„Sein Diplomatisches Cabinett brauchbar machen“
17.05.98 (Forschung & Archäologie, Museen & Archive)
Werk einer Gelehrtenfamilie: Was Vater Johann Christoph Gatterer begonnen hat, setzte Sohn Christoph Wilhelm fort
Das 18. Jahrhundert, in dem Johann Christoph Gatterer den Grundstein für seine Sammlung legte, war vom Geist der großen wissenschaftlichen Enzyklopädien geprägt. Es war die Zeit von Diderot und d’Alembert in Frankreich, der Encyclopaedia Britannica oder Zedlers großem vollständigen Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste in 68 Bänden. Eine Leidenschaft zum Sammeln und Systematisieren hatte die Gelehrten erfasst. Diesem Denken verpflichtet war auch der bedeutende Wissenschaftssystematiker und -organisator Johann Christoph Gatterer, geboren 1727 in Lichtenau bei Ansbach, gestorben 1799 in Göttingen.
Aufgewachsen ist er in Nürnberg, und den Grundstein für seine umfassende Bildung legte er in heimlichen Studien auf dem Dachboden, weil der Vater ihm allzu heftiges Lernen verwehrte. An der Altdorfer Universität studierte Gatterer Geschichte, Philosophie und Philologie, vor allem orientalische Sprachen, dazu kamen Mathematik und Theologie. Durch die Freundschaft zum Juristen Johann Heumann, der den jungen Gelehrten förderte, lernte er die Disziplinen Diplomatik (Urkundenlehre) und Sphragistik (Siegellehre) kennen, dazu eine Praxis, die er später als Lehrender selber übernahm: im Unterricht Originale als Anschauungsmaterial zu verwenden. Überdies erbte Gatterer von Heumann dessen Urkunden- und Siegelsammlung. Dies war der Grundstock für den Gatterer-Apparat.
1759 wurde Gatterer nach Göttingen berufen, wo er 40 Jahre lehrte. Er übernahm nun auch Vorlesungen in „Historischer Enzyklopädie“ und zu den „Historischen Hülfswissenschaften“. Und er hat als erster die Diplomatik mit wissenschaftlicher Begründung den Historischen Hilfswissenschaften zugeordnet. In Göttingen erweiterte er seine Sammlung um den Nachlass seines Vorgängers an der Universität, Köhler, mit Exponaten aus Numismatik, Diplomatik, Heraldik und Geographie. Gatterer betrieb eine Systematisierung der Schriftmerkmale von Urkunden und Handschriften, die er immer mehr verfeinerte, getreu dem System, das Linné für Pflanzen aufstellte.
Und der Professor nutzte die „Beweisstücke“ für seinen Anschauungsunterricht; ihm wurde eine „ungemein pragmatische Lehrart“ bescheinigt. Nach dem damaligen wissenschaftlichen Sprachgebrauch war ihm seine stetig wachsende Sammlung ein thematisch vorbildlich sortierter „Lehr-Apparat“, wonach sie letztlich ihren Namen erhielt. Eine zeitgenössische Gelehrtengeschichte charakterisiert die Methode des Göttinger Professors: „Bey Erklärung der Diplomatik sucht in Sonderheit der Professor Gatterer sein ziemlich vollständiges diplomatisches Cabinett den Zuhörern auf alle Weise brauchbar zu machen. Er besitzt nehmlich nicht nur alle Hauptarten von Siegeln, Monogrammen, Canzlerszeichen, Chrismen, Alphabeten, Schriften, Schreibgeräthschaften etc., sondern er hat auch eine hinreichende Anzahl Urkunden, sowohl im Original, als in Kupfer gestochen, gezeichnet, außerdem sind ihm auch zum Behuf seiner diplomatischen Vorlesungen aus dem Königlich-Churfürstlichen Archive einige 20 Stücke besonders nützlicher und zum Theil sehr alter Original-Urkunden anvertraut worden.“
Nach des Vaters Tod führte Sohn Christoph Wilhelm Jakob Gatterer das Werk fort. Er wurde 1759 in Göttingen geboren, starb 1838 in Heidelberg, wohin der Forstwissenschaftler 1787 als Professor für Cameralwissenschaften und Technologie berufen wurde. 1797 verlieh man ihm eine Professur für Diplomatik. Gatterer vermehrte die väterliche Sammlung, die allein vier- bis fünfhundert Urkunden umfasste. Nach dem durch die historischen Wirren des 18. Jahrhunderts möglich gewordenen Kauf wertvoller Dokumente aus der Heidelberger Güteradministration – sie wurden von der Verwaltung als beinahe wertlos eingestuft und Gatterer nutzte dies aus -, wuchs allein die Urkundensammlung auf 4.558 Exemplare an. Die Urkunden, deren älteste aus dem 9. Jahrhundert stammt, sind chronologisch geordnet, daran hat sich bis heute nichts geändert.
Nach Gatterer jun. Tod versuchten Witwe und Tochter, die Sammlung komplett oder auch in Teilen zu verkaufen. Aber – und das klingt heute wie ein Märchen – sie fanden nicht einen Interessenten. Bibliothek und Münzsammlung wurden schließlich einzeln veräußert. Nach einigem Hin und Her kauften die Zisterziensermönche von St. Urban, einem Kloster im Schweizer Kanton Luzern, den Gatterer-Apparat für 2.700 Gulden von Clementine Gatterer. Dies, nachdem die Mönche vom Vermittler, dem Luzerner Staatsarchivar Keller (einem Bekannten Gatterers) nachdrücklich darauf hingewiesen wurden, dass der Kauf „in der Zeit eine wahrliche Rettung eines Schatzes, der später erst noch grösseren Werth erlangen würde“, sei.
Hinter Klostermauern geriet die Sammlung freilich in Vergessenheit, obwohl die Mönche den Apparat für Forschungszwecke zur Verfügung stellten. Mit der Säkularisierung des Klosters St. Urban 1848 als Folge des Schweizer Sonderbundkrieges kam der Gatterer-Apparat schließlich gemeinsam mit der Klosterbibliothek nach Luzern, zunächst in die Kantonsbibliothek, 1870 dann ins Staatsarchiv. Von dort nahm die Sammlung im vergangenen Jahr ihren Weg nach Speyer.
Quelle: unbekannt