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285 Jahre Neulußheim: Verkehrsgünstige Lage fördert Ansiedlung

23.03.96 (Städte & Gemeinden)

Neben Altlußheim darf auch die jüngere Tochtergemeinde
Neulußheim in diesem Jahr ein Jubiläum feiern. Als jüngste
Gemeinde in der Verwaltungsgemeinschaft Hockenheim
erinnert man sich dem 285. Geburtstag, denn die
Ortsgründung wird auf 1711 datiert. Obwohl kein
klassisches Jubiläum gefeiert wird, ist es doch wert, sich
einmal im Rahmen der Altlußheimer Feierlichkeiten an die
Zeit zu erinnern, als Bürger Julius Schickard einen Antrag
an den Herzog von Württemberg stellte, ein unbebautes
Ackerland im Osten der damaligen Gemarkung bewirtschaften
zu dürfen. Es handelte sich dabei um das Gebiet im Bereich
der Altlußheimer und Hockenheimer Straße im heutigen
Neulußheim.

Dort hatte der Landpfleger Schickard auf dem Grundstück
des Gasthauses „Zum Bären“ einen Meierhof (Molkerei) nebst
Wirtschaft und eine Bierbrauerei errichtet. Zum Bau dieses
Gehöftes wurden viele Tagelöhner aus den umliegenden Orten
eingesetzt. Die Zahl der Beschäftigten wuchs so rasch an.
Viele hatten ihre Familien mitgebracht, die sich ebenfalls
um Arbeit bemühten. Der Ansatz zu einem neuen Dorf war
gegeben. Mit der Zeit entstand eine kleine Siedlung für
die Tagelöhner. Aus alten Unterlagen geht hervor, daß
diese von Anfang an in einem regelmäßigen, kreuzförmigen
Grundriß angelegt wurde. Diese Siedlungsweise prägt noch
heute den Ort, der an historischen Bauwerken recht arm
ist.

Als Name der neuen Siedlung wurde erstmals 1716 als
„Lußhofen“ schriftlich erwähnt. Im Jahre 1735 erschien
dann zum ersten Mal der Begriff „NejLußheim“, der als
„NeuLußheim“ erst 1816 der aufstrebenden Gemeinde amtlich
verliehen wurde.
Kurios ist, daß auf vielen Landkarten und in zahlreichen
alten Dokumenten die Siedlung immer wieder als „Calabria“
erwähnt wird. Dieser Spottname geht nach Meinung vieler
Historiker darauf zurück, daß „NejLußheim“ als
Schmugglernest galt und es dort „zugegangen ist wie im
italienischen Kalabrien“. Nachgewiesen ist aber nur, daß
die Grenzlage hin zur Kurpfalz und zum Fürstbistum Speyer
den unerlaubten Handel ohne Zölle förderte. Als
württembergische Exklaven saßen die beiden Lußheimer
Dörfer praktisch „wie die Maden im Speck“. So jedenfalls
stellte sich die Situation für den Karlsruher
HofGeographen Wilhelm Greiben dar, der im Auftrag des nur
für kurze Zeit amtierenden „churfürstlichbadischen
Cabinetts“ die neuen Lande im Norden des späteren
Großherzogtums Baden bereiste.
Der junge Ort erregte schon von Anfang an die Gegnerschaft
von Altlußheim und des Hochstiftes Speyer, das bei der
Ortsneugründung nicht um Zustimmung gefragt worden war.
Bereits 1723 wurde vorgeschlagen, die Einwohnerzahl von 50
auf 30 Personen zu reduzieren. Aber trotz allem konnte
dies nicht verhindern, daß die günstige Lage an der
Kreuzung zweier wichtiger Handelsstraßen das Wachstum des
Ortes förderte. Von 1870 an kam die gegenüber Altlußheim
viel bessere Lage zur neuen Bahnstation an der
Rheintalbahn dazu. Die Gemeinde wuchs ständig und bereits
1898 wurde die Bebauung der Friedrichstraße und die
Verlängerung der Bahnhofstraße freigegeben.
Neulußheim mußte seit 1811 unter jedem Krieg leiden. Viele
Neulußheimer wurden im „Russischen Krieg“ in die
Rheinlandtruppen Napoleons gezwungen und mußten für den
französischen Kaiser an dessen Expansionskriegen
teilnehmen. Zuletzt forderte der Zweite Weltkrieg große
Opfer von der Bevölkerung. Nach Kriegsende stieg die
Einwohnerzahl von 2.960 auf rund 3.500 Personen an, denn
1946 kamen bei den Vertreibungsaktionen der Siegermächte
viele Familien aus dem Sudentenland, Ungarn und den
deutschen Ostgebieten nach Neulußheim. Nach anfänglichen
Schwierigkeiten bei der Unterbringung und Eingliederung
sind die Heimatvertriebenen längst zu „Neilossemer“
geworden.
Daß die Gemeinde auch zukünftig sich weiter entwickeln
kann, verdankt sie seiner überaus verkehrsgünstigen Lage
und der Ausweisung im Regionalplan als sogenannter
Achsenstandort. Neulußheim hat heute mit 338 Hektar den
kleinsten Gemarkungsanteil der vier Nachbargemeinden und
wird wie zu seiner Gründung noch größtenteils von
Altlußheimer Gelände umgeben. Das ist Dorf eine reine
Wohngemeinde geblieben, in der mehrere kleinere und
größere Gewerbebetriebe angesiedelt wurden.
Neulußheim hat sich in den vergangenen Jahren zu einem
immer lebenswerteren Ort entwickelt, der ob seiner
kulinarischen Lage mitten im badischen
Spargelhauptanbaugebiet vor allem in den nächsten Wochen
wieder auf dem Reiseplan vieler Liebhaber des königlichen
Gemüses stehen wird. (og)

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