Geschichte des Gatterer-Apparates
17.10.97 (Forschung & Archäologie, Museen & Archive)
Mit der Erwerbung des Gatterer-Apparates für das Landesarchiv Speyer kehrt ein Stück Kulturgut an den Oberrhein zurück, dem hinsichtlich seiner historischen Bedeutung für diesen Landstrich kaum etwas an die Seite gestellt werden kann
Bereits aus der Zeit vor dem Tod Christoph Wilhelm Jakob Gatterers (1838) gibt es Hinweise auf Pläne zum Verkauf der Sammlung. Allem Anschein nach ist noch zu seinen Lebzeiten oder unmittelbar nach seinem Tod ein Teil davon an den mit ihm befreundeten Grafen Carl von Graimberg veräußert worden, der seine Sammlung testamentarisch der Stadt Heidelberg vermachte. Ein Teil der heutigen Urkundenbestände im Heidelberger Stadtarchiv könnte demzufolge ursprünglich aus dem Besitz Gatterers stammen, doch sind zur endgültigen Klärung dieser Frage noch weitere Forschungen nötig.
Der größte Teil der Sammlung fiel jedoch nach Gatterers Tod an seine Witwe und seine Tochter, die den Gatterer-Apparat 1839 für 2.700 Gulden an das Kloster St. Urban im Schweizer Kanton Luzern verkauften, nachdem sich in Deutschland kein Interessent gefunden hatte, der bereit gewesen wäre, diesen Preis zu bezahlen. Nach der Aufhebung des Klosters St. Urban 1848 gelangte die Sammlung in die Luzerner Kantonsbibliothek. Der Kanton Luzern beabsichtigte zunächst, den Gatterer-Apparat weiterzuverkaufen; Verhandlungen mit dem Britischen Museum in London scheiterten am geforderten Preis von 12.000 Schweizer Franken. Man ging von solchen Plänen schließlich ganz ab, als in der Presse Kritik wegen Verschleuderung von Kunstschätzen aufkam.
1870 wurde der Gatterer-Apparat in das Luzerner Staatsarchiv verlagert, dessen Archivar von Liebenau in den darauffolgenden Jahren ein Verzeichnis (Repertorium) anlegte, das bis heute den einzigen Zugang zum Gatterer-Apparat bildet. Zugleich machte von Liebenau die in Deutschland praktisch in Vergessenheit geratene Sammlung wieder bekannt. Der Gatterer-Apparat wurde nun von deutschen Historikern für ihre Forschungen herangezogen; in den zwanziger Jahren wurden aus diesen Kreisen Stimmen laut, die sich für einen Rückkauf des Gatterer-Apparates aus der Schweiz einsetzten.
Die Bemühungen um den Gatterer-Apparat wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von Seiten des Staatsarchivs Speyer wieder aufgenommen. In den fünfziger Jahren reiste der Speyerer Archivar Ludwig Anton Doll (1972 – 1984 Leiter des Staats- bzw. Landesarchivs Speyer) mehrmals nach Luzern und verfilmte dort Teile des Gatterer-Apparats. Doch erst 1974 gelangte eine Kopie des gesamten Liebenau-Repertoriums nach Speyer.
Der Nachfolger Dolls in der Leitung des Landesarchivs Speyer, Karl Heinz Debus, führte 1986 Verhandlungen mit den Luzerner Kollegen und gab 1993 den Anstoß für Verhandlungen zwischen der rheinland-pfälzischen Landesarchivverwaltung und dem Staatsarchiv Luzern über einen Verkauf des Gatterer-Apparates. Die Schweizer verbanden ihre Bereitschaft zu einem Verkauf für den Preis von 1 Million Schweizer Franken mit der Forderung, dass die Sammlung nicht auf mehrere Archive aufgeteilt werden dürfe und in dem aufnehmenden Archiv als geschlossener Bestand erhalten bleiben müsse.
Der Vertrag über den Verkauf zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem Kanton Luzern wurde 1996 abgeschlossen. Da für den Ankauf keine Haushaltsmittel zur Verfügung standen, wurde er ausschließlich durch Sponsorengelder finanziert. Am 18. Februar 1997 wurde der Gatterer-Apparat aus Luzern ins Landesarchiv Speyer transportiert; die Eigentumsübertragung erfolgte vertragsgemäß mit der Zahlung der zweiten Rate des Kaufpreises am 1. Juni 1997.
Inhalt und Bedeutung des Gatterer-Apparates
Der größte Teil der Urkunden im Gatterer-Apparat stammt aus dem Archiv der Geistlichen Güteradministration, einer kurpfälzischen Behörde in Heidelberg, die für die Verwaltung des während der Reformation im 16. Jahrhundert säkularisierten Kirchengutes zuständig war. Ein deutlicher geographischer Schwerpunkt liegt im Bereich von Worms und Alzey mit Ausstrahlung nördlich bis in die Umgebung von Mainz und südlich in die Gegend von Frankenthal, Ludwigshafen und Bad Dürkheim. Sehr gut vertreten ist aber auch der Raum von Kaiserslautern (Otterberg) und die Weinstraße (Neustadt, Edenkoben). Daneben finden sich aber auch Urkunden aus weiter entfernten Gebieten wie etwa den Niederlanden, Norddeutschland, Schweden, der Schweiz, Österreich und Siebenbürgen.
Den zweiten Teil des Gatterer-Apparates neben der Urkundensammlung bildet die Diplomatische Sammlung, die Johann Christoph Gatterer zu Lehrzwecken für seine Vorlesungen in Göttingen angelegt hat. Dazu gehören Materialien zur Schriftkunde wie Beschreibstoffe und Schreibgeräte, Alphabete aus aller Welt, Schriftproben und Urkunden in Kupferstichen, Siegelstempel, Originalsiegel und Siegelabdrücke sowie Manuskripte.
Die besondere Bedeutung des Gatterer-Apparats für Speyer als Landesarchiv für Rheinhessen und die Pfalz liegt darin, dass durch die historischen Umbrüche Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts ein Großteil der reichhaltigen mittelalterlichen Überlieferung dieses Gebietes außer Landes kam und bis heute teilweise weit verstreut an verschiedenen Orten lagert. Zu nennen wären vor allem Karlsruhe, Darmstadt (für die rheinhessische Überlieferung) und München, wohin in der Zeit der Zugehörigkeit der Pfalz zu Bayern im 19. Jahrhundert alle pfälzischen Urkunden aus der Zeit vor 1400 abgegeben werden mussten.
Mit der Erwerbung des Gatterer-Apparates für das Landesarchiv Speyer kehrt also ein Stück Kulturgut an den Oberrhein zurück, dem hinsichtlich seiner historischen Bedeutung für diesen Landstrich kaum etwas an die Seite gestellt werden kann.
Johann Christoph Gatterer (1727-1799)
Johann Christoph Gatterer wurde 1727 in Lichtenau bei Ansbach geboren und wuchs in Nürnberg auf, wo sein Vater als Gefreiter in der Stadtmiliz diente. Obwohl die Familie dort in ärmlichen Verhältnissen lebte und der Vater für ihn eine Handwerkerlehre vorgesehen hatte, verfolgte Gatterer schon von früher Jugend an mit großer Energie das Ziel, die Geisteswissenschaften, denen sein ganzes Interesse gehörte, irgendwann auch zu seinem Berufsinhalt zu machen. Schon mit 13 Jahren gab er Nachhilfeunterricht u. a. in Latein und Griechisch.
Nach seinem Studium an der Universität Altdorf bei Nürnberg von 1747 bis 1751 war Gatterer einige Jahre als Lehrer an einem Nürnberger Gymnasium tätig, bis er 1759 als Professor für Geschichte an die Universität Göttingen berufen wurde. Dort erlangte er in seiner vierzigjährigen Lehrtätigkeit, die bis zu seinem Tod 1799 dauerte, große Bedeutung als eigentlicher Begründer der sog. Historischen Hilfswissenschaften (Diplomatik, Chronologie, Genealogie, Heraldik, Numismatik), die bis heute die Grundlage für jede Art seriöser Geschichtsforschung darstellen.
Christoph Wilhelm Jakob Gatterer (1759-1838)
Christoph Wilhelm Jakob Gatterer wurde 1759 in Göttingen als fünftes Kind Johann Christophs kurz nach dessen Übersiedlung dorthin geboren. Er studierte dort Kameralwissenschaften (Lehre von der Staatsverwaltung, Wirtschafts- und Finanzpolitik) und wurde schon kurz nach seiner Promotion 1787 als Professor für dieses Fach an die Universität Heidelberg berufen. Eine zusätzliche Professur für Diplomatik (Urkundenlehre) erhielt er dort 1797. Bedeutend war seine Tätigkeit in Heidelberg vor allem auf dem Gebiet der Forstwissenschaft, wo er mit zahlreichen Veröffentlichungen hervortrat.
1799 übernahm er nach dem Tod seines Vaters dessen zu Lehr- und Demonstrationszwecken für das Fach Historische Hilfswissenschaften angelegte Sammlung („Apparat“) von ca. 500 Urkunden sowie Siegeln, Schriftproben etc. als Alleinerbe. Auch er bezog diese Sammlung in seine Heidelberger Lehrveranstaltungen ein. Während der politischen Umbrüche in dieser Zeit (1797/1801 Abtretung des linksrheinischen Gebietes an Frankreich, 1803 Übergang der rechtsrheinischen Pfalz an Baden) gelangten auch ca. 4000 Urkunden aus der Registratur der in Auflösung begriffenen kurpfälzischen Geistlichen Güteradministration zu Heidelberg in die Sammlung Gatterers, wodurch der Gatterer-Apparat im wesentlichen seine heutige Gestalt erhielt.
Quelle: Pressemitteilung Staatsarchiv Speyer