Tanzpädagogin aus London studiert mit Hockenheimer Tanzgruppe „I Danzatori Palatini“ historische Tanzformationen ein
Tanzen ist weit mehr ist als nur Bewegung und Musik. Geschichte,  Theater, Kunst, Architektur, Mode, Literatur und das soziale Umfeld  einer jeden Epoche werden für Momente wieder lebendig und schlagen somit  einen nachvollziehbaren Bogen in die Vergangenheit. Geschichte wird  erlebbar, ebenso wie die gesellschaftlichen Ausdrucksformen. Bereits  1979 erkannte man an der Volkshochschule Hockenheim diese Vielfalt und  führte als erste VHS in Baden-Württemberg einen Kurs für historische  Tänze durch. Der Wunsch, neben der Freude am Tanzen sich auch noch  intensiver mit der begleitenden Kulturgeschichte zu beschäftigen, führte  wenig später zur Gründung der Gruppe „I Danzatori Palatini”.
Dank  des Engagements der am Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium tätigen  Sportpädagogin Anna-Maria Avenius nahm die Formation eine rasante  Entwicklung und gilt heute als eines der angesehensten Formationen für  historische Tänze in ganz Baden-Württemberg und weit darüber hinaus.  Grund für die Bekanntheit sind nicht nur die stets schillernden und  farbenträchtigen Roben aus dem Barock, Rokoko oder Biedermeier, sondern  vielmehr die Tatsache, dass stets Tänze nach alten Vorlagen und  Schrittfolgen in originaler Choreographie aufgeführt werden.
Diese  historische Dokumentation überzeugte Tanzwissenschaftler und Tanzmeister  ebenso wie die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten  Baden-Württemberg. Seit einigen Jahren gehören nämlich die Tänzerinnen  und Tänzer von „I Danzatori Palatini“ zu den Gruppen, die Schlossfeste  in Bruchsal und Rastatt mitgestalten. Und die Landesregierung erinnert  sich ebenfalls immer wieder an die Hockenheimer Gruppe, wenn Empfänge  oder andere besondere Anlässe eines besonderen Augenblicks bedürfen.
Das  in den letzten 25 Jahren erarbeitete Repertoire beinhaltet heute  zahlreiche Tänze unterschiedlicher Gesellschaftsschichten aus dem 15.  bis einschließlich 19. Jahrhundert. Der Schwerpunkt liegt aber auf den  Hoftänzen der Renaissance, des Barock und Rokokos.
Unter der  Anleitung von Anni Avenius, die in der Zwischenzeit europaweit einen  guten Ruf als Expertin für historische Tänze genießt, werden die Tänze  auf der Grundlage historischen Quellenmaterials und unter Einbeziehung  alter Zeitdokumente einstudiert. Besonders wichtig für die tänzerische  Entwicklung der Gruppe sind aber die langjährigen Kontakte zu der wohl  bedeutendsten Tanzpädagogin in Europa, Madeleine Inglehearn von der  Royal School of Music in London.
Seit 15 Jahren kommt diese  Tanzmeisterin inzwischen regelmäßig in die Rennstadt, um den Tänzerinnen  und Tänzern in der Ausarbeitung historischer Tänze und der Verfeinerung  von Schrittfolgen weiterzuhelfen.
So herrschte einmal mehr eine  Woche lang eine emsiges Treiben im zum Tanzsaal umfunktionierten  Musiksaal des Gauß-Gymnasiums. Die verschiedenen Gruppen von „I  Danzatori Palatini“, aber auch die Tanzschüler der Nachwuchsgruppe  nutzten die Anwesenheit der englischen Tanzmeisterin, um sich intensiv  und konzentriert auf die kommenden Auftritte für die gerade beginnende  Saison in den herrschaftlichen Schlössern und Gärten vorzubereiten.  Schritt für Schritt, Drehung für Drehung näherte man sich dabei den  Originaltänzen des höfischen Lebens zur Zeit des Barocks in der  badischen Residenz des Türkenlouis zu Rastatt.
Dank der intensiven  Forschungsarbeiten von Madeleine Inglehearn als Tanzwissenschaftlerin  konnten sogar anhand von Originalpartituren die zum Teil recht  schwierigen und bisher unbekannten Schrittfolgen einstudiert werden. Und  dass dies sogar nach der Musik des badischen Hofkomponisten Fischer  möglich war, gab den Übungs- und Trainingseinheiten eine ganz besondere  Dynamik.
Interessant waren aber auch die ständigen Diskussionen und  Erörterungen der Tänze und der dazu passenden Musik. „Nur wenn man weiß,  wie zur Musik getanzt wird, kann man diese auch besser verstehen“,  betonte die Tanzmeisterin aus London immer wieder. So gebe die Musik  zwar die Schrittrhythmik vor, aber erst durch die tänzerische  Darstellungsform werde das Gehörte auch interpretiert.
Es sei gerade  diese Herausforderung, die sie immer wieder gerne nach Hockenheim kommen  lässt, erklärte Madeleine Inglehearn in einem Gespräch mit unserer  Zeitung. Mit den Tänzerinnen und Tänzern der Gruppe „I Danzatori  Palatini“ habe sie eine Formation gefunden, mit der es möglich sei, auch  schwierige Tänze im Original einzustudieren. „Dies ist bei weitem nicht  überall so möglich wie in Hockenheim“, galt das Lob der Vorsitzenden  der European Association of Dance Historiance, einer europäischen  Vereinigung für Tanzgeschichte und Tanzforschung, ihren  Seminarteilnehmern in der Rennstadt. Für sie sei Hockenheim zudem eine  idealer Standort, um auch Orte wie Mannheim, Heidelberg, Schwetzingen  oder Speyer besuchen zu können. Und wenn alles so klappt wie sie es sich  erhofft, dann könnte wohl mit „I Danzatori Palatini“ ein besonders  ehrgeiziges Projekt in die Tat umgesetzt werden, an dem Madeleine  Inglehearn schon seit einigen Jahren arbeitet – Musik und Szenen aus der  Barockzeit in einer der schönsten Barockanlagen Europas aufzuführen,  nämlich im Schwetzinger Schloss.
