Kurpfalz Regional Archiv

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Straßen aus Furcht verdunkelt

24.12.04 (Geschichte allg., Landschaft & Orte)

Bomen auf Stadthaus 1940Erinnerungen an die letzte Kriegsweihnacht 1944 in Speyer / An erster Stelle der Wunsch nach Frieden
Weihnachten heute: Speyer, eine Stadt im Lichtermeer. Das Altpörtel mit seinem hell leuchtenden Helm auf der barocken Haube zeigt sich auch von der „Feindseite“ her als historisches Prachtstück. Die Speyerer Hauptstraße lebt. Viele Menschen aus dem pfälzischen Umland und aus dem Badischen kommen als Schaulustige, aber auch als Käufer. Der Weihnachtsmarkt bleibt eine Attraktion. Und eine neue, die Eisbahn vor dem Altpörtel, kam hinzu. Inmitten der Geschäftigkeit, der Spazierenden und Eilenden spielt ein Mann mit klammen Fingern auf seiner Querflöte „Tochter Zion“. Der Blick zurück auf die letzte Kriegsweihnacht könnte nicht größer sein.

Die Stadt bot in den eiskalten Wintertagen im Dezember 1944 ein trostloses Bild: Keine Glocke erklang, spätestens 1942 waren – mit wenigen Ausnahmen – die Glocken von den Türmen geholt worden. Kein Licht fiel auf die Straßen. Die Geschäfte konnten ihre Ware, sofern sie welche hatten, nicht im Schaufenster zeigen. Wer nicht vollständig „verdunkelt“ hatte, wurde gerügt., wenn nicht sogar bestraft. An Weihnachten 1944 war die Hauptstraße am Abend wie leer gefegt, die Christmette im Dom auf 16.15 vorverlegt worden. Aber während der Mette lärmten die Sirenen „Vorwarnung zum Fliegeralarm“. An dieser letzten Kriegsweihnacht verkrochen sich die Speyerer in sich selbst. Viele fragten sich: Werde ich nach fünfeinhalbjähriger Kriegszeit das Inferno überleben?
Speyer musste im Zweiten Weltkrieg nicht die schweren Luftangriffe erleiden wie Dresden, Hamburg, Pforzheim und das benachbarte Ludwigshafen, musste nicht die Verluste hinnehmen wie Freiburg, wo am 21. November 1944 innerhalb von 20 Minuten im Bombenhagel 3.000 Menschen starben, allein 70 Telefonistinnen von den Trümmern des Telegrafenamtes erschlagen wurden. Doch verloren auch bei Luftangriffen auf Speyer 53 Menschen ihr Leben. Am 8. und 16. Dezember 1944 fielen Brandbomben auf das Bahnhofsviertel und das St. Guido-Stift. Die Angst ging um. Wird die Rheinbrücke bombardiert und dabei auch die Stadt heimgesucht? Nur drei Wochen nach Weihnachten, am 13. Januar 1945, zerstörten alliierte Bomber die Rheinbrücke bei Maximiliansau und die Industrieanlagen in der Nähe.
Für die meisten Deutschen war der Krieg längst verloren. Zwar erlahmte in der Endzeit des NS-Regimes auch der Mut der Mitläufer, selbst die Profiteure der Macht übten sich mehr und mehr in Zurückhaltung, aber es gab sie noch, die treu ergebenen Anhänger Hitlers. Am 20. Dezember 1944 stand in einer Todesanzeige zu lesen, dass Adam H. aus Ludwigshafen gefallen ist – mit dem Zusatz: Sein Glaube war nur Deutschland und sein geliebter Führer“. In den Zeitungsredaktionen, besonders in der „NSZ Westmark“ flüchtete man in Pathos, in hehre Allgemeinheit. Hier einige Schlagzeilen während der Weihnachtszeit 1944: „Der Wall der Waffen und der Herzen“ – „Die standhafte Abwehr am Westwall“ – „Grenzlandvolk auf den Schanzen“ – „Das Zusammenwirken von Wille und Tat“ – „Kampfentschlossener denn je“ – „Unbeugsam an brennenden Grenzen“. Die Durchhaltesprüche waren von der Art: „Wenn man gezwungen werden soll, nicht mehr zu sein, so muss man sich zwingen, erst recht zu sein.“
Am 16. Dezember erobern die Amerikaner Schweigen, Rechtenbach und Schweighofen, und sie stoßen tags darauf von dort aus bis auf Kapsweyer vor. Die Nähe der Kampflinie birgt für Speyer viele Gefahren, aber auch die Chance auf ein schnelles Kriegsende, wenigstens auf der linken Rheinseite. Doch die Amerikaner wollen die eigene Kräfte schonen, das Frühjahr abwarten, um bei klarem Wetter ihre massive Luftüberlegenheit voll nutzen zu können.
Im Speyerer Rathaus herrschte Ratlosigkeit. Die Hauptaufgabe der städtischen Behörden bestand darin, den Mangel zu verwalten und für Disziplin bei der Abgabe landwirtschaftlicher Produkte zu sorgen. Der im April 1943 als Nachfolger von Karl Leiling angetretene, von Gauleiter Josef Bürckel in das Amt des Speyerer Oberbürgermeisters eingeführte Rudolf Trampler verstummte mehr und mehr. Er hatte noch 1943 in den Historischen Ratssaal gerufen: „Ich schließe die heutige Feier im Gedenken an den Mann, dem wir alles verdanken, und der uns zum Sieg führen wird, Adolf Hitler, Sieg heil, Sieg heil!“
Auch die sakralpatriotisch eingefärbten Weihnachtsfeiern im Stadtsaal, von Hitler-Jugend und NS-Frauenschaft für verwundete Soldaten  aus den Speyerer Lazarett arrangiert, verbreiteten nur momentan vage Hoffnungen auf die „Wende“ im Krieg. Die Redner sprachen über die Erfolge der am 16. Dezember 1944 begonnenen Ardennen-Offensive (die allerdings drei Wochen später, am 8. Januar 1945, zusammenbrach).
Gewiss waren auch an Weihnachten 1944 Glocken zu hören, aber nur aus dem Radio, aus den Volksempfängern. In Grüßen von der Front in die Heimat erzählten Soldaten von Bescherungen in Bunkern und Schützengräben. Penetrant wurde Optimismus verbreitet. Aber die Berichte aus dem Radio vermochten die Resignation, das Bangen um den Vater, den Sohn, den Bruder an der Front nicht zu kaschieren.
Für viele Familien war es eine tränenreiche und stille Weihnacht. Speyer hat im Zweiten Weltkrieg 1.464 Gefallene zu beklagen. Die meisten von ihnen lebten an Weihnachten 1944 nicht mehr. Hinzu kamen 263 Vermisste.
 
Aus: Die Rheinpfalz vom 24.12.2004
Autor: Ferdinand Schlickel

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