Kurpfalz Regional Archiv

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Der Speyerer Judenhof als architektonisches Kleinod

19.02.91 (Glaube & Religion, Kirchen & Klöster)

Über Jahrzehnte hinweg dämmerte in Speyer zwischen Hinterhäusern ein verfallenes und mit Unkraut bewachsenes Areal dahin. Lediglich ein paar Mauerreste erinnerten daran, daß hier einmal die Synagoge der alten Reichsstadt stand, die bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts abgetragen worden war. Den Einwohnern der Stadt schien vergessen, welches architektonisches Kleinod hier tief im Boden verborgen liegt.Und Besucher der Stadt, die in Büchern etwas von einer imposanten mittelalterlichen Anlage gelesen hatten, fanden diesen unscheinbaren Hinterhof entweder meist erst gar nicht oder standen vor einem verschlossenen Holztor. Erst im Vorfeld des 2.000jährigen Stadtjubiläums erinnerte man sich an das Bauwerk und das Judenbad wurde neu entdeckt. Seitdem kommen Menschen aus aller Welt, darunter viele Juden, nach Speyer, um die Wurzeln ihrer deutschen Vergangenheit kennenzulernen.
Die Synagoge und das Ritualbad waren einst baulich dem gewaltigen Dom nicht unähnlich, denn für beide Bauwerke wurden damals die gleichen roten Sandsteine in der gleichen Bautechnik vermauert: Kreuzgratgewölbe, romanische Rundbogenfenster, Tympanon über dem Eingang, Säulen und Halbsäulen mit Würfelkapitellen. Davon blieb aber bis auf den unteren Teil der Ostwand nichts mehr erhalten.
Gebaut wurde diese Anlage übrigens von den gleichen Bauarbeitern, die auch am Dom gebaut hatten. Für das Bad mußte zunächst eine riesige Grube ausgehoben und die Anlage von unten her aufgemauert werden. Über zwei Treppen gelangt man noch heute in den Vorraum, der von Kunsthistorikern als der bedeutendste Raum der Anlage angesehen wird. Er ist mit einer Bank zur Kleiderablage und einem Doppelfenster ausgestattet, das den Blick auf den Badeschacht freigibt. An seiner Westseite führt die Treppe in einem halbrunden Bogen zur Schachtsohle, wo das Grundwasser in einem Becken gefaßt ist.
Das „lebendige“ Wasser erneuert sich über den feinen Fließsand, was nach den jüdischen Gesetzen für die rituelle Reinigung vorgeschrieben ist. Frauen war sie nach der Regelblutung allmonatlich ebenso vorgeschrieben wie vor der Hochzeit und nach einer Geburt. Das Untertauchen im eiskalten Wasser war im Winter zweifellos keine leichte Pflicht. Eigens eingestellte
Wärterinnen waren den Frauen beim Bad behilflich.
Die Auftraggeber eines so gewaltigen, architektonisch anspruchsvollen und technisch aufwendigen Bauwerks konnten nur geachtete Leute gewesen sein. Während der Bauzeit, die um 110 angenommen wird, hatten die Juden in Speyer noch ein hohes Ansehen. Ihnen war es zu verdanken, daß sie unter dem Schutz von Bischof und Kaiser durch ihre Verbindungen Waren
aus der gesamten damals bekannten Welt in die Stadt am Rhein bringen konnten. Dieser Wirtschaftsleistung verdankte Speyer im Mittelalter ein Teil der Macht. Und nicht vergessen werden darf die höhere Bildung der Juden, die dem geistigen Leben der Stadt besonderen Glanz gab.
Das Ritualbad in Speyer ist die älteste und am besten erhaltene Anlage dieser Art in Mitteleuropa. Nach dem jüdischen Glauben mußten die Bäder mit auf natürliche Weise zusammengeflossenem Wasser gefüllt werden. Auf keinen Fall durfte es eingeleitet oder gar aufgefüllt werden. Von dieser Vorgabe leitet sich auch der hebräische Namen der Ritualbäder ab, Mikwe. Da den Juden bereits damals die Qualität des Rheinwassers nicht genügte, ließen sie den eindrucksvollen Tiefbau anlegen.
Juden sind zwar schon in den römischen Städten, also auch in Speyer, bezeugt, aber in größerer Zahl wanderten sie erst viel später nach Deutschland ein. Sie waren eine geistige Elite, die anfangs gerufen und gebraucht wurde. Als 1084 die Juden in Mainz verfolgt wurden, nahm der Speyerer Bischof Rüdiger viele mit offenen Armen auf und siedelte sie in der Vorstadt Altspeyer an.
Die Christen haben ihnen den Nutzen, den sie von der jüdischen Weltoffenheit, Tüchtigkeit und Gelehrsamkeit hatten, wiederholt übel vergolten. Während der ersten großen Judenverfolgung zu Beginn des ersten Kreuzzugs 1096 konnte der Speyerer Bischof die Juden noch schützen, indem er sie in seine Pfalz aufnahm. Nach der Hochblüte jüdischer Kultur unter den salischen Kaisern – Heinrich IV. hatte die Juden mit weitreichenden Privilegien ausgestattet – sank ihre soziale Stellung im Verlauf des 12. Jahrhunderts. Im Fernhandel waren sie nicht mehr gefragt, da im Gefolge der Kreuzzüge auch die Christen
Handelsverbindungen in den Mittelmeerraum aufbauten. So wurden die Juden auf den Geldhandel abgedrängt. Dies führte immer wieder zu wirtschaftlichen und sozialen Spannungen, die wiederholt in Pogromen zum Ausbruch kamen.
Mit der großen Pestwelle wurden 1349 alle Juden aus Speyer vertrieben oder erschlagen. Begründet wurde dieser Racheakt
damit, daß sie die Brunnen vergiftet hätten. Drei Jahre später wurden sie wieder in der Stadt aufgenommen. Der Magistrat ließ die Männersynagoge aus dem Jahr 1104 wieder instand setzen und auf eigene Kosten eine Frauensynagoge anbauen.
1534 wurde die jüdische Gemeinde in Speyer endgültig aufgelöst und die Juden verstreuten sich im kurpfälzischen und fürstbischöflichen Umland. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Judenhof zu einem kulturellen und geistlichen Zentrum in der Stadt geworden. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts war die Mikwe mit einem Backsteingebäude überbaut worden, das als Gästehaus genutzt wurde.
Nach dem Abriß der Synagoge und der Einebnung des Geländes kam der ganzen Anlage zugute, daß sie größtenteils unterirdisch gebaut worden war. Heute liegt das eigentliche Bad rund zehn Meter unter dem Straßenniveau. Es gibt den Besuchern der Stadt ein beeindruckendes Zeugnis aus einer Zeit, von der nur noch wenige sichtbare Zeichen erhalten sind.

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