbude im ehemaligen Turnhallenanbau. Man denkt an die vielen Theateraufführungen und Konzerte, an die Prunksitzungen und Winterbälle, an die Empfänge und Feierstunden, an die Boxveranstaltung um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft oder die Siegerehrungen nach den BMC-Motorradrennen.
Schnell steht man in Gruppen zusammen, erzählt sich Anekdoten, die sich vor allem um die Festhalle und ihren wohl bekanntesten Wirt, den unvergessenen Dekan Johannes Beykirch ranken. Man erinnert sich an den ehemaligen Mesner Theodor Hoffmann, der einst hinter dem Tresen im Saal den berühmten Weißherbst ausschenkte, und vor allem an Therese Diller, die als „Fräulein Theres“ über viele Jahre hinweg das Zepter in der Küche schwang.
Daß alles längst Vergangenheit ist, merkt man wieder in dem Augenblick, als ein Reiterverein aus Wiesloch das komplette Restaurant mit seinen Tischen, Stühlen und Lampen ersteht und die Küche en bloc nach Waghäusel an ein Kaffeehaus verkauft wird. Raritäten wie die alte Nähmaschine oder eine nostalgische Kaffeemaschine werden in einer Versteigerung
angeboten. Immer wieder kommen Interessenten, die einfach alles kaufen. Einer ersteht sogar die hölzerne Wandvertäfelung aus dem Cäciliensaal, ein anderer interessiert sich für das Parkett. Und als bereits fast alles verkauft ist und selbst Pfarrer Grabetz nichts mehr zu verkaufen weiß, findet doch tatsächlich einer am Feuerlöscher in der Küche
Gefallen und kauft diesen.
Nach dem zweitägigen Verkaufsmarathon bleiben nur noch Gläser, Teller, Kaffeekannen und verschiedene andere Utensilien übrig. „Da haben wir wenigstens etwas für die kommenden Flohmärkte übrig“, freut sich der Pfarrgemeinderatsvorsitzende Rolf Schmelcher über das gute Verkaufsergebnis, das ihm Lioba Scheurer schnell zuflüstert. „Es herrscht schon so etwas wie eine Abschiedsstimmung“, stellt sie fest und erinnert sich an die umjubelten Auftritte ihrer Mutter Maria Kneis als „Putzfrau vom Rathaus“ in der Festhalle, als diese noch der gesellschaftliche und kulturelle Mittelpunkt der Rennstadt war. Und daran werden zukünftig noch viele der Stücke erinnern, die von vielen Hockenheimer Familien beim Räumungsverkauf gekauft wurden.
In den nächsten Wochen wird die Festhalle dann endgültig in Eigenarbeit entkernt werden, ehe im Oktober mit den eigentlichen Umbauarbeiten begonnen werden soll.

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