Die verheerenden Einfälle der Germanen und der Fall des Limes zwangen die Römer zu einer neuen Art der Grenzverteidigung. Das alte Konzept mit der Konzentration der Legionen an den Grenzen konnte dem Druck der Barbaren auf das römische Reich nicht standhalten. Im 4. Jahrhundert übernahmen daher schnelle berittene Eingreiftruppen und starke Flottenverbände den Schutz der römischen Provinzen. Daneben sicherten neue Wehrbauten strategisch wichtige Punkte, im Hinterland wurden Wehrtürme und Höhenbefestigungen neu angelegt.
Das Kastell Altrip, unter Kaiser Valentinian errichtet, ist ein beeindruckendes Beispiel einer neuen Befestigungsanlage. Es kontrollierte gemeinsam mit verschiedenen kleineren Befestigungen und rechtsrheinischen Brückenköpfen den Zusammenfluss von Rhein und Neckar. Das Kastell war im Grundriss trapezförmig, die zum Rhein gelegene Seite der Befestigung hatte die stattliche Länge von 141 Metern. Im Erdgeschoss konnten durch Ausgrabungen 40 Räume nachgewiesen werden, neben Mannschaftsunterkünften gab es Verwaltungs und Vorratsräume sowie Speicher. Die Zimmer waren recht komfortabel ausgestattet, die Fußböden zum Teil mit Ziegelplatten belegt. Auch Fußbodenheizungen und Wandmalereien haben sich erhalten. Der Innenhof blieb frei von Bebauung, die Trinkwasserversorgung wurde durch Brunnen gesichert. In der Festungsanlage sind Steine mit Inschriften und bildlichen Darstellungen früherer Bauten verarbeitet.
Das Ende des Kastells kam zur Neujahrsnacht 406/407 nach Christus. Krieger der Sueben, Alanen und Vandalen setzten über den zugefrorenen Rhein bei Mainz und vernichteten den gesamten römischen Grenzschutz zwischen Bingen und Selz, bevor sie weiter nach Gallien vorstießen. Die Festung wurde aber auch nach der Zerstörung als Wohnraum benutzt. Im 5. Jahrhundert siedelten neben der einheimischen Bevölkerung nachweislich auch Germanen in Altrip. Ab dem 8./9. Jahrhundert wurden die Mauern jedoch abgetragen und die Steine für andere Bauwerke benutzt.
Altrip
„Luftfahrende Frauen“ erregten den Zorn des Abtes Regino
Eine wahre Fundgrube für Volkskundler und Freunde der
Heimatgeschichte ist das 906 vom in Altrip gebürtigen Abt Regino
geschriebene Visitationshandbuch „Libri duo de synodalibus causis
et disciplinis ecclesiastis“. Das Gesamtwerk besteht aus zwei
Werken, deren erstes die Disziplin der Kleriker und das zweite
die der Laien enthält. Beide Werke sind wiederum in zwei Teile
gegliedert. Von besonderem Interesse sind die 454 Kanones, die
die kirchenrechtlichen Grundlagen für die Visitationsfragen an
die Laien enthalten.
Regino war kein Neuerer oder religiöser Eiferer, sondern ein
Chronist, der aus allen verfügbaren mündlichen und schriftlichen
Informationen Material für eine exemplarische Zusammenfassung
nutzte. Seine Synodalfragen basieren auf früheren allgemeinen
Konzilien sowie von Partikularkonzilien des Frankenreiches,
Spaniens, Afrikas und des Orients. 895 war er sogar persönlich
auf einem Konzil, nämlich in Tribur. Diverse Kanones entstammen
auch aus päpstlichen Dekretbriefen sowie aus Schriften der
Kirchenväter und den Bußbüchern der fränkischen und
angelsächsischen Kirche.
Über Sitten und Gebräuche des frühen Mittelalters erhalten wir
über Regino gute Einblicke. Ein großer Fragekomplex behandelt Tod
und Grab. So wollte man damals wissen, „ob jemand über einen
Toten in nächtlichen Stunden teuflische Gesänge singt und bei
Essen und Trinken sich bei der Totenwache über das Ableben des
Verstorbenen freut.“ Regino war erbost über Suff, Gelächter und
Scherze in Privathäusern angesichts eines Toten.
Eine Frage Reginos machte es den Pfarrern zur Pflicht,
nachzuforschen, ob eine Frau von sich behauptet, daß sie in der
Lage sei, durch Zaubersprüche und Zauberpraktiken den Sinn eines
Menschen zu ändern (Liebeszauber). Er forderte auch
Nachforschungen darüber, ob Frauen beim Wollspinnen oder am
Webstuhl Worte sagen oder Dinge tun, die als „nichtchristliche“
zu bezeichnen seien. Ferner wollte er wissen, ob Frauen beim
Kräutersammeln Formeln und Sprüche gebrauchen, um die Kraft der
aus der Erde gerissene Heilkräuter zu wahren.
Ausführlich befaßte sich Regino auch mit dem Schadenzauber, den
bestimmte Frauen ihren Mitmenschen mit ihren Zauberpraktiken
zufügen. Gemeint ist hier etwa ein Schadenzauber, der dafür
sorgt, daß die Ernte vernichtet wird, die Kuh des Nachbarn keine
Milch mehr gibt, das Kind eines anderen stirbt, Lebensmittel
ungenießbar werden, Krankheiten ausbrechen und dergleichen mehr.
Der Schadenzauber gehörte zum Hexentum und die Vorstellung von
„nachtfahrenden Frauen“ erschien bei Regino zum ersten Mal in
geschriebenem Recht.
Laut Regino mußte der Visitator nachforschen, ob eine Frau mit
einer Schar in Frauengestalt verwandelter Dämonen in bestimmten
Nächten auf irgendwelchen Tieren in dieser Gesellschaft reitet.
Der von Regino erwähnte „Hexenzug luftfahrender Frauen“ richtete
aber keinen speziellen Schaden an, sodaß Regino lediglich die
Tatsache des Luftfahrens tadelte und mit der Vertreibung aus der
Pfarrei ahndete.
Im Verdacht außerchristlicher Praktiken standen aber auch
Schweine und Rinderhirten sowie Jäger. Der Visitator sollte
daher erforschen, ob diese Menschen „teuflische Gesänge“ über
Brot und Kräutern anstimmten oder irgendwelche Zaubersprüche
anwandten. Drakonische Sanktionen oder gar die Todesstrafe sah
Regino nicht vor.
In den folgenden Jahrhunderten beflügelte jedoch der Hexenglaube
die Phantasie des Volkes. Höhepunkte des Hexenwahns waren jeweils
die schlimmsten Notzeiten, so zum Beispiel die Zeit während des
30jährigen Krieges sowie in Hunger und Pestjahren. Verfolgt
wurden übrigens nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die als
Hexenmeister bezeichnet wurden. Das Jahr 1582 brachte der
Kurpfalz das unter Kurfürst Ludwig VI. geschaffene Landrecht, das
Hexerei und Zauber unter harte Strafen stellte. Nach der
kurpfälzischen Malefizordnung wurde „Zauberey und Heyerey“ mit dem
Tode durch Feuer bestraft.
Regino erregte sich auch über die Tatsache, daß Kirchenfriedhöfe
oft nicht eingezäunt waren und somit verschmutzt werden konnten.
Ihn störte, daß bei Memorienfesten (Totengedenktagen) auf dem
Friedhof „geschmaußt, lachet und danzet“ wurde. Auch unsittliche
Lieder waren vielfach üblich. Ebenso üblich war auch, daß nach
dem Kirchweihhochamt auf dem Kirchhof Tänze von Frauen
in Männermasken und von Männern in Tier und Frauenmasken
aufgeführt wurden. Im Mittelalter finden sich viele Beweise von
solchen Tänzen auf den Friedhöfen, denn es mußten immer wieder
kirchliche und gesetzliche Verbote erlassen werden.
Die Kirche hat sich in den Jahrhunderten längst mit dem
vorchristlichen Brauchtum mehr oder minder abgefunden und ließ es
zu, daß die Menschen bei Kirchweih „auf den Rummel“ gingen.
Auch im heutigen Dorfbild von kleineren Gemeinden ist als spätes
Relikt dieser längst vergangenen Zeit oftmals noch der
Rummelplatz und die Dorfwirtschaft in unmittelbarer Nähe zur
Kirche zu finden. Im Grunde ist dies nur eine Verlagerung von den
früher üblichen Festivitäten vom Friedhof und Kirchhof an eine
„ungeweihte“ Stätte sowie in geschlossene Lokalitäten.
Aus: Rheinpfalz, 18.4.1996, Wolfgang Schneider
Aus dem Altriper Bub wurde Abt Regino
Der Vater von Karl dem Großen, König Pippin, schenkte im Jahre
762 dem Kloster Prüm in der Eifel die dem heiligen Medardus
geweihte Klosterzelle zu Altrip. Als Sohn vornehmer Eltern kam in
Alta Ripa Regino zur Welt und wurde, da man schon bald die hohe
Begabung des Jungen erkannte, in das Mutterkloster gebracht, wo
er später Mönch wurde.
892 fielen die Normannen zum zweiten Male in die Eifel ein und
zerstörten die mächtige Abtei Prüm. Dem Mord und Raubzug konnte
sich Abt Farabert in letzter Minute durch die Flucht entziehen.
Regino berichtet darüber, daß die Normannen am Tage der
Erscheinung des Herrn, durch den Ardennenwald dringend, in das
Kloster Prumia gelangt seien, nachdem sie die Aachener Pfalz und
die Klöster Inda (Korneliusmünster bei Aachen), Stablo (Stavelot,
Belgien) und Malmundurias (Malmedy, Belgien) überfallen hatten.
Mit den Bauern, die zur Verteidigung aufgeboten worden waren,
waren die Eindringlinge wegen der schlechten Kampfdisziplin
schnell fertig geworden und hätten sie grausam niedergemetzelt.
In dieser Situation legte der seitherige Abt sein Amt nieder.
Der Konvent wählte 892 Regino als siebten in der Reihe der Äbte,
allerdings gegen den heftigen Widerstand von Gerhard und Matfried
von Hennegau. Die Grafenfamilie, die im MittelmoselGebiet große
Ländereien und Einfluß besaß, hätte gerne ihren Bruder Richarius
als Abt gesehen. Das Ränkespiel gegen Regino ging in der
Folgezeit weiter und die Mönche beteiligten sich daran sehr
intensiv. Die Zeitläufe waren überdies denkbar günstig, denn das
Reich
Karl des Großen zerfiel, nachdem sich seine Enkel heillos
zerstritten hatten. Zudem fielen vom Norden die Normannen und vom
Süden die Magyaren ein.
Trotzdem gelang Regino ein beachtliches Werk: Im zweiten Amtsjahr
legte er ein Besitzstandsverzeichnis für über 119 Fronhöfe mit
1530 Bauernhöfen, den „Prümer Urbar“ an. Als er nach sieben
Jahren zur Abdankung gezwungen wurde, hatte er die Abtei nicht
nur wieder aufgebaut, sondern sie zu einer der größten und
reichsten Klöster der damaligen Zeit fortentwickelt.
Sein Nachfolger Richarius, der mit dem herrschsüchtigen Herzog
Reginar von Lothringen paktierte, betrachtete die Abtei als sein
weltliches Eigentum, sodaß der Niedergang vorprogrammiert war.
Richarius schaffte gar noch die Bischofswürde von Lüttich.
Regino hatte Glück, denn der Trierer Erzbischof nahm sich seiner
an und so wurde er 899 Abt zu St. Martin in Trier, wo er bis zu
seinem Tode 915 sehr erfolgreich wirkte.
902 schrieb er ein Standardwerk über den Chorgesang und 908
vollendete er sein Hauptwerk, die Chronica. Damit ging er als
Verfasser der ältesten deutschen Weltgeschichte in die Historie
ein. Diese Tatsache bewog die Gemeinde Altrip, Abt Regino zu
Ehren vor der Dorfkirche am 19. November 1911 ein Denkmal zu
errichten.
Aus: Die Rheinpfalz, 18.4.1996, Wolfgang Schneider
