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Lieber Wurstbrot als überteuerte Rennwurst

24.07.05 (Hockenheim)

Rückblick auf das Formel 1-Rennen 2005 / Keine Stars und wenig Sternchen / Wer ist Günther H. Oettinger? / Das feine Leben der Möchtegern-VIPs / Ring-Geschäftsführer Georg Seiler im Gespräch mit Big Boss Bernie Ecclestone

Der diesjährige Große Preis von Deutschland ist bereits schon wieder Geschichte, der Formel 1-Zirkus ist längst in Richtung Ungarn weitergezogen. Nur noch wenige Spuren erinnern an das große Spektakel, das Hockenheim und die gesamte Region für fast eine Woche in seinen Bann zog. Vereinzelt hängen noch die Fahnen und Banner im Wind, die entlang der Hauptzufahrtswege angebrachten Werbeplakate wurden wieder beseitigt. Auch der Müll im Bereich der Campingplätze und Tribünen wurde teilweise schon eingesammelt und zu gewaltigen Massen zum Abtransport bereitgestellt. Draußen im Wald ist wieder die alltägliche Ruhe eingekehrt, das Vogelgezwitscher hat das Dröhnen der Motoren abgelöst.Geblieben sind also nur noch die Erinnerungen an einen Grand Prix, der irgendwie nicht so richtig in das bisher bekannte Schema passte. Die Zuschauer ließen sich mit der Anreise Zeit, kamen oft erst zu den Trainings- und Rennläufen nach Hockenheim. Obwohl viele Freikarten vergeben wurden (darunter 1 000 für in Afghanist Dienst tuende Bundeswehrsoldaten) und Sonderaktionen durchgeführt wurden, blieben selbst am Sonntag einige Tausend Plätze auf den Tribünen leer. Bereits im Vorfeld gekaufte Eintrittskarten konnten nicht für teures Geld verkauft werden, der letztendlich ausgehandelte Preis lag oft unter dem Normalpreis. Auffallend aber auch die gedämpfte Stimmung unter den angereisten Fans, die ihre Ausgabefreudigkeit auf ein Minimum beschränkten und lieber von mitgebrachten Wurstbroten lebten als von der überteuerten Rennwurst.
Ganz im Gegensatz dazu das bunte Treiben im Fahrerlager und den anderen VIP-Bereichen, wo vor allem die Gäste der Formel 1-Teams, deren Sponsoren und anderen Wirtschaftsunternehmen ein großes Fest feierten. Dabei schien es den meist geladenen Gäste nicht um den motorsportlichen Aspekt der Veranstaltung zu gehen. Denen war oft viel wichtiger, die kulinarischen Köstlichkeiten in gediegener Atmosphäre zu genießen, oder hofften darauf, sich im Glanz zahlreicher Stars und Sternchen aus Politik, Wirtschaft, Sport- und Showwelt zu sonnen. Damit war es aber in diesem Jahr auch nicht besonders weit her. Gaben sich in den vergangenen Jahren die Prominenten scheinbar die Klinke des Fahrerlagers in die Hand, herrschte auch auf diesem Gebiet in diesem Jahr Mangelware. Wohin man auch schaute, von echten Stars war nichts zu sehen. Prominentester Gast beim Großen Preis von Deutschland war in diesem Jahr wieder einmal Boris Becker, der eigentlich schon zum lebenden Inventar der Mercedes-Marketingabteilung gehört und so immer mit dabei ist.
Auch die VIP-Liste des Veranstalters ließ an der Zweitklassigkeit des diesjährigen Grand Prixs keine Zweifel: „Neben Schwarzwälder Mädels mit Apfelkörben und American Cheerleaders zogen auch die VIPs Aufmerksamkeit auf sich. Musikstars wie Haddaway, Joy Fleming, die die deutsche Nationalhymne bewegend interpretierte, Torwart Timo Hildebrandt und die beiden Olympia-Skispringer Stephan Hocke und Michael Uhlmann, Musiker Smudo und Roberto Blanco, Schauspielerin Bettina Zimmermann, Schauspieler Ralf Möller und Ex-Zehnkämpfer Jürgen Hingsen ließen sich im Fahrerlager und auf der Start- und Ziel-Geraden sehen.“ Naja gut, es waren noch ein paar mehr bekannte Gesichter im Fahrerlager zu entdecken, denn Rapper Thomas Dürr von den Fantastischen Vier zeigte jedem voller Begeisterung seine ersten Foto-Impressionen vom Hockenheimring, Schauspieler Mark Keller wurde ebenfalls kurz gesichtet wie der VOX-Fernsehkoch Tim Mälzer. Vor Jahren noch hoch im Kurs durfte Schlagersänger Jürgen Drews in diesem Jahr erst gar nicht in das Formel 1-Fahrerlager und viele blondgelockte Schönheiten, deren Namen sowieso niemand kannte, drückten ebenfalls ihre Nasen an den Kontrollen platt. Klare Ansage in diesem Jahr: Ohne Sonderausweis mit Passfoto kein Zutritt ins Heiligtum der Formel 1.
Keine Probleme hatte Hockenheims Oberbürgermeister Dieter Gummer, denn als Quasi-Hausherr hatte er Zutritt für alle Bereiche im Motodrom. Am Samstag besuchte er zusammen mit Ring GmbH-Geschäftsführer Georg Seiler Formel 1-Boss Bernie Ecclestone in diesen Motorhome hinter dem Mobil-Turm. Und am Sonntag traf sich Seiler nochmals mit Big-Bernie zu einem 19-minütigen Vier-Augen-Gespräch, dem aber als weiteres Augenpaar die Pressechefin Katja Heim als Dolmetscherin beiwohnte. Von allen drei Gesprächspartnern war nichts über den Inhalt der Gespräche zu erfahren. Aber sie müssen eine positive Wirkung auf Georg Seiler gemacht haben. Noch auf dem grauen Teppich vor Ecclestones fahrbarer Kommandozentrale zündete sich ein sichtlich zufriedener Geschäftsführer ein Zigarillo an und führte dabei ein längeres Telefonat, um scheinbar über den Gesprächsverlauf zu berichten.
Zu diesem Zeitpunkt ging die Prominentensuche im Fahrerlager immer noch weiter. In Ermangelung von echten VIPs fotografierten die Reporter bereits frustriert ihre TV-Kollegen von RTL oder Premiere.
Trotz des bereits begonnenen Bundestagswahlkampfs auch auffallend wenig Politikprominenz im Motodrom. Der neue baden-württembergische Ministerpräsident Günther H. Oettinger überreichte fast unerkannt den Siegerpokal an Fernando Alonso, Landesfinanzminister Gerhard Stratthaus hatte sich sowieso zu „wichtigen Wirtschaftsgesprächen“ in das Baden-Württemberg Center zurückgezogen. Und was die ebenfalls anwesenden regionalen Landtags- und Bundestagsabgeordneten so machten, ging im Trubel um Formel 1-Stars sowieso unter.
In den hermetisch abgeriegelten VIP-Lounges und –Clubs hatte man zu diesem Zeitpunkt längst einmal mehr die Qual der Wahl. Viele Köche und noch mehr Bedienungskräfte servierten Champagner und andere edle Getränke, die Leckereien aus den Küchen ließen keine Wünsche offen.
Wunschlos glücklich waren auch die meisten Möchtegern-VIPs mit dem Bus- und Parkservice. Vor allem auf den Sportplätzen waren spezielle Parkplätze eingerichtet worden, von wo man dann mit einem klimatisierten Omnibus direkt ins Fahrerlager chauffiert wurde. Wer sich ganz besonders wichtig nahm, der nutzte den Hubschraubershuttle zum Hockenheimring. Ein Vergnügen, das sich aber längst nicht mehr alle leisten können, denn vom Regierungspräsidium war die Zahl der Flüge zum Hockenheimring auf 150 begrenzt worden. Kein Vergleich also zu den fast 600 Flügen noch vor ein paar Jahren.
Die wahren Fans aber ließen sich von solchen Äußerlichkeiten nicht beeindrucken. Geduldig reihte man sich in die Schlange der Wartenden vor den Toiletten ein, zahlte für Bier oder Würstchen überhöhte Preise, und wanderte dann wieder zurück auf einen der Campingplätze rund um Hockenheim.
Aber irgendwie scheint der Formel 1-Zirkus diese Mischung von dankbaren Fans, bescheidenen und unauffälligen Prominenten sowie zickigen und überheblichen Ersatz-VIPs zu brauchen. Sie alle zusammen sind nämlich der Große Preis von Deutschland – egal, ob nun in guten oder auch mal schlechten Zeiten.

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