Auf religiösen Pfaden im Odenwald

Frömmigkeit in den vor allem ländlich geprägten Teilen des
östlichen Odenwaldes kam nach außen hin durch die zahlreichen
religiösen Stätten zum Ausdruck. Es waren nicht nur die Klöster
und Kirchen, es waren auch die vielen christlichen Kleinode, wie
Bildstöcke, Kapellen, Steinkreuze und Madonnenstatuen, die
Stationen der Besinnung waren. Diese lebendigen Zeugen
christlicher Kultur und Vergangenheit haben sich bis heute trotz
aller religiösen Reformen im Odenwald sichtbar erhalten.

Wer offenen Auges und Herzens den Odenwald durchstreift, wird
vieles finden, das in ihm ein Lebensbild dieses frommen Völkchens
entstehen läßt. So wird er in der Nähe Michelstadts die
Einhardsbasilika finden, das wohl älteste Gotteshaus des
Odenwaldes. Erbaut wurde es um das Jahr 830 von Einhard, Kaiser
Karl des Großen Berater, Biograph und Baumeister.

Oder er wird inmitten des Barockstädtchens Amorbach das ehemalige
Benediktinerkloster, auch Marienmünster genannt, besuchen, dessen
romantische Türme den Reisenden schon von weitem grüßen.
Sehenswert in dieser Abteikirche sind vor allem die weithin
bekannte und größte Orgel der Gebrüder Stumm (177482), die
Stuckarbeiten des Johann Michael Feichtmayr und die
klassizistische Klosterbibliothek, die bis heute mit all ihren
Kostbarkeiten erhalten ist.

Folgt man auf religiösen Pfaden den Madonnenstatuen und
Kreuzigungsgruppen von teils beachtlicher bildhauerischer
Qualität, den barocken Bildstöcken, Brückenheiligen und
Wegekapellen durch das „Madonnenländchen“, so erwartet den Pilger
in Walldürn die mächtige Wallfahrtskirche zum „Heiligen Blut“,
neu errichtet in den Jahren 1698 bis 1727. Noch bis ins Jahr 1000
hier der Ort Turninu, im Volksmund „Dürn“ genannt. Zu Walldürn
wurde das Städtchen durch jenes geheimnisvolle Geschehen im Jahre
1330, als einem Priester das Mißgeschick widerfuhr, einen
gefüllten Kelch umzustoßen. Auf dem Korporale, dem Kelchtuch,
erschien dort, wo der geweihte Wein auf dem Linnen seine Spuren
hinterließ, das Bild des Gekreuzigten, von elf dornengekrönten
Häuptern umrankt. Das Bekanntwerden dieses Ereignisses machte den
Gnadenort so berühmt, daß er zur bedeutendsten Pilgerstätte des
Odenwaldes wurde.

Nachdem Papst Eugen IV. das Blutwunder in einer päpstlichen Bulle
(Erlaß) 1445 bestätigte, sollen im 15. Jahrhundert jährlich mehr
als 100.000 Menschen nach Walldürn gepilgert sein. In prunkvoll
feierlichen Prozessionen zogen auch in späteren Jahrhunderten
Pilgermassen aus Köln, Mainz, Würzburg, Fulda und auch aus der
Kurpfalz zu Fuß mit Kreuz und Fahnen quer durch den Odenwald.

Gerade an diesen Wegen befinden sich die schönsten
SandsteinWegekreuze und GelübteBildstöcke von meisterhafter
Gestaltung und Ausführung. An des Odenwalds östlicher Grenze, der
Tauber, liegt das ZisterzienserKloster Bronnbach. Es zählt noch
heute zu den bedeutendsten Klosteranlagen Süddeutschlands.
Gegründet wurde Bronnbach als sogenanntes Tochterkloster von
Maulbronn. Sehenswert hier in Bronnbach ist vor allem der rundum
erhaltene romanische Kreuzgang, der Josephssaal, mehrere
Barockaltäre und das wertvolle, holzgeschnitzte Chorgestühl. Der
Gesang der Mönche ist aber längst verklungen.

Interessant und im Odenwald sehr selten sind Friedhöfe (etwa
Schlierbach bei Lindenfels), auf denen Gräber mit Totenbrettern
versehen sind. Diese Totenbretter, auf denen früher die Leichen
aufgebahrt waren, wurden, mit dem Namen des Verstorbenen
beschriftet, über dem Grab als Totenmal errichtet. Von diesem
religiösen Brauch ist man heute völlig abgekommen.

In Zeiten der grassierenden Pest, wie während des 30jährigen
Krieges, in denen ganze Dörfer ausstarben, war oft kein Platz
mehr auf den Kirch und Friedhöfen, so daß die Toten weit
außerhalb der Ortschaften auf sogenannten Pestfriedhöfen
beigesetzt werden mußten. Hier und da sind solche Plätze heute
noch bekannt.

Nicht nur Friedhöfe, auch andere Orte der Stille, wie die
Walpurgiskapelle bei Weschnitz, die Kapelle St. Amorsbrunn bei
Amorbach, die Ruine der Wallfahrtskapelle Lichtenklinger Hof bei
Eitersbach, mitten im Wald gelegen, das St. Martin und
Veitskirchlein bei Mudau oder einfach eine Madonna am Wegesrand
regten auch früher schon zum Nachdenken über Werden und Vergehen
an.

Aus: RNZ, 1995, Herbert Seipel

Im Jagdrevier der Nibelungen

Am Abend bei einem Glas guten Weins auf der Burg Hirschhorn
wußten wir: „Der Odenwald hat es in sich, weit mehr als
erwartet.“ Ein langer Besichtigungstag lag hinter uns, angefüllt
mit Burgen, Schlössern, Rathäusern, Kirchen und Geschichtszahlen.
Und das alles in einer sanftgewellten Mittelsgebirgslandschaft
mit ausgedehnten Mischwäldern zwischen Rhein, Main und Neckar 
ehedem, wie die Sage es erzählt, das Jagdrevier der Nibelungen.
Im sinkenden Licht blickten wir hinunter ins Neckartal und auf
die Dächer des mauerumgürteten Städtchens Hirschhorn.

In Darmstadt, dem „Tor zum Odenwald und zur Bergstraße“, hatten
wir am frühen Morgen unsere zweitägige Autoreise angetreten. Über
die B 26 führte sie zunächst nach GroßUmstadt, der „Odenwälder
Weininsel“, wo es ein RenaissanceRathaus, eine spätgotische
Pfarrkirche und Adelshöfe zu besichtigen galt. Auf der
Ferienstraße AlpenOstsee, der B 45, vorbei an der trutzigen
Feste Otzberg und durch Höchst mit schönen Fachwerkbauten
gelangten wir zur Burg Breuberg, die mit ihren mächtigen
Wehranlagen das Mümlingtal beherrscht.

Bad König, das einzige Heilbad des Odenwaldes, zählt wahrlich
nicht zu den großen und mondänen seiner Zunft. Es ist vielmehr
ein kleiner, hübscher und (noch) beschaulicher Kurort mit
Fachwerkhäusern, dem Alten und Neuen Schloß und einer
Friedhofskapelle aus dem 11. Jahrhundert. Für seine Gäste hält es
ein modernes Kurzentrum mit Thermalbewegungsbad, einen Kurpark
und ein breites Aktivitätenangebot bereit.

Historie gebündelt gab es in Michelstadt, das 741 als
„Michlinstat“
erstmals urkundlich erwähnt wurde. Einhard, der
Berater und Biograph Karls des Großen, erhielt 814 die
Michelstadt von dessen Sohn Ludwig dem Frommen zum Geschenk. Im
Ortsteil Steinbach hinterließ Einhard mit der gleichnamigen
Basilika eines der seltenen noch erhaltenen Beispiele der
karolingischen Baukunst.

In Michelstadt wird Geschichte gleichsam lebendig: In der
Stadtkirche aus dem 15. Jahrhundert mit wertvollen Grabmälern, in
der Kellerei mit dem Odenwald und SpielzeugMuseum, in
zahlreichen Fachwerkhäusern und in der turmbewehrten Stadtmauer.
Sein unverwechselbares Wahrzeichen freilich ist das mit offener
Ständerhalle und Erkertürmchen höchst originelle und malerische
FachwerkRathaus aus dem Jahre 1484. Versteht sich, daß wir zum
Wasserschloß Fürstenau hinausfuhren und ebenfalls zum barocken
Jagdschloß Eulbach mit Englischem Garten, Wisentgehege und Resten
von Römerkastellen des nahen Limes. Und wer Zeit dazu hat: eine
LimesWanderung lohnt allemal.

Im benachbarten Erbach war der Besuch des Deutschen
Elfenbeinmuseums mit mehr als 1.000 Exponaten aus aller Welt
unerläßlich. Sehr eindrucksvoll der weite Schloßplatz mit der
imposanten Barockfront der Residenz der Grafen zu ErbachErbach,
mit dem Rathaus aus dem 16. und der Pfarrkirche aus dem 17.
Jahrhundert. Franz I. (1754 bis 1823), der die Elfenbeinkunst
nach Erbach brachte, füllte sein Schloß mit reichen Sammlungen
antiker Kunstgegenstände, mittelalterlicher Waffen, kapitaler
Hirschgeweihe und afrikanischen Jagdtrophäen.

Am Galgenberg von Beerfelden kommt man nicht vorbei  wenn nicht
des „dreischläfrigen“ Galgens von 1597, so doch des gerühmten
Fernblicks über die rund 600 Meter hohen Kuppen des Odenwalds
wegen. Im Ort betrachteten wir den ZwölfRöhrenBrunnen, die
Fassung der Mümlingquelle, und ein wenig außerhalb den über
einhundert Jahre alten HimbächelEisenbahnviadukt, um dann
Hirschhorn im Neckartal zuzustreben.

Nach einer Nacht im RenaissanceGemäuer mit neuzeitlichem
Komfort, machten wir uns auf den Rückweg über WaldMichelbach
nach Grasellenbach, an dessen Siegfriedbrunnen (den übrigens auch
andere Orte für sich reklamieren) der grimmige Hagen von Tronje
den jungen Helden mit dem Speer niedergestreckt haben soll.

Ein Stück auf der Siegfriedstraße, die Lorsch mit dem bayerischen
Amorbach verbindet, und wir erreichten den Heilklimatischen
Kurort Lindenfels, hoch auf einem Bergrücken, gekrönt von
wuchtigen Burgmauern mit freiem Blick über Berg und Tal. Die
Nibelungenstraße entführte uns sodann in die erdgeschichtliche
Frühzeit, zum Felsenmeer bei Reichenbach. Nach kurzer Fahrt über
OberRamstadt kündigte sich Darmstadt, die einstige Residenz der
Landgrafen und späteren Großherzöge von HessenDarmstadt, und die
Endstation unserer 210 Kilometer langen OdenwaldRundreise, mit
seinem JugendstilWahrzeichen an  mit dem Hochzeitsturm auf der
Mathildenhöhe.

Aus: RNZ, 11.2.1989, Heinz Bischoff