Die Raugräfinnen von Heidelberg

Zu den bekanntesten Kirchen in der Heidelberger Altstadt gehört auch die Peterskirche. Hier begegnet man einem prächtigen Grabmal, das für zwei Frauen errichtet wurde, die im Leben der berühmten Liselotte von der Pfalz eine bedeutende Rolle spielten. Die beiden Damen sind ihre Halbschwestern, die Raugräfinnen Amalie Elisabeth und Louise von Degenfeld. Beide erhielten von Liselotte, eigentlich Elisabeth Charlotte Herzogin von Orléans, unzählige Briefe aus Frankreich, denn als Schwägerin des Sonnenkönigs Ludwig XIV. lebte Versailles.sie seit ihrer Heirat am Hofe von Versailles.
„Unter den Kirchen ist die älteste jene zu St. Peter, ursprünglich Kapelle zur heiligen Jungfrau in der Einöde“, ist in einem bereits 1834 erschienenen Fremdenführer über die Peterskirche zu lesen, die für den Autor K.C. von Leonhard „sehenswerth bleibt, um der Denksteine willen, denen man zahllose im innern und auf dem umgebenden Gottesacker findet.“
In der ersten urkundlichen Erwähnung Heidelbergs (1196) in einer Urkunde des Klosters Schönau wird ein „Leutpriester“ genannt, der „zu Sancta Petri“ Gottesdienste für das einfache Volk hielt. Daß die Peterskirche im Laufe der Jahrhunderte viele Veränderungen erfuhr, daß der Gottesacker (Friedhof), der sie umgab, dem Eisenbahntunnel weichen mußte, der in unserer Zeit zu einem Straßentunnel umgebaut wurde, sei nur am Rande erwähnt.
Im Mittelpunkt soll vielmehr das Marmordenkmal an der Stirnwand des Chores stehen, das einmal den beiden Raugräfinnen, den Halbschwestern der Liselotte von der Pfalz gewidmet ist, zum anderen ihrem Großneffen Friedrich Wilhelm Christoph von Degenfeld-Schomburg, der bereits elfjährig gestorben war. Eigentlich wurde das Denkmal von dessen Eltern errichtet, aber gleichzeitig auch dazu genutzt, die in der Peterskirche begrabenen Großtanten des Jungen zu würdigen.
Zu dem recht unbekannten Titel einer „Raugräfin“ kamen Louise und Amalie Elisabeth durch ihre Mutter. Sie hatte mit Kurfürst Carl Ludwig bereits während seiner Ehe mit der Mutter von Liselotte von der Pfalz, Charlotte, ein Verhältnis. Der Regent war also, wie man damals zu sagen pflegte, „zur linken Hand“ verheiratet. Nach seiner Trennung von Kurfürstin Charlotte suchte er für seine zweite Frau, die Freiin von Degenfeld, einen passenden Titel. Carl Ludwig entschied sich für den Titel eines längst ausgestorbenen Adelsgeschlecht der Raugrafen.
Liselotte selbst hatte ein ganz besonders herzliches Verhältnis zu ihren beiden Halbschwestern. So schrieb die Herzogin von Orléans aus Paris am 15. Dezember 1708 an die Raugräfin Amalie Elisabeth folgende Zeilen: „Liebe Amelie, wir sind einander zu nahe, umb uns, wie wir auch sein mögen, nicht von weitem oder nahe lieb zu haben. Es ist kein mensch in der welt perfect und ohne fehler, eines muß des anderen seine entschuldigen, aber wo gute gemüter sein, als wie bei Louise, ihr und die zeitung, so ich Euch heut von meiner gesundheit zu sagen habe, ich, da kompt man als wohl zu recht, das geblüt leßt sich fühlen.“
Nur wenige Tage vor ihrem Tod schrieb Liselotte von der Pfalz im Dezember 1722 ihrer Halbschwester Louise, ihr waren die meisten Briefe die zeitung, so ich Euch heut von meiner gesundheit zu sagen habe, überhaupt gewidmet: „Herzallerliebste Louise, die zeitung, so ich Euch heut von meiner gesundheit zu sagen habe, werden Euch wohl gar nicht gefallen. Ich werde täglich elender, möchte wohl ein schlimm end nehmen, aber ich bin gottlob zu allem bereit, bitte nur den Allmächtigen, mir geduld zu verleihen in meinen großen Schmerzen, so ich nach und tag ausstehen muß, sowohl durch meine erschreckliche schwachheit, als auch sonsten mein elender leben.“
Daß die beiden Raugräfinnen nicht in der Heiliggeistkirche, der Grablege der kurfürstlichen Familie, beigesetzt wurden sondern in der Peterskirche, lag daran, daß die beiden Töchter aus der morganatischen (nicht standesgemäßen) Ehe des Kurfürsten Carl Ludwig durch den damals in Düsseldorf befindlichen Hof gesellschaftlich nicht anerkannt waren.
Die beiden Raugräfinnen Amalie Elisabeth, sie starb 1709, und Louise von Degenfeld, sie starb 1733 in Frankfurt, wurden, was auch in alten Dokumenten nachzulesen ist, unterhalb des Marmordenkmals im Kirchenboden in einer Gruft bestattet. Bis heute fanden aber noch keine ar chäologischen Ausgrabungen statt, die diese Grablege auch belegen könnten. So zeugen allein das Marmordenkmal und die Grabplatte der Amalie Elisabeth, die jetzt in einer Seitenwand eingelassen ist, von der letzten Ruhestätte der beiden Raugräfinnen.                              og

Madame am Hofe des Sonnenkönigs

Noch heute ist die Liselotte von der Pfalz überall in der weiten Kurpfalz ein Begriff und vor allem durch ihre über 50.000 Briefe nach deren Veröffentlichung populär geworden. Selbst in Frankreich kennt man Elisabeth Charlotte, Prinzessin von der Pfalz, spätere Herzogin von Orléans, unter „La Palatine  Duchesse D’Orléans“.
Als Tochter des Kurfürsten Carl Ludwig erblickte sie im Heidelberger Schloß das Licht der Welt. Ihr Vater war mit der kurfürstlichen Familie erst 1649 aus dem Exil in Holland in seine Herrschaft an Rhein und Neckar zurückgekehrt, wohin er mit seinen Eltern, dem unglücklichen „Winterkönig“ Friedrich V. und Prinzessin Elisabeth Stuart, hatte fliehen müssen.
Zurückgekehrt nach Heidelberg heiratete Carl Ludwig 1650 Charlotte, die Tochter des Landgrafen von Hessen-Kassel. Die Ehe stand von Anfang an unter einem unglücklichen Stern. Zwar wurde am 27. Mai 1652 ihre Tochter Elisabeth Charlotte geboren, aber bereits wenig später wandte sich der Kurfürst der jungen Hofdame Louise von Degenfeld zu. Nach fünf Jahren „Ehe über die linke Hand“ heiratete Carl Ludwig 1657 seine große Liebe nach seiner umstrittenen, selbst erklärten Scheidung von seiner Frau.
Louise von Degenfeld schenkte ihm 14 Kinder, die nach einem längst ausgestorbenen pfälzischen Adelsgeschlecht die Titel Raugrafen und Raugräfinnen erhielten. Damit die kleine Liselotte nicht den ständigen Streitereien ihrer leiblichen Eltern ausgesetzt war, schickte sie ihr Vater im Juni 1659 zu seiner Schwester Sophie nach Hannover, die dort mit Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg vermählt war. Bei ihrer „ma tante Sophie“ blieb die pfälzische Prinzessin vier Jahre lang. Mit ihr unternahm sie mehrere Reisen nach Den Haag und übersiedelte mit ihr 1662 auf die Iburg bei Osnabrück. Ob der innigen Verbindung stürzte ihr Tod 1714 Liselotte in tiefe Verzweiflung.
Im Juli 1663 kehrte Liselotte auf Wunsch ihres Vaters in das heimatliche Schloß nach Heidelberg zurück, wo sie die folgenden acht Jahre im Kreise ihrer Halbgeschwister verbrachte.
Im Jahre 1671 wurde die 19jährige Liselotte aus politischem Kalkül ihres Vaters mit dem Bruder des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV., dem Herzog von Orléans, verheiratet. Am 20. Oktober 1671 verließ sie mit ihrem Gefolge das Heidelberger Schloß und die heimatliche Kurpfalz, die sie nie wieder sehen sollte.
Nach ihrer Heirat lebte sie als Herzogin von Orléans im Schloß von Versailles in einer gänzlich anderen Welt als im ländlich geprägten Heidelberg. In Frankreich erlebte Elisabeth Charlotte die Welt voller Glanz und Pracht eines absolutistischen Hofes. Sie erhielt den offiziellen Titel „Madame“, der ihres Mannes war „Monsieur“. Aus ihrer Ehe, die sie als heilige Pflicht betrachtete, gingen drei Kinder hervor, von denen zwei überlebten. Durch ihren Sohn und ihre Tochter wurde sie zur Stammutter vieler europäischer Könige und Fürsten. Nachfahren Liselottes sind beispielsweise König Juan Charlos von Spanien, König Albert von Belgien, der Graf von Paris, Otto von Habsburg, die Prinzen von Bayern sowie die Nachfahren der Könige von Italien, Portugal, Bulgarien und Sachsen  um nur die direkten verwandschaftlichen Verbindungslinien zu nennen.
Als eifrige Briefeschreiberin wurde Liselotte zu eine der berühmtesten Chronistinnen ihrer Zeit. Rund 60.000 Briefe sollen es gewesen sein, von denen die meisten verloren gegangen sind. Aber die noch erhaltenen mehr als 4.000 Briefe zeigen, daß Liselotte mit einer scharfen Beobachtungsgabe, aber auch mit Witz und Ironie ausgestattet war. In zuweilen kräftiger und deutlicher Sprache berichtete sie über das Leben am Hof von Versailles. Sie schrieb über den König und die Mitglieder
des Hofes, über Tagespolitik, Religion und Konfession, Theater und „Amusements“, über Skandale und Intrigen, aber auch über Krankheiten, Ärzte, Medizin und Tod, sowie über alltägliche Dinge wie Essen und Trinken  kurzum, über alles, was das Leben am glänzendsten Hof Europas mit sich brachte.
Immer wieder tauchen in ihren Briefen aber auch die Erinnerungen an ihre pfälzische Heimat auf, der sie zeitlebens mit ihrem Herzen verbunden blieb. Hilflos mußte sie von ferne mit ansehen, wie ihre geliebte „Churpfalz“, die Residenzstadt Heidelberg und das Schloß der Familie über dem Neckar im Pfälzischen Erbfolgekrieg, den Ludwig XIV. wegen der Erbansprüche Liselottes gegenüber ihrem kinderlos verstorbenen Bruder ihres Vaters in ihrem Namen führte, 1693 zerstört
wurden.
Liselotte überlebte viele ihrer engsten Verwandten („mey bagage“) und die meisten ihrer Widersacher, wie auch den König (gestorben 1715) und ihren Mann, der schon 1701 gestorben war. In ihren letzten Lebensjahren weilte sie oft im Schloß von St. Cloud. Dort starb sie auch am 8. Dezember 1722. Zwei Tage später wurde ihr Leichnam in die Königsgruft
nach St. Denis überführt.
Saint-Simon, ein kritischer zeitgenössischer Beobachter am französischen Hof, schrieb über sie einmal: „Madame war eine Prinzessin nach altem  Stil. Sie hielt auf Ehre, Tugend, Rang, Rang Größe und war unerbittlich in Hinsicht auf Schicklichkeit. Sie war nicht ohne Geist, und alles, was sie sah, sah sie sehr richtig. Eine gute und treue Freundin, zuverlässig, wahrhaftig, aufrichtig, leicht einnehmbar und verletzlich und sehr schwer eines Besseren zu überzeugen; grob, gefährlich wegen ihrer Vorliebe für Auftritte in der Öffentlichkeit, sehr deutsch in all ihren Lebensgewohnheiten, dabei freimütig, ohne Rücksicht auf Bequemlichkeiten für sich und andere, mäßig, schroff und voll eigener, wunderlicher Grillen“.                         og