„Luftfahrende Frauen“ erregten den Zorn des Abtes Regino

Eine wahre Fundgrube für Volkskundler und Freunde der
Heimatgeschichte ist das 906 vom in Altrip gebürtigen Abt Regino
geschriebene Visitationshandbuch „Libri duo de synodalibus causis
et disciplinis ecclesiastis“. Das Gesamtwerk besteht aus zwei
Werken, deren erstes die Disziplin der Kleriker und das zweite
die der Laien enthält. Beide Werke sind wiederum in zwei Teile
gegliedert. Von besonderem Interesse sind die 454 Kanones, die
die kirchenrechtlichen Grundlagen für die Visitationsfragen an
die Laien enthalten.
Regino war kein Neuerer oder religiöser Eiferer, sondern ein
Chronist, der aus allen verfügbaren mündlichen und schriftlichen
Informationen Material für eine exemplarische Zusammenfassung
nutzte. Seine Synodalfragen basieren auf früheren allgemeinen
Konzilien sowie von Partikularkonzilien des Frankenreiches,
Spaniens, Afrikas und des Orients. 895 war er sogar persönlich
auf einem Konzil, nämlich in Tribur. Diverse Kanones entstammen
auch aus päpstlichen Dekretbriefen sowie aus Schriften der
Kirchenväter und den Bußbüchern der fränkischen und
angelsächsischen Kirche.
Über Sitten und Gebräuche des frühen Mittelalters erhalten wir
über Regino gute Einblicke. Ein großer Fragekomplex behandelt Tod
und Grab. So wollte man damals wissen, „ob jemand über einen
Toten in nächtlichen Stunden teuflische Gesänge singt und bei
Essen und Trinken sich bei der Totenwache über das Ableben des
Verstorbenen freut.“ Regino war erbost über Suff, Gelächter und
Scherze in Privathäusern angesichts eines Toten.
Eine Frage Reginos machte es den Pfarrern zur Pflicht,
nachzuforschen, ob eine Frau von sich behauptet, daß sie in der
Lage sei, durch Zaubersprüche und Zauberpraktiken den Sinn eines
Menschen zu ändern (Liebeszauber). Er forderte auch
Nachforschungen darüber, ob Frauen beim Wollspinnen oder am
Webstuhl Worte sagen oder Dinge tun, die als „nichtchristliche“
zu bezeichnen seien. Ferner wollte er wissen, ob Frauen beim
Kräutersammeln Formeln und Sprüche gebrauchen, um die Kraft der
aus der Erde gerissene Heilkräuter zu wahren.
Ausführlich befaßte sich Regino auch mit dem Schadenzauber, den
bestimmte Frauen ihren Mitmenschen mit ihren Zauberpraktiken
zufügen. Gemeint ist hier etwa ein Schadenzauber, der dafür
sorgt, daß die Ernte vernichtet wird, die Kuh des Nachbarn keine
Milch mehr gibt, das Kind eines anderen stirbt, Lebensmittel
ungenießbar werden, Krankheiten ausbrechen und dergleichen mehr.
Der Schadenzauber gehörte zum Hexentum und die Vorstellung von
„nachtfahrenden Frauen“ erschien bei Regino zum ersten Mal in
geschriebenem Recht.
Laut Regino mußte der Visitator nachforschen, ob eine Frau mit
einer Schar in Frauengestalt verwandelter Dämonen in bestimmten
Nächten auf irgendwelchen Tieren in dieser Gesellschaft reitet.
Der von Regino erwähnte „Hexenzug luftfahrender Frauen“ richtete
aber keinen speziellen Schaden an, sodaß Regino lediglich die
Tatsache des Luftfahrens tadelte und mit der Vertreibung aus der
Pfarrei ahndete.
Im Verdacht außerchristlicher Praktiken standen aber auch
Schweine und Rinderhirten sowie Jäger. Der Visitator sollte
daher erforschen, ob diese Menschen „teuflische Gesänge“ über
Brot und Kräutern anstimmten oder irgendwelche Zaubersprüche
anwandten. Drakonische Sanktionen oder gar die Todesstrafe sah
Regino nicht vor.
In den folgenden Jahrhunderten beflügelte jedoch der Hexenglaube
die Phantasie des Volkes. Höhepunkte des Hexenwahns waren jeweils
die schlimmsten Notzeiten, so zum Beispiel die Zeit während des
30jährigen Krieges sowie in Hunger und Pestjahren. Verfolgt
wurden übrigens nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die als
Hexenmeister bezeichnet wurden. Das Jahr 1582 brachte der
Kurpfalz das unter Kurfürst Ludwig VI. geschaffene Landrecht, das
Hexerei und Zauber unter harte Strafen stellte. Nach der
kurpfälzischen Malefizordnung wurde „Zauberey und Heyerey“ mit dem
Tode durch Feuer bestraft.
Regino erregte sich auch über die Tatsache, daß Kirchenfriedhöfe
oft nicht eingezäunt waren und somit verschmutzt werden konnten.
Ihn störte, daß bei Memorienfesten (Totengedenktagen) auf dem
Friedhof „geschmaußt, lachet und danzet“ wurde. Auch unsittliche
Lieder waren vielfach üblich. Ebenso üblich war auch, daß nach
dem Kirchweihhochamt auf dem Kirchhof Tänze von Frauen
in Männermasken und von Männern in Tier und Frauenmasken
aufgeführt wurden. Im Mittelalter finden sich viele Beweise von
solchen Tänzen auf den Friedhöfen, denn es mußten immer wieder
kirchliche und gesetzliche Verbote erlassen werden.
Die Kirche hat sich in den Jahrhunderten längst mit dem
vorchristlichen Brauchtum mehr oder minder abgefunden und ließ es
zu, daß die Menschen bei Kirchweih „auf den Rummel“ gingen.
Auch im heutigen Dorfbild von kleineren Gemeinden ist als spätes
Relikt dieser längst vergangenen Zeit oftmals noch der
Rummelplatz und die Dorfwirtschaft in unmittelbarer Nähe zur
Kirche zu finden. Im Grunde ist dies nur eine Verlagerung von den
früher üblichen Festivitäten vom Friedhof und Kirchhof an eine
„ungeweihte“ Stätte sowie in geschlossene Lokalitäten.

Aus: Rheinpfalz, 18.4.1996, Wolfgang Schneider

Aus dem Altriper Bub wurde Abt Regino

Der Vater von Karl dem Großen, König Pippin, schenkte im Jahre
762 dem Kloster Prüm in der Eifel die dem heiligen Medardus
geweihte Klosterzelle zu Altrip. Als Sohn vornehmer Eltern kam in
Alta Ripa Regino zur Welt und wurde, da man schon bald die hohe
Begabung des Jungen erkannte, in das Mutterkloster gebracht, wo
er später Mönch wurde.
892 fielen die Normannen zum zweiten Male in die Eifel ein und
zerstörten die mächtige Abtei Prüm. Dem Mord und Raubzug konnte
sich Abt Farabert in letzter Minute durch die Flucht entziehen.
Regino berichtet darüber, daß die Normannen am Tage der
Erscheinung des Herrn, durch den Ardennenwald dringend, in das
Kloster Prumia gelangt seien, nachdem sie die Aachener Pfalz und
die Klöster Inda (Korneliusmünster bei Aachen), Stablo (Stavelot,
Belgien) und Malmundurias (Malmedy, Belgien) überfallen hatten.
Mit den Bauern, die zur Verteidigung aufgeboten worden waren,
waren die Eindringlinge wegen der schlechten Kampfdisziplin
schnell fertig geworden und hätten sie grausam niedergemetzelt.
In dieser Situation legte der seitherige Abt sein Amt nieder.
Der Konvent wählte 892 Regino als siebten in der Reihe der Äbte,
allerdings gegen den heftigen Widerstand von Gerhard und Matfried
von Hennegau. Die Grafenfamilie, die im MittelmoselGebiet große
Ländereien und Einfluß besaß, hätte gerne ihren Bruder Richarius
als Abt gesehen. Das Ränkespiel gegen Regino ging in der
Folgezeit weiter und die Mönche beteiligten sich daran sehr
intensiv. Die Zeitläufe waren überdies denkbar günstig, denn das
Reich
Karl des Großen zerfiel, nachdem sich seine Enkel heillos
zerstritten hatten. Zudem fielen vom Norden die Normannen und vom
Süden die Magyaren ein.
Trotzdem gelang Regino ein beachtliches Werk: Im zweiten Amtsjahr
legte er ein Besitzstandsverzeichnis für über 119 Fronhöfe mit
1530 Bauernhöfen, den „Prümer Urbar“ an. Als er nach sieben
Jahren zur Abdankung gezwungen wurde, hatte er die Abtei nicht
nur wieder aufgebaut, sondern sie zu einer der größten und
reichsten Klöster der damaligen Zeit fortentwickelt.
Sein Nachfolger Richarius, der mit dem herrschsüchtigen Herzog
Reginar von Lothringen paktierte, betrachtete die Abtei als sein
weltliches Eigentum, sodaß der Niedergang vorprogrammiert war.
Richarius schaffte gar noch die Bischofswürde von Lüttich.
Regino hatte Glück, denn der Trierer Erzbischof nahm sich seiner
an und so wurde er 899 Abt zu St. Martin in Trier, wo er bis zu
seinem Tode 915 sehr erfolgreich wirkte.
902 schrieb er ein Standardwerk über den Chorgesang und 908
vollendete er sein Hauptwerk, die Chronica. Damit ging er als
Verfasser der ältesten deutschen Weltgeschichte in die Historie
ein. Diese Tatsache bewog die Gemeinde Altrip, Abt Regino zu
Ehren vor der Dorfkirche am 19. November 1911 ein Denkmal zu
errichten.

Aus: Die Rheinpfalz, 18.4.1996, Wolfgang Schneider

Die beschwerliche Reise nach Canossa

Im Dezember 1076 wurden die Speyerer unfreiwillige Zeugen einer
der bekanntesten Reisen in der Geschichte. Der 26jährige
Salierkönig Heinrich IV. brach vom Dom aus nach Canossa auf, um
bei Papst Gregor VII. Abbitte zu leisten. Es wurde ein bitterer
Bußgang für den ehrgeizigen König, der zum geflügelten Wort
werden sollte. Hoch zu Roß und nur mit einem kleinen Troß im
Gefolge zog der König nach Süden, Richtung Italien. Grund für
diese Reise war ein erbitterter Machtkampf zwischen Kirche und
weltlicher Macht im Mittelalter.
Durch den Investiturstreit, einem Konflikt über die Ernennung von
geistlichen Würdenträgern durch Laien, brach ein offener Konflikt
zwischen weltlicher und kirchlicher Macht aus. Vor allem über die
Besetzung des Mailänder Erzbistums und der Politik gegenüber den
Reichsbischöfen geriet Kaiser Heinrich mit Papst Gregor in
Streit. Er ließ 1076 durch eine Synode in Worms den Papst
absetzen, worauf Gregor ihn bannte und Heinrichs Untertanen vom
Treueeid entband. Dies war die erste Absetzung eines deutschen
Herrschers durch einen Papst.
Bisher hatten der mittelalterliche Staat und die Kirche eine
Einheit gebildet, die vom deutschen König und dem Papst
garantiert wurde. Doch Heinrich IV. und Gregor VII. brachen mit
dieser Tradition, denn der Salierfürst hatte ein sehr weltliches
Machtverständnis. Als der Papst den weltlichen Fürsten das Recht
über die Ernennung von Bischöfen aberkennen wollte, sperrte sich
Heinrich. Er ging in die Offensive und stellte die Autorität des
höchsten Kirchenfürsten in Frage.
Der Streit mit dem Papst spaltete auch die deutschen Fürsten. Den
einen war der machthungrige Heinrich ohnehin ein Dorn im Auge,
andere standen zu ihm. Gregor VII. hatte mit dem Kirchenbann zu
seiner schärfsten Waffe gegriffen. Wen der Bann traf, war aus der
Kirche ausgestoßen, exkommuniziert und vogelfrei. Der Papst
setzte ferner ein Ultimatum in Kraft, wonach ein neuer König
gewählt werden sollte. Die Mehrheit der Fürsten und Bischöfe
wandten sich nun vom König ab. In Trebur beschlossen sie seine
Absetzung, falls er sich nicht mit der Kirche aussöhnte. Jetzt
ging es um Heinrichs Kopf, denn die Mehrheit der anderen Fürsten
war bereit, einen neuen König zu wählen.
In die Enge getrieben blieb ihm letztlich nur noch eine
Möglichkeit: Er mußte den Papst umstimmen, der auf dem Weg von
Rom nach Deutschland war, um die neue Königswahl voranzutreiben.
So machte sich Heinrich im Dezember 1076 von Speyer gen Süden
auf. Heinrich reiste mit kleinem Gefolge und hatte keine Soldaten
bei sich. Ihn begleiteten seine Frau Bertha und sein Sohn, der
Thronfolger Konrad, sowie einige Bischöfe und ein paar
Bedienstete mit dem Gepäck.
Die Reise ging über Straßburg nach Besancon, wo die Gesellschaft
bei dem königstreuen Grafen Wilhelm von Burgund das
Weihnachtsfest feierte. Dieser Riesenumweg auf dem Weg nach
Italien war notwendig, da der schwäbische und der bayerische
Herzog die Alpenübergänge für Heinrich gesperrt hatte. So blieb
dem König nur der Weg über Frankreich. Er überquerte den Jura und
gelangte durch die Schweizer Alpen nach Italien. Ein
zeitgenössischer Geschichtsschreiber berichtete, wie die
Reitpferde beim Überschreiten der verschneiten Paßstraße am Mont
Cenis in Schluchten stürzten. Ortskundige Führer hätten die
Reisenden über die gefährlichen Grate geleitet und die Damen des
Gefolges auf Rinderhäuten über die Schneefelder gezogen.
Gregor war inzwischen Richtung Deutschland aufgebrochen. In
seinem Gefolge befanden sich zwei Bischöfe und vier Mitglieder
der Kurie. Weihnachten verbrachte die Reisegruppe in Florenz.
Nach der Überquerung des vereisten Pos erreichte der Papst
Mantua. Hier wartete er auf die Gesandtschaft deutscher Fürsten,
die ihn nach Augsburg bringen sollten. Doch die Gesandtschaft kam
nicht. Gregor wurde nervös, als ihm Gerüchte zu Ohren kamen,
Heinrich sei im Anmarsch und wolle seine Anhänger in Oberitalien
zum Kampf gegen den Papst aufrufen. Doch dem war nicht so.
Heinrich wollte keine militärische Konfliktlösung.
Dennoch, der Papst ging lieber auf Nummer sicher. Er suchte
Schutz in der Burg seiner treuen und mächtigen Verbündeten,
Mathilde, Marktgräfin von Tuscien. Diese Burg lag auf einem Hügel
bei der Ortschaft Canossa, am Fuß des Apennin.
Unterdessen schickte Heinrich Boten aus, die mit dem Papst erste
Verhandlungen über die Bannlösung aufnehmen sollten. Der König
und sein Gefolge nahmen Quartier in der Burg Bianello, etwa zehn
Kilometer von Canossa entfernt und ebenfalls im Besitz der
Marktgräfin Mathilde. Zunächst pendelten Boten zwischen den
beiden Burgen hin und her. Doch die Verhandlungen über die
Aufhebung des Kirchenbanns gerieten ins Stocken. Als sie zu
scheitern drohten, dachte Heinrich über seine Abreise nach.
Da bot sich der Abt Hugo von Cluny, Heinrichs Taufpate, als
Vermittler an. Er arrangierte ein Treffen zwischen Heinrich und
Mathilde, an dem er auch selbst teilnahm, in der Burgkapelle
Montezane, auf halbem Wege zwischen Canossa und Bianello gelegen.
Mit einem Kniefall bat Heinrich die Gräfin, die übrigens auch
seine Cousine war, um Vermittlung.
Doch Gregor wollte nicht einlenken. Der Papst war fest
entschlossen, in Augsburg einem Schiedsgericht über Heinrich
vorzustehen und den deutschen Thronstreit selbst zu regeln. Die
Unterhändler verhandelten trotzdem weiter. Sie boten Gregor ein
neues königliches Treueversprechen und eine angemessene Buße an.
Was nun folgte, ging in die Geschichte ein:
Am Mittwoch, dem 25. Januar 1077, erschien Heinrich vor der Burg
Canossa. Er trug zum Zeichen seiner Buße ein grobgewebtes Gewand.
Trotz des Schnees ging er barfuß. Wie es das Bußritual
vorschrieb, klopfte er an das Burgtor und begehrte Einlaß.
Das Datum war klug gewählt, denn der 25. Januar war ein
kirchlicher Gedenktag. An diesem Tag soll Saulus zum Paulus
bekehrt worden sein. Damit brachte Heinrich den Papst in eine
Zwickmühle. Als Priester konnte er sich nicht von Heinrich
abwenden, der nach dem Vorbild von Saulus um Gnade flehte. Dieser
Schachzug paßte nicht in das machtpolitische Kalkül des
Kirchenfürsten. Doch an diesem Januartag geschah nichts. Für
Heinrich blieb das Burgtor geschlossen. Der König wartete eine
angemessene Frist und ritt in sein Quartier zurück. Den Rest des
Tages verbrachte er, wie vorgeschrieben, mit Beten und Fasten.
Am nächsten Tag ritt Heinrich erneut nach Canossa. Im Büßergewand
und barfüßig stand er wieder vor der Burg und begehrte Einlaß.
Abermals blieb Gregor hart. Er ließ den Salierfürst in der
eisigen Kälte stehen. Währenddessen setzten die Unterhändler ein
Schriftstück auf, das Bedingungen zur Bannlösung beinhaltete.
Am Freitag, dem 27. Januar, erschien Heinrich zum dritten Mal vor
der Burg. Die Ablehnungsfront begann zu brökeln. Gregors Berater
fingen an, dem Papst „ungewöhnliche Härte, ja sogar Grausamkeit
einer gleichsam tyrannischen Wildheit“ vorzuwerfen.
Doch noch blieb Gregor hart. Heinrich wurde kein Einlaß gewährt.
Der König kehrte wieder nach Bianello zurück, fastete und betete
weiter.
Heinrich ließ nicht locker. Am nächsten Tag, dem 28. Januar,
stand er zum vierten Mal vor dem Burgtor. Diesmal wurde seine
Mühe belohnt. Gregor ließ das Tor öffnen. Heinrich warf sich ihm
zu Füßen und bekannte sich schuldig. Der Priester in Gregor hatte
über den Machtpolitiker gesiegt. Der Papst entließ den König aus
dem Kirchenbann. In der Burgkirche wurde Heinrich ein in
lateinischer Sprache abgefaßtes Dokument überreicht. Der König
war des Lesens mächtig und konnte sich sofort ein Bild von der
Vereinbarung machen.
In Form eines urkundlichen Versprechens gelobte er dem Papst, den
Konflikt mit den Fürsten in einer angemessenen Zeit beizulegen und
sich Gregors Urteil zu unterwerfen. Außerdem mußte er dem Papst
für seine Reise nach Deutschland freies Geleit zusichern. Die
Vereinbarung wurde von zwei Bischöfen im Namen des Königs
beschworen.
Danach las Gregor die Messe und spendete dem reumütigen Heinrich
das Abendmahl. Durch diese klerikale Handlungen war der König
wieder in der Gemeinschaft der Kirche aufgenommen worden.
Schließlich nahmen die beiden Kontrahenten ein gemeinsames
Mittagessen ein. Die Aussöhnung zwischen König und Papst war
gelungen  vorerst.
Doch die Harmonie sollte nicht lange währen. Heinrich hatte zwar
das Bündnis zwischen dem Papst und seinen deutschen Gegnern
beendet, doch hatte er mit seiner Unterwerfung unter den Papst
auch das Ende des Gottesgnadentums in Kauf genommen. Die Gegner
Heinrichs kümmerten sich wenig um die Versöhnung von Canossa und
wählten Rudolf von Schwaben zum Gegenkönig. Der Papst hielt sich
zunächst aus dem Konflikt heraus. Heinrich konnte sich mit
Waffengewalt behaupten.
Auf der Fastensynode 1080 schlug sich Gregor wieder auf die Seite
von Heinrichs Gegnern. Erneut sprach er den Bann über den Salier
aus. Doch diese Waffe hatte sich abgenutzt. Im Oktober kam es zur
Entscheidungsschlacht in Merseburg. Heinrichs Heer wurde zwar
geschlagen, aber trotzdem errang der König den Sieg. Rudolf von
Schwaben starb auf dem Schlachtfeld und hatte seine rechte Hand,
mit der er einst Heinrich die Treue geschworen hatte, verloren.
Anhänger und Gegner sahen dies als Gottesurteil an. Es dauerte
bis zum August 1081, bis sich wieder eine Opposition bildete und
einen neuen Gegenkönig wählte, Hermann von Salm.
Unterdessen war Heinrich nach Rom gezogen, um sich zum Kaiser
krönen zu lassen. Gregor mußte nach Süditalien fliehen und starb
im Mai 1085 in der Verbannung in Salerno. Doch Heinrichs Triumph
währte nicht lange, denn eine deutschitalienische Koalition
wählte seinen Sohn Konrad zum Gegenkönig. Heinrich ließ den
eigenen Sohn ächten und ernannte seinen Zweitgeborenen Heinrich
V. zum König.
Doch die Aussöhnung mit der Kirche mißlang, weil Heinrich in der
Investiturfrage nicht nachgab. 1104 erhob sich auch Heinrich V.
gegen ihn. Er nahm seinen Vater gefangen und zwang ihn, im
Dezember 1105 abzudanken. Im Februar 1106 gelang dem Kaiser die
Flucht nach Lüttich. Von dort aus wollte er die Macht wieder
zurückerobern, doch da starb er  immer noch exkommuniziert.
Es dauerte fünf Jahre, bis er, posthum vom Bann gelöst, in der
Gruft des Speyerer Doms seine letzte Ruhestätte fand.

Aus: Die Rheinpfalz, Michael Schmid, April 1996

Die Prinzessin mit dem allzu feurigen Temperament

Am 15. November 1794 starb 70jährig in einem kleinen Schloß in
der Oberpfalz Maria Franziska Dorothea Christine von
Pfalz-Sulzbach, die Mutter des ersten bayerischen Königs Max
Joseph. Ihre Zweibrücker Heimat war zu dieser Zeit von
französischen Revolutionstruppen besetzt. Ihr Sohn, der
regierende Herzog von Pfalz-Zweibrücken, KarlAugust, hatte sich
ins Rechtsrheinische in Sicherheit gebracht. Auch Maria
Franziskas Schwager, der Kurfürst von der Pfalz und Bayerns, Carl
Theodor, verlor seine Besitztümer im Linksrheinischen durch die
Revolution.

Unberührt von der aktuellen Tagespolitik verbrachte die alte Frau
ihre letzten Lebensjahre, doch unvergessen blieb der Skandal, den
sie, die jüngste Schwester der pfälzischen Kurfürstin Elisabeth
Auguste, genau 35 Jahre zuvor am Mannheimer Hof verursacht hatte.
An Maria Franziska statuierte der kurfürstliche Hof ein Exempel
der damals üblichen Doppelmoral. Denn was bei den Männern in
jenen Kreisen gang und gäbe war und stolz zur Schau getragen
wurde, war bei den Damen ein Skandal, den man krampfhaft zu
vertuschen suchte . . .

1724 wurde Maria Franziska als dritte Enkeltochter des Pfälzer
Kurfürsten Karl Philipp geboren. Die Eltern starben früh. Auf der
Doppelhochzeit ihrer beiden Schwestern in Mannheim lernte die
17jährige den gleichaltrigen, gutaussehenden Pfalzgrafen
Friedrich Michael kennen, den Bruder des regierenden Herzogs
Christian von PfalzZweibrücken. Herzig Christian, aber auch die
Erben der Pfalz und Bayerns, sollten später ohne legitime
Nachkommen sterben.

Es waren also Maria Franziskas Nachkommen, die eine reiche
Hinterlassenschaft antraten. 22 Jahre zählte die Prinzessin, als
sie dem Pfalzgrafen ihr Ja-Wort gab. Da hätten zwei Feuer
gefangen, so erzählte der Hofklatsch; zumindest hatte es den
Anschein! Pfalzgraf Friedrich Michael war Generalissimus im
kurpfälzischen Heer seines Schwagers Carl Theodor und bei den
kaiserlichen Habsburgern. Er war selten daheim, ein fürstlicher
Nichtstuer, bequem und genußsüchtig, mit reichlich wenig
Verstand. Dem „schönen Mann“ aber lag die Damenwelt zu Füßen.

Er hatte aber eine Frau bekommen, die zu ihm paßte. Beide hatten
ein feuriges Temperament, ein weiches Herz und schwache
moralische Grundsätze. Überschäumend vor Lebenslust, vergnügungs
und verschwendungssüchtig tanzte Maria Franziska durch den
kurfürstlichen Hof von Mannheim. Fünf Kinder wurden in der Ehe
geboren, darunter der Erbe von PfalzBayern und spätere
bayerische König, Maximilian Joseph.

Als sich ihr Ehemann in anderen Betten vergnügte, tat sich auch
die Prinzessin keinen Zwang mehr an. Aber Friedrich Michael war
nicht der Mann, der sich Hörner aufsetzen ließ. Ein Hoffräulein
als Dauerwachhund mußte der untreuen Gattin auf Schritt und Tritt
folgen. Doch Maria Franziska schüchterte dies nicht ein. Sie
nutzte die nächste Abwesenheit ihres Mannes zu einem intensiven
Techtelmechtel mit einem Schauspieler des Mannheimer Hoftheaters,
das nicht ohne Folgen blieb. Die Pfalzgräfin wurde schwanger. Und
da ihr Gatte zum Zeugungstermin nicht in ihrer Nähe geweilt
hatte, konnte sie ihm das zu erwartende Kind nicht als seines
unterschieben. Übrigens hatte Friedrich Michael schon bei der
Geburt des fünften Kindes, des kleinen Max Josef, Zweifel gehegt,
ob er wirklich der Vater des Knaben sei.

Es folgte ein kompliziertes Versteckspiel, um Maria Franziskas
Zustand zu vertuschen. Ihre Schwester, die Kurfürstin, nahm
zusammen mit Herzog Christian von Zweibrücken die Sache in die
Hand. Im siebten Schwangerschaftsmonat verkündete man dem
kurfürstlichen Hof, die Prinzessin sei schwer erkrankt, Besuche
seien verboten. Nur wenige informierte Dienstboten und der
Hofarzt durften ihr Zimmer betreten, in denen die Schwangere sich
allerdings nicht mehr aufhielt.

Maria Franziska war nämlich heimlich nach Straßburg gebracht
worden. Dort, im Haus von Dr. Johann Fried, Professor für Medizin
und Hebammenkunst, brachte sie im Januar 1760 ein kleines Mädchen
zur Welt. Nachdem sie sich von der Geburt erholt hatte, kehrte
sie in einer Nacht und Nebelaktion wieder zurück nach Mannheim.
Doch die hochherrschaftliche Verwandtschaft wollte die gefallene
Frau nicht mehr am Hofe dulden. Sie zwang Maria Franziska, sich
„aus gesundheitlichen Gründen“ in ein Kloster in Metz
zurückzuziehen. Als Maria Franziska gegen die Lothringer Klausur
rebellierte, wurde sie in einen noch strengeren Orden nach
Luxemburg verfrachtet.

1767 starb ihr Ehemann. Kurfürst Carl Theodor, der selbst mit
seinen Mätressen und den fünf Kindern öffentlich  trotz Ehefrau
 ein harmonisches Familienleben pflegte, mißbilligte die rüde
Behandlung seiner Schwägerin. Er bot der 42jährigen ein Schloß in
der Oberpfalz als Witwensitz an. Dort verbrachte sie still und
zurückgezogen die restlichen Lebensjahre.

Nur zu ihren Kindern pflegte sie einen innigen Kontakt. Denn bei
aller Kritik an ihrem Lebenswandel war sie eine gute und
liebevolle Mutter. Als ihr Lieblingssohn Karl August die
Herrschaft in Zweibrücken erbte, führte er die verheimlichte
Halbschwester unter dem Namen Fräulein von Einsiedel am Hofe ein.
Er stattete sie großzügig mit Einkünften aus und vermählte sie
mit dem Obristen seiner Leibgarde, dem Freiherrn von Montigny.

Aus: Rheinpfalz, Wiltrud Ziegler, 12.11.1994

Die frühen Pfälzer Kurfürsten

„Palatinum“ war ursprünglich der Name eines Berges in Rom, auf dem die Kaiser ihre Burgen und Paläste erbauten. Dieser Begriff wurde schließlich gleichbedeutend als Bezeichnung für eine kaiserliche Wohnung verwendet. Aus ihm entwickelten sich im Deutschen die zwei Lehnworte Palast und Pfalz. Während sich das eine Wort auf die Bedeutung eines Herrschersitzes beschränkte (franz. „palais“), wurde das andere für die Bezeichnung eines besonderen Hofbeamten, „dem
Pfalzgrafen“, verwendet. Dieser hatte u.a. die Funktion des obersten Richters inne. Als „comes palatinus Rheni“ nahmen die lothringischen Pfalzgrafen am Kaiserhof zu Aachen eine Sonderstellung ein. Ihre Hausmacht verlagerte sich immer mehr rheinaufwärts und endete 1156 mit Hermann von Stahleck, dessen Besitzungen am mittleren Rhein (Burg Stahleck bei Bacharach) und in Süddeutschland lagen. Weiterlesen

Die Bauersfrau mit den vornehmen Manieren

Sie waren zwar verlobt, aber sie heirateten nie: die hübsche Frankfurter Bankierstochter Anna Elisabeth Schönemann und der angehende Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Als sich 1775 die beiden Familien gegen eine Heirat aussprachen, hatten die beiden Liebenden nicht mehr die Kraft, gegen diese Meinung zu heiraten. Goethe siedelte im November nach Weimar über, auch Lili Schönemanns zweite Verlobung mit dem Straßburger Harry Bernard scheiterte. Weiterlesen