Kurpfalz Regional Archiv

Geschichte(n) und Brauchtum aus der (Kur-)Pfalz

  • Museen + Ausstellugen

    … in Bearbeitung

  • Kategorien

  • Tagesarchiv

    April 2024
    M D M D F S S
    1234567
    891011121314
    15161718192021
    22232425262728
    2930  
  • Monatsarchive

  • Admin

Wieder geht ein Stück Wirtshauskultur verloren

29.12.09 (Reilingen)

Ein Blick in die Geschichte der Reilinger Gastronomie / Landgasthaus „Zum Engel“ schließt zum Jahresende / Seit 1772 ein Begriff in der Spargelgemeinde
Viele Sprichwörter und Volksweisheiten ranken sich um Essen und Trinken, schließen dabei die alten Handwerksberufe des Bäckers und Metzgers ebenso mit ein, wie sie zugleich auch an Wirte, Köche und Wirtshäuser erinnern. „Gegessen und getrunken wird immer“ heißt es dann, aber auch „Wer nichts wird, wird Wirt“. Und dass ein gutes Essen Leib und Seele zusammenhält, wussten bereits unsere Altvorderen vor vielen hundert Jahren. Noch heute besucht man zu besonderen Anlässen, an Feiertagen oder zu Geschäftsessen Restaurants mit gehobener Küche, kehrt aber inzwischen auch wieder gerne in ortstypische Wirtshäuser ein, wo die deftige regionale Küchentradition gepflegt wird. Aber, und das darf nicht vergessen werden, die Zahl der Gaststätten mit langer Tradition und einheimischen Gerichten nimmt immer weiter ab. Gehörten einst die Gasthäuser zu jedem Dorf wie die Kirche und das Rathaus, gibt es heute bereits Ortschaften, in denen die traditionellen Wirtshäuser längst Geschichte sind. Reilingen hat zwar immer noch eine vielseitige Gaststättenkultur aufzuweisen, aber die Zahl der historischen, also schon seit langer Zeit im Ort angesiedelten Gasthäuser wird immer weniger. Den „Hirsch“ gibt es nicht mehr, und auch an den „Adler“ können sich nur noch die Älteren erinnern. Vorbei die Zeiten vom „Café Schnepf“ oder dem „Wilden Mann“, die Erinnerungen an die Namen früherer Wirtshäuser, in den heute italienische Pizzen, griechische Spezialitäten oder chinesische Küche angeboten werden, sind längst verblasst. Und wenn am heutigen Silvestertag das traditionsreiche Landgasthaus „Zum Engel“ schließt, dann wird mit Beginn des neuen Jahres wieder ein Stück gastronomischer Heimatgeschichte zum Bestandteil der Archive werden.
Zum ersten Mal wird der „Engel“ 1772 erwähnt, 1823 war darin gar ein dreiviertel Jahr die Schulstube. Nach immer wieder wechselnden Besitzern übernahm an Weihnachten 1927 die Familie Kief das Gasthaus von der Witwe Barbara Schuppel. 1936 wurde die Wirtschaft an den Metzgermeister Adolf Unglenk übergeben. 1953 übernahm die Familie Adolf Kief wieder die Wirtschaft, als Adolf Unglenk in der Hockenheimer Straße seine Metzgerei eröffnete. Die Familie Kief hatte neben der Wirtschaft noch Vieh und bestellte ihre Äcker als Bauersleute. Als Adolf Kief (er war der Vater des späteren Bürgermeister Hermann Kief) 1957 mit dem Pferdefuhrwerk tödlich verunglückte, führten seine Frau Kätchen und die Tochter Hildegard die Gastwirtschaft – und nebenher auch die Landwirtschaft – weiter. Für viele Vereine, Gruppen und Vereinigungen wurde der „Engel“ zum Vereinslokal. Viele Veranstaltungen, aber auch zahllose Familienfeiern wurden im Tanzsaal im ersten Stock oder im Nebenzimmer durchgeführt. Der „Engel“ wurde zu einem wichtigen Treffpunkt und Ort der Kommunikation in der Spargelgemeinde. Dies blieb auch so, als 1992 die Familie Kellner das Wirtshaus übernahm. Als „singender Engelwirt“ wurde Toni Kellner zu einem Begriff, das von ihm wiederbegründete Kartoffelfest zu einem festen Termin im Reilinger Veranstaltungskalender. Die Mundartveranstaltungen lockten die Besucher an. Und als Kirsten Kolb von ihren Eltern das traditionsreiche Gasthaus übernahm und als Familienbetrieb weiterführte, ahnte noch niemand, dass die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in Deutschland auch alteingesessene Gastronomiebetriebe nicht verschonen würden. Vor allem die Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Zeit setzte vielen Gaststätten und Hotels dermaßen zu, dass viele ihre Betriebe schließen mussten. Auch im „Engel“ wurde die Zahl der Stammtischbesucher immer weniger, Firmen buchten immer weniger Geschäftsessen und auch die privaten Gäste drehten den Euro mehr als einmal um.
So wird es ab dem morgigen Neujahrstag den „Engel“ in seiner bekannten Art nicht mehr geben, und einzig allein die frühere Schildwirtschaft „Zum Löwen“ wird an die einst vielfältige Wirtshaustradition in Reilingen erinnern.

Kommentare sind geschlossen.

 
error: Bitte nehmen Sie mit uns Kontakt auf: post@heimat-kurpfalz.de