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Hockenheim und die Zigarrenindustrie

24.02.02 (Arbeit & Soziales, Handel & Handwerk)

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert führte auch in der badischen Rheinebene zu einem Strukturwandel im Wirtschaftsleben. Der französische Einfluss machte sich bemerkbar – nicht nur auf politischer Ebene. Französische Soldaten hatten auf ihren Feldzügen die ersten Zigarren mitgebracht, das Rauchen kam mit den Jahren auch in Deutschland in Mode. Noch mußte der Tabak teuer aus Übersee importiert werden. In Hamburg entstand 1788 die erste Zigarrenfabrik. Die gewaltige Nachfrage nach den gerollten Tabakblättern ließ relativ rasch einen neuen Industriezweig entstehen: die Zigarrenproduktion.
Auf der Suche nach billigeren Arbeitskräften wurde man in Baden fündig. Von großem Vorteil war, dass bereits im 18. Jahrhundert französische Einwanderer den Tabakanbau in der Kurpfalz heimisch gemacht hatten. Diese wirtschaftlich interessante Kombination führte dazu, dass bereits 1860 von Ludwig Piazolo und Karl Ickrath die erste Zigarrenfabrik in Hockenheim gegründet wurde.
Viele Menschen fanden Arbeit, immer neue Zigarrenfabriken entstanden. In der Glanzzeit der Zigarrenherstellung arbeiteten über 2.000 Männer, Frauen und Kinder in den 28 Fabriken der Stadt, die aber teilweise mit dem Prädikat “Zigarrenquetsche” ausgezeichnet waren. Darunter verstand man einen Kleinbetrieb, in dem man “so vor sich hin wurschtelte” – und dabei sogar noch Geld verdiente.
Es gab aber auch stattliche Produktionsgebäude wie die 1910 fertiggestellte GEG (hinter der Stadtkirche) mit rund 700
Beschäftigten oder die um 1900 errichtete Zigarrenfabrik Eckert in der Oberen Hauptstraße (heute Sitz des Tabakuseums).
Allein durch das Einkommen der in der Stadt lebenden Bauern und Arbeiter, die um diese Zeit den Großteil der Hockenheimer Erwerbstätigen ausmachten, wäre damals der Bau der Kirchen, des Rathauses, der Pestalozzi-Schule und des Wasserturms nicht realisierbar und finanzierbar gewesen. Es bedurfte dazu schon der Kaufleute und Kleinunternehmer, also eines gewissen bürgerlichen Mittelstandes, der auch gerade durch die selbständigen Zigarrenproduzenten im Ort entstanden war.
Den Preis dafür mussten die Beschäftigten in den Fabriken zahlen. Die tägliche Arbeitszeit betrug noch im Jahr 1907
elf Stunden. Die Arbeit begann um 5 Uhr und endete um 19 Uhr. 1909 hatte sich die Situation zur Freude der Beschäftigten spürbar geändert: Montags bis samstags mußte nur noch von 6 bis 18 Uhr gearbeitet werden. Frauen wurde zugestanden
(bei entsprechend vermindertem Lohn), eine Stunde früher zu gehen, wenn es die familiäre Situation erforderte.
Der Tagesverdienst eines Tabakfabrikarbeiters betrug 1886 im Sommer 1,50 Mark, im Winter eine Mark. Er konnte schon variieren, denn bezahlt wurde nach Wickel und fertigen Zigarren. Bis 1914 gab es für 100 Wickel 25 Pfennig, für 100 Zigarren bis zu 48 Pfennig. Dafür musste zuerst von dem im unteren Teil entrippten Umblatt die Spitze entfernt und als Aufleger benutzt werden. Die vorbereitete Mischung aus kleingeschnittenen Brasil, Java und einheimischen Tabaken kamen ins Blatt. Der Wickel entstand durch das Einrollen des Umblates mit der Mischung. 20 Wickel kamen danach zum Pressen in eine Form, die nach einer Stunde gewendet wurde. Inzwischen wurden die Deckblätter aus Sumatratabaken vorbereitet. Sie wurden entrippt, die Blatthälften seitengleich glatt und geschmeidig gemacht und dann aufeinander gelegt. Der letzte, aber mit wichtigste Arbeitsgang war dann das Schneiden der passenden Form der Deckblätter auf einem Rollbrettchen und das Einrollen der Wickel von der Spitze des Sumatrablatts her.
Mit dem 1. Weltkrieg wich die Nachfrage nach Zigarren einem steigenden Zigarettenkonsum. Dies führte auch zu Absatzschwierigkeiten der Hockenheimer Zigarrenfabriken, so dass zunächst die kleineren Betriebe ihre Produktion einstellen mussten. Um 1929 sind noch rund 900 Arbeitsplätze in den Zigarrenfabriken gemeldet. Die Naziherrschaft führte nur wenige Jahre später zur “Arisierung” der zum Teil jüdischen Familien gehörenden Fabriken. Mit der Währungsreform nach dem 2. Weltkrieg kam das Zigarrenrauchen aus der Mode, immer mehr Raucher griffen zur Zigarette. Für wenige Jahre erlebte die Zigarre während des Wirtschaftswunders nochmals eine Renaisance. Die Zigarrenindustrie in Hockenheim fand 1979 ihr Ende, als die Firma Neuhaus in der Bahnhofstrasse ihre Produktion schließen musste.
Was heute bleibt, ist die Erinnerung an eine Epoche, die mit der wirtschaftlichen Entwicklung Hockenheims untrennbar verbunden ist. Das Tabak-Museum trägt dieser Bedeutung in eindrucksvoller Weise Rechnung und konserviert für die Nachwelt einen bedeutenden Abschnitt der Stadtgeschichte und macht das Leben während einer 120-jährigen Epoche wieder transparent.

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