Wo der Teufel Schafkopf drosch

Schifferstadt geht auf die Errichtung eines fränkischen
Königshofes im 7. und 8. Jahrhundert zurück. Die Deutung des
Ortsnamens ist noch immer umstritten. Favorisiert wird
mittlerweile aber die Deutung „Sciffestat“ als „Stätte des
Sciffo“, wobei „Sciffo“ als Schöffe, also mit der Gerichtsbarkeit
versehener Verwalter des Königshofes zu verstehen ist.
Eine andere Deutung ist eng mit den Flößern, die früher
„Schiffer“ hießen, eng verbunden. Schließlich wurde über
Jahrhunderte hinweg das Holz aus dem Pfälzerwald über den Rehbach
zum Rhein geflößt.

Auf dem Stadtplan sieht der alte Stadtkern von Schifferstadt wie
ein Dreieck aus. Und dort, in der Kirchenstraße, liegt das alte
Gasthaus „Zur Kanne“. Fast der Kirche gegenüberliegend, spielte
auch dort die alte Sage vom „Teufel in der Kanne“.

Es ist schon viele Jahre her, als an einem kalten, verschneiten
Heiligabend vor der Christmette noch vier Gäste in der „Kanne“
zusammen saßen und anstatt die Christmette in der
gegenüberliegenden St. JakobusKirche zu besuchen, beharrlich und
voller Spielleidenschaft weiter ihren Schafkopf droschen.
Als das lange, feierliche Glockengeläut schon am Verstummen war,
besann sich einer der Spieler, stand schnell auf und ging zur
Christmette. Er ließ sich auch durch das Lamentieren seiner
Mitspieler, zu viert sei Schafkopf schöner als zu dritt und den
Spott, er habe wohl Angst vor seiner resoluten Frau, nicht vom
rechten Wege abbringen.

Doch kaum war der Mann hinausgegangen, kam ein vornehm
gekleideter Fremder herein, setzte sich ohne zu fragen an den
gerade verlassenen Platz und mischte die Karten. Allen war es
recht, daß das Spiel nun weiter gehen konnte, und während die
Orgel und der Gesang aus der nahen Kirche in die „Kanne“
herüberschallten, spielten die vier Männer munter ihren
Schafkopf.

Als einem der Spieler beim Austeilen eine Karte unter den Tisch
fiel, bückte er sich, um die Karte wieder aufzuheben. Der Mann
fuhr aber erschrocken hoch und wurde blaß wie ein Leichentuch. Er
warf die Karten auf den Tisch und schrie zu dem Fremden gewandt
„Du hosch jo Gaulsfieß“. Die Mitspieler wollten sich nun auf den
Pferdefüßigen stürzen, aber der fuhr hoch wie der Blitz und durch
das Fenster zur „Kanne“ hinaus, während ein unerträglicher
Gestank nach Schwefel in der Gaststätte zurückblieb.

Fortan war in der „Kanne“ jedes Jahr in der Weihnachtszeit am
Stammtisch ein unheimliches Klopfen zu hören. Erst nach vielen
Jahren, als man das Kreuz mit dem Hahn vom Dach der
JakobusKirche auf das Dach des Gasthauses gesetzt hatte, soll,
so versichern noch heute die alten Schifferstadter, das Klopfen
am Stammtisch aufgehört haben.

Aus: Rheinpfalz, Rudolf Köstlmaier, 11.1.1996

Auf religiösen Pfaden im Odenwald

Frömmigkeit in den vor allem ländlich geprägten Teilen des
östlichen Odenwaldes kam nach außen hin durch die zahlreichen
religiösen Stätten zum Ausdruck. Es waren nicht nur die Klöster
und Kirchen, es waren auch die vielen christlichen Kleinode, wie
Bildstöcke, Kapellen, Steinkreuze und Madonnenstatuen, die
Stationen der Besinnung waren. Diese lebendigen Zeugen
christlicher Kultur und Vergangenheit haben sich bis heute trotz
aller religiösen Reformen im Odenwald sichtbar erhalten.

Wer offenen Auges und Herzens den Odenwald durchstreift, wird
vieles finden, das in ihm ein Lebensbild dieses frommen Völkchens
entstehen läßt. So wird er in der Nähe Michelstadts die
Einhardsbasilika finden, das wohl älteste Gotteshaus des
Odenwaldes. Erbaut wurde es um das Jahr 830 von Einhard, Kaiser
Karl des Großen Berater, Biograph und Baumeister.

Oder er wird inmitten des Barockstädtchens Amorbach das ehemalige
Benediktinerkloster, auch Marienmünster genannt, besuchen, dessen
romantische Türme den Reisenden schon von weitem grüßen.
Sehenswert in dieser Abteikirche sind vor allem die weithin
bekannte und größte Orgel der Gebrüder Stumm (177482), die
Stuckarbeiten des Johann Michael Feichtmayr und die
klassizistische Klosterbibliothek, die bis heute mit all ihren
Kostbarkeiten erhalten ist.

Folgt man auf religiösen Pfaden den Madonnenstatuen und
Kreuzigungsgruppen von teils beachtlicher bildhauerischer
Qualität, den barocken Bildstöcken, Brückenheiligen und
Wegekapellen durch das „Madonnenländchen“, so erwartet den Pilger
in Walldürn die mächtige Wallfahrtskirche zum „Heiligen Blut“,
neu errichtet in den Jahren 1698 bis 1727. Noch bis ins Jahr 1000
hier der Ort Turninu, im Volksmund „Dürn“ genannt. Zu Walldürn
wurde das Städtchen durch jenes geheimnisvolle Geschehen im Jahre
1330, als einem Priester das Mißgeschick widerfuhr, einen
gefüllten Kelch umzustoßen. Auf dem Korporale, dem Kelchtuch,
erschien dort, wo der geweihte Wein auf dem Linnen seine Spuren
hinterließ, das Bild des Gekreuzigten, von elf dornengekrönten
Häuptern umrankt. Das Bekanntwerden dieses Ereignisses machte den
Gnadenort so berühmt, daß er zur bedeutendsten Pilgerstätte des
Odenwaldes wurde.

Nachdem Papst Eugen IV. das Blutwunder in einer päpstlichen Bulle
(Erlaß) 1445 bestätigte, sollen im 15. Jahrhundert jährlich mehr
als 100.000 Menschen nach Walldürn gepilgert sein. In prunkvoll
feierlichen Prozessionen zogen auch in späteren Jahrhunderten
Pilgermassen aus Köln, Mainz, Würzburg, Fulda und auch aus der
Kurpfalz zu Fuß mit Kreuz und Fahnen quer durch den Odenwald.

Gerade an diesen Wegen befinden sich die schönsten
SandsteinWegekreuze und GelübteBildstöcke von meisterhafter
Gestaltung und Ausführung. An des Odenwalds östlicher Grenze, der
Tauber, liegt das ZisterzienserKloster Bronnbach. Es zählt noch
heute zu den bedeutendsten Klosteranlagen Süddeutschlands.
Gegründet wurde Bronnbach als sogenanntes Tochterkloster von
Maulbronn. Sehenswert hier in Bronnbach ist vor allem der rundum
erhaltene romanische Kreuzgang, der Josephssaal, mehrere
Barockaltäre und das wertvolle, holzgeschnitzte Chorgestühl. Der
Gesang der Mönche ist aber längst verklungen.

Interessant und im Odenwald sehr selten sind Friedhöfe (etwa
Schlierbach bei Lindenfels), auf denen Gräber mit Totenbrettern
versehen sind. Diese Totenbretter, auf denen früher die Leichen
aufgebahrt waren, wurden, mit dem Namen des Verstorbenen
beschriftet, über dem Grab als Totenmal errichtet. Von diesem
religiösen Brauch ist man heute völlig abgekommen.

In Zeiten der grassierenden Pest, wie während des 30jährigen
Krieges, in denen ganze Dörfer ausstarben, war oft kein Platz
mehr auf den Kirch und Friedhöfen, so daß die Toten weit
außerhalb der Ortschaften auf sogenannten Pestfriedhöfen
beigesetzt werden mußten. Hier und da sind solche Plätze heute
noch bekannt.

Nicht nur Friedhöfe, auch andere Orte der Stille, wie die
Walpurgiskapelle bei Weschnitz, die Kapelle St. Amorsbrunn bei
Amorbach, die Ruine der Wallfahrtskapelle Lichtenklinger Hof bei
Eitersbach, mitten im Wald gelegen, das St. Martin und
Veitskirchlein bei Mudau oder einfach eine Madonna am Wegesrand
regten auch früher schon zum Nachdenken über Werden und Vergehen
an.

Aus: RNZ, 1995, Herbert Seipel

Das neue Jahr mit Hörnerklang begegrüßt

Mit den Dilsberger Nachtwächtern durch die Silvesternacht
Die Sturmlaternen stehen blank geputzt auf dem holprigen Straßenpflaster, die selbst in der Dunkelheit blitzenden Hellebarden lehnen griffbereit an der Wand des Torturmes. Zwölf Nachtwächter richten noch ihre Hüte und bürsten die langen Umhänge glatt. Es ist Silvester, der letzte Tag im Jahr. Seit vielen Jahren schon erinnert man sich am 31. Dezember an die alte Tradition der Nachtwächter, die früher hoch oben auf dem Dilsberg ihren Dienst versahen. Heute begrüßen die Dilsberger Nachtwächter das neue Jahr.
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Über das Eis zum anderen Ufer

Glitzernde Eismassen statt fließendes Wasser verbanden im Februar
1929 die Menschen rechts und links des Rheines. Der große Strom
war zum „Stehen“ gekommen, meldeten damals die Zeitungen, als die
ersten Eisschollen sich in der Höhe von Frankenthal verfestigten.
Das Thermometer zeigte minus 15 Grad und bei Binden war der Rhein
bereits auf über 20 Kilometern zugefroren. Am 15. Februar 1929
war dann der Rhein endgültig von Speyer bis Bingen „zu Eise
erstarrt“, wie die Schlagzeile im „Generalanzeiger“ lautete.

„Langsam aber zähe, wie es nur der gefürchtete Gegner tun kann,
trieben die mächtigen Eisschollen in den letzten Tagen vorwärts,
setzten sich an den Ufern, Buhnen und Seitenarmen fest,
verbarrikadierten sie die Häfen und würgten den Verkehr ab“,
meldete das Blatt und wertete das Geschehen als einen
„heimlichen, fast unwirklichen Vorgang“. Eine weiße Eiswüste
lagerte über dem Strom, hieß damals, und erinnert wurde auch an
den 12. Februar 1895 und an die 60er Jahre des vorigen
Jahrhunderts, als der Strom ebenfalls zugefroren war.

Das „Jahrhundertspektakel“ lockte damals unzählige Menschenmassen
an die Ufer. Ganze Schulen pilgerten zum Rhein, darunter auch die
Hockenheimer Schülerinnen und Schüler der drei Volksschulen.
Ferdinand Auer und Jakob Riedel hatten als erste sich den Weg
über den Rhein gebahnt. Sie waren vom Ufer in Höhe des Lusshofes
aus bis zum „Hammer“ auf speyerischer Seite hinübergepilgert und
dort erst einmal einen Glühwein getrunken. Weniger Glück hatte
Hermann Kleber, der sich ebenfalls aufs Eis begeben hatte,
einbrach und von zwei zufällig vorbeikommenden Zimmerleute aus
Altlußheim gerettet werden mußte.

Durch die Eisversetzung war der Rhein um 1,6 Meter gestiegen.
Doch sah man damals die Gefahr durch die starken
Temperaturschwankungen. Ein plötzlich einsetzendes Tauwetter
hätte verheerende Folgen haben können. Erinnerungen wurden damals
an das Tauwetter 1879/80 wach, als sich die zusammengeballten
Eismassen lösten, den Flußlauf sperrten und durch den dadurch
steigenden Wasserspiegel für weite Überschwemmungen bis hin zum
Insultheimer Hof sorgten.

Zunächst aber faszinierte der zugefrorene Rhein, auf dem zwischen
Speyer und Mannheim 162 Schiffe festsaßen. Eisläufer nutzten die
spiegelnde Fläche, denn nach Speyer hinüber hatte sich ein
ausgesprochener Gehweg eingerichtet. Auch ein Brezelverkäufer aus
der Domstadt hatte seinen Stand neben einer Würstchenbude
aufgeschlagen.

Am Sonntag, 17. Februar, hatten ganze Völkerscharen zwischen
Speyer und Mannheim den zugefrorenen Rhein in Beschlag genommen.
Die Polizei war dem Massenbetrieb längst nicht mehr gewachsen.
Die Gastwirte am Rhein machten Bombengeschäfte. Ein Bierauto der
Brauerei Storchen aus Speyer wagte sich mit seinen 42 Zentnern
ebenfalls über das Eis, um den Eisvorrat kostengünstig
aufzufrischen.

Am 20. Februar aber war alles schon wieder vorbei: Bei stetig
steigenden Temperaturen wurden die ersten Warnmeldungen
veröffentlicht, die Menschen fingen an, das immer dünner werdende
Eis zu meiden. Die Sachverständigen begannen sich zu streiten, ob
das Eis gesprengt oder durch einen Eisbrecher gebrochen werden
sollte. Sonntags dann, am 24. Februar, begannen dann die
Sprengungen der Badischen Pioniere aus Schwetzingen, obwohl
dadurch der Fischbestand geschädigt wurde. Tausende säumten
wiederum das Ufer, als die Sprengungen wie schweres Geschützfeuer
einsetzten.

Quelle: unbekannt

Am "Faulen Pelz" gab's keine Faulpelze

Wie ein altes Heidelberger Stadtviertel zu seinem Namen kam / Erinnerung an die Lohgerber in der einstigen Bergstadt
In der folgenden stadttopographischen Betrachtung wird von einem Straßennamen berichtet, der wohl einmalig sein dürfte. Es ist die Bezeichnung „Fauler Pelz“ für zwei Straßen in Heidelberg. Oder kennt jemand einen solchen Straßennamen in einer anderen Stadt? Um niemanden zu nahe zu treten, soll gleich zu Beginn festgestellt werden, daß der Name „Fauler Pelz“ nichts mit der dort liegenden Haftanstalt zu tun hat. Die letztere wird zwar im Volksmund so genannt, weil es nicht so eindeutig klingt wie „Haftanstalt“ oder gar „Gefängnis“. An dem besagten „Faulen Pelz“ lebten keine Faulpelze. Im Gegenteil, hier wohnten und wirkten fleißige Handwerker, nämlich Gerber. Weiterlesen

Im "Lerchennest" endete die Flucht

Wo einst der Fluchtversuch des jungen Kronprinzen Friedrich von Preußen scheiterte
Wer einmal den landschaftlich reizvollen Kraichgau besucht, der auf der A 6 (Mannheim-Heilbronn) bequem zu erreichen ist, kann in dem zum Sinsheim gehörenden Stadtteil Steinsfurt eine interessante Entdeckung machen: Die Ortstafeln zeigen das in Holz geschnitzte Profil des „Alten Fritz“. Und das hat seinen Grund. Der Ort besitzt eine historisch interessante Stätte, das „Lerchennest“. Weiterlesen

Die Schloßanlage im Spessart

Selbst wer noch nie das idyllisch gelegene Wasserschloß
Mespelbrunn besucht hat, kennt es spätestens aus den bekannten
Spielfilmen, die sich rund um das „Wirtshaus im Spessart“ drehen.

In die Geschichte eingegangen aber ist die Schloßanlage mitten im
Spessart durch Erzbischof Johann von Mainz, der am 1. Mai 1412
dem Ritter Hamann Echter aus dem kurpfälzischen Teil des
Odenwaldes den Platz „Zum Espelborn“ für treue Dienste als
fürstbischöflichmainzerischer Forstmeister schenkte. Sieben
Jahre später baute er sich auf dem kleinen See ein befestigtes
Weiherhaus.

Sein gleichnamiger Sohn machte wegen der unruhigen Hussitenzeiten
zwischen 1427 und 1434 daraus ein festes Fachwerkhaus mit Mauern
und Türmen. 1429 richtete er im Wehrturm eine Kapelle ein. Er
stiftete dazu ein Kaplaneigut und baute ein Haus für den
Geistlichen. Den mittelalterlichen engen Andachtsraum beherrscht
das gotische Steingewölbe zwischen Apostel und Evangelisten in
Medaillons gefaßt, die zur „Ingelheimzeit“ 1729 gemalt wurden.
Den AlabasterAltar meißelte 1611 der Bildhauer Michael Kern. Die
Untergeschosse der Türme sind noch Zeugen der Epoche Hamann
Echters des Jüngeren.

1519 wurde in der Südecke des Hofes das heute noch mit
Wappenstein erhaltene Souterrain erbaut. Das alte Wasserschloß
aus dem Mittelalter fiel dem großzügigen Ausbau zum
Ranaissanceschloß zum Opfer. 1551 begann Peter Echter von
Mespelbrunn mit dem Bauwerk. Nach achtzehn Jahren hatte er ihm
seinen Stempel aufgedrückt. Die Wappensteine mit Jahreszahlen
berichten selbst in der heutigen Zeit noch von der etappenweisen
Fertigstellung der Schloßanlage. Im Schlußstein 1569 ließen sich
Peter Echter und seine Frau Gertraud von Adelsheim als
Doppelportrait verewigen.

Schreiner, Stukkateure und Maler waren beschäftigt, das Ambiente
des Renaissanceschloß zu gestalten. Eine niederländische
Wandermanufaktur fertigte 1564 den ältesten deutschen
Familienteppich mit den Bildern der Erbauer Peter und Gertraud
Echter samt ihren Kindern, Dienern und Bediensteten. Über Geburt,
Hochzeit und Tod der darauf vorgestellten Familienmitglieder mit
Sohn Julius Echter (später Fürstbischof von Würzburg und Herzog
von Franken) besagen handschriftliche Notizen in Andachtsbüchern.
Julius Echter wurde am 18. März 1545 im Turmzimmer von Schloß
Mespelbrunn geboren.

Adolf Echters Bauwerk zwischen Bergfried und Tor, von Baumeister
Wolf Beringer aus Würzburg, ist Vergangenheit wie die Gemälde
eines Augsburger Künstlers in der Hauskapelle. 1665 erlosch der
Mannesstamm der Familie Peter Echter. Der Besitz ging, nachdem
die letzte Echterin, Maria Ottila, den Vetter Philipp Ludwig des
Mainzer Kurfürsten Franz von Ingelheim geheiratet hatte, 1648 an
die Freiherren, späteren Grafen von Ingelheim. Mit des Kaisers
Erlaubnis führen sie noch bis heute Namen und Wappen der Herrn
von Echter weiter.

Die hufeisenförmige Schloßanlage ist heute noch im
Familienbesitz. Süd und Ostflügel werden privat genutzt. Durch
den Nordflügel mit seinen Sälen und historischen Gemächern sowie
die Kapelle können Führungen gemacht werden.

Aus: Rheinpfalz, 21.8.1991 awk

Die Schmuggler von Lußheim

Altlußheim am 9. August des Jahres 1822: Im Auwald zwischen Altlußheim und Ketsch trifft gegen fünf Uhr morgens die entlang des Rheins eingesetzte Badische Zollschutzwache auf eine große Gruppe von Personen, darunter auch zahlreiche Einwohner Altlußheims, die illegal über die (Rhein) Grenze gebrachte Waren mit sich führen. Der Versuch der in Rheinhausen stationierten Zollschutzwache, nach dem Gesetze einzuschreiten, scheitert, da sich die Menge der Verhaftung widersetzte. Weiterlesen

Zweibrücken-Jerusalem und zurück

Am 30. März 1495, einem Montag „vormittags 11 Uhr, nachdem die
Hauptmahlzeit eingenommen“, ritt der Herzog aus Zweibrücken
zunächst gen Westen, um  wie man verabredet hatte  seinen
Schwager Graf Johann Ludwig von NassauSaarbrücken zur
gemeinsamen Pilgerreise abzuholen. Mit von der Partie waren die
adeligen Gefolgsleute Schweickard von Sickingen (der Vater des
berühmten Franz von Sickingen), Stephan von Venningen, Karl Boos
von Waldeck und Heinrich von Schwarzenberg. Abgerundet wurde die
Gruppe von einigen Reitknechten und schließlich von einem
Chronisten des ebenso abenteuerlichen wie frommen Unternehmens,
der sich in seinen Notizen lediglich als „Diener des Herzogs
Alexander“ bezeichnete.

Man hat lange gerätselt, wer denn der Verfasser des erst knapp 90
Jahre später bei Sigmund Feyerabend in Frankfurt erschienenen
„Reißbuch des heiligen Landes“ gewesen sein könnte, dann sich
aber unter den Historikern auf den herzoglichen Geheimschreiber
Johann von Meisenheim geeinigt. Er sei, so befand man, unter den
Reisegenossen der einzige zu solcher Niederschrift Befähigte
gewesen und habe obendrein die französische Sprache beherrscht.
Daß der Herzog ihm am Morgen vor der Abreise das sogenannte
Schweinheimer Gut nahe Marnheim, das er bislang nur auf
Lebenszeit besaß, als Erblehen übereignete, war denn wohl auch
als Versorgung für Meisenheimers Familie gedacht, falls ihm
während des Unterwegsseins zu so fernen Zielen etwas zustoßen
sollte.

Für soviel Fürsorge hat sich der Chronist durch gewissenhaftes
Tagebuchführen dankbar gezeigt. Die Stunde des Aufbruchs am
Morgen hat er, wie die jeweils zurückgelegte Wegstrecke, ebenso
notiert wie jene der Ankunft im nächsten Nachtquartier. Er
schrieb auf, welche Kirchen besucht wurden, welche Reliquien man
dort verwahrte, was die Fährleute an Überfahrtsgelder und die
Mautknechte als Zollgebühren verlangten. Daneben listete er aber
auch geographische Besonderheiten, vielerlei Fremdartiges aus
Landbau und Handwerk, den vorteilhaften Eindruck oder auch das
Gegenteil beim Aufenthalt in großen wie kleinen Städten auf. Und
all dies tat er alles nüchtern ohne sprachliche Schnörkel, als
habe er lediglich eine Bilanz zu erstellen. Wie sein Herr aber,
der zeitlebens über keine nennenswerten Reichtümer verfügte, die
Morgenlandfahrt finanzierte und auf welchem Weg die benötigten
Summen für die Schiffspassage und etliches Unvorhersehbare nach
Venedig gelangten, darüber schweigt sich der Geheimschreiber aus.

Der Herzog und sein Gefolge waren übrigens nur von Zweibrücken
bis Venedig (und von dort zurück in die kurpfälzische Heimat)
unter ihrem wahren Namen gereist. An Bord der Galeere, aber auch
in Palästina wurde strenges Inkognito gewahrt. Franziskanermönche
in Jerusalem, die sich dann der „einfachen teutschen Pilger“ mit
angenommenen Namen annahmen, werden, wie schon zuvor der
Johannitergroßmeister auf Rhodos, bald gewußt haben, mit wem sie
es zu tun hatten.

Zunächst aber saß die Zweibrücker Pilgergruppe an vielen Tagen
bis zu acht Stunden im Sattel. Man schaffte dadurch im Schnitt
täglich 70 und mehr Kilometer. Am 2. April galt der Umweg von
Dieuze nach Nancy einem Besuch des Herzogs von Lothringen, der
seinen Gästen ein Empfehlungsschreiben an den Dogen von Venedig
mitgab und sie mit „einem großen Hecht und acht Karpfen, dazu
weißen und roten Wein in einer großen silbervergoldeten und mit
dem Wappen des Herzogs geschmückten Kanne“ verpflegen ließ.

Über Epinal, Remiremont, Thann und Basel erreichte man am 8.
April Zürich, laut Meisenheimer „eine sehr hübsche, wohlgebaute
Stadt, umgeben von gutem Land mit Wein, Korn und anderer Frucht“.
Der hier vorgesehene Ruhetag wurde zu einem Besuch des Klosters
Einsiedeln genutzt. Von Rapperswil ging es via Vaduz durch das
Klostertal nach Bludenz, über den Arlberg hinunter nach Pettneu
und dann von Landeck im Inntal aufwärts. In Meran kamen die
Reiter, vom Reschenpaß her, „am Karfreitag nachmittag um 4 Uhr“
an. Hier wurde zwei Tage gerastet, um „den österlichen
Verpflichtungen nachzukommen“, in der Klosterkirche der
Klarissinnen zu beichten und die Kommunion zu empfangen. Am
Ostermontag trabten die Pfälzer die Etsch abwärts nach Tramin und
Trient, von da ins Suganatal nach Ospedaletto. Castelfranco und
Mestre waren die letzten Stationen, bevor man am 24. April in der
„Königin der Lagunen“ anlangte.

In Venedig hielt sich die Reisegesellschaft lange auf, beinahe
so, als ob es keinem mit der Weiterfahrt ins Heilige Land
sonderlich geeilt hätte. Vom Standquartier, der Herberge „Zum
weißen Löwen“ nahe der Rialtobrücke aus, besuchte der Herzog samt
Gefolge zahlreiche Kirchen, nahm an einem Festgottesdienst in San
Marco teil, wohnte am Himmelfahrtstag der traditionellen
„Vermählung“ des Dogen mit dem Meer bei, ging am Fronleichnamstag
„unerkannt von der Menge“ mit einer von der Stadt gestifteten
weißen Kerze in der Prozession hinter dem Allerheiligen drein,
und ließ sich sogar zu einem Ausflug nach Padua bewegen, um am
Grab des Heiligen Antonius zu beten. Dort traf er zufällig seinen
Vetter, den Bischof von Thérouanne, Anton von Croy, der sich
zusammen mit seinem Sekretär und einigen Dienern der Pilgergruppe
spontan anschloß und an der weiteren Wallfahrt teilnahm.

Johann Meisenheimer vergaß derweil nicht, in seinem Tagebuch
bewundernd vom Reichtum Venedigs zu berichten, von Kunstschätzen
und kostbaren Materialien in Gotteshäusern und an Staatsgebäuden.
Bei einem Besuch des Arsenals und seiner Werkstätten kam er aus
dem Staunen kaum heraus: Eine ganze Stadt war da zu sehen  nur
zum Zweck der Neubauten, der Ausbesserung und Ausrüstung von
Kriegsschiffen errichtet, deren er mehr als einhundert in den
verschiedenen Hafenbecken festgemacht zählte. In einem großen
Arbeitsraum wurden lediglich Seile gedreht, in anderen
Werkstätten Anker und Nägel geschmiedet, Riemen für die
Ruderführung gefertigt, Armbrüste und Bogen hergestellt. Etwa 300
Frauen waren tagaus, tagein mit dem Nähen von Segeln beschäftigt.
Insgesamt arbeiteten in diesem Staatsbetrieb mit
Geschützgießerei und Pulverbereitung rund 3.000 Menschen.

Nicht unerwähnt bleiben freilich auch Venedigs „köstlich
gekleidete Adelsdamen und Bürgerweiber“. Viele seien „über alle
Maßen hübsch und man könne ihre Schönheit gar nicht genug loben
und preisen“. Was Wunder, daß bei soviel Sehens und
Erlebenswertem zunächst der ganze Monat Mai ins Land ging, obwohl
der schwärmende Chronist die Schuld für das „unfreiwillige“
Warten der „Saumsal des Schiffspatrons“ anlastete. Bis man
schließlich mit dem Messer Augustin Contaren, einem geriebenen
Eigner, gegen 50 Dukaten „Überfahrtsgeld“ pro Passagier und eine
zusätzliche, mehr oder weniger „freiwillige“ Aufzahlung von
weiteren 150 Goldstücken zum Vertragsabschluß kam, war es
schließlich Ende Juni geworden. Ein aufkommender Sturm, der die
Galeere beschädigte und die bereits eingeschifften Pilger „noch
auf der Lagune“ alle seekrank werden ließ, erzwang erneut einen
Aufschub. Am 3. Juli konnte das Schiff endlich „das offene Meer
gewinnen“.

Erst fünfeinhalb Wochen später, am 11. August morgens, kam das
Gestade des Heiligen Landes in Sicht. Der Kapitän hatte, wie
ehedem üblich, zunächst den Seeweg entlang der istrischen und
dalmatinischen Küste gewählt, die Galeere zwischen zahlreichen
vorgelagerten Inseln nach Korfu durchlaviert und von dort, am
Peloponnes vorüber, Candia angesteuert. Dort, wie auch danach vor
Rhodos, wurde für jeweils drei Tage Anker geworfen.

Hier, am Sitz des Großmeisters der Johanniter, berichteten aus
Deutschland stammende Ordensritter ihren pfälzischen Landsleuten
von den erbitterten Kämpfen, die anderthalb Jahrzehnte zuvor
während der Belagerung durch die Türken stattgefunden hatten.
Noch immer wurde am Bau neuer, stärkerer Befestigungen
gearbeitet, um bei zukünftigen Angriffen der „Ungläubigen“
verteidigungsbereit zu sein. Entschlossener Abwehrwille der
Kurpfälzer zahlte sich übrigens auch bei der Weiterfahrt nach dem
Passieren der kleinasiatischen Küste im Seegebiet von Zypern aus.
Gleich drei Seeräuberschiffe drehten schließlich ab, als die
Piraten sahen, daß man auf der Galeere „blankgezogen“ hatte.

Wenn der Herzog und seine Begleiter auch relativ unbehelligt und
wohlbehalten den Hafen von Jaffa erreichten, so konnte trotzdem
nicht das Land betreten werden. Der zuständige türkische Aga, der
fürs weitere Geleit nach Jerusalem seine Einwilligung geben
mußte, war verreist und kehrte erst am 19. August zurück. Nach
kleinlichen Schikanen bei der Personalienfeststellung und einer
auf der Stelle zu leistenden Zahlung ließ des Agas Sekretär die
Fremden erst einmal ins Gefängnis sperren. Dem so wunderlich
eifrig und beutelüsternen Helfer Abraham Grasso ließ, als
Meisenheimer sich im Namen des Herzogs über ihn beschwerte, der
Aga denn auch „50 Streiche mit dem Ochsenziemer“ verpassen und
der Chronist meinte gar, der so Gezüchtigte werde „nicht mit dem
Leben davonkommen“. Doch nach etlichen Stunden hatte Abraham bei
seinem Herrn schon wieder Gnade gefunden, aber die Gruppe
wenigstens einige Zeit Ruhe vor seiner Begehrlichkeit.

Der Schreiber mietete daraufhin bei dem Türken Chassym 17 Esel
für die Weiterreise nach Jerusalem. Bei drückender Hitze
erreichten die Pilger nach einem Abstecher nach Lydda und
Aufenthalten an „Stätten frommer Erinnerung wie Emmaus und
Arimathia“ am 27. August das Ziel ihrer Wünsche. Quartier machten
sie im Spital, doch Ausgangspunkt all ihrer weiteren
Unternehmungen in der heiligen Stadt war das Franziskanerkloster
auf dem Berg Zion. Dort hörten sie auch an jedem Morgen die
Messe.

Die Mönche führten sie all zu den Stätten, die durch
Begebenheiten aus dem Leben Jesus und seiner Jünger oder durch
andere fromme Überlieferung geweiht waren. Ärger bekamen die
Pfälzer aber, als der Besuch der Grabeskirche anstand. Wieder war
es Abraham Grasso, der, mit der Aufsicht betraut, einen üblen
Streich spielte. Er wollte das Gotteshaus für den Herzog und
seine Begleitung nicht öffnen lassen, falls er nicht zuvor vom
mitgekommenen Schiffspatron 200 Dukaten erhielte. Als der sich
weigerte, setzte Abraham Bewaffnete zum Franziskanerkloster in
Marsch und drohte, die Pilgergruppe beim Verlassen ihrer Bleibe
in Ketten schmieden zu lassen.

Die Patres legten sich wacker für ihre Gäste ins Zeug, doch die
geforderte Summe mußte dem Nimmersatt ausgehändigt werden. Erst
dann öffnete sich die Pforte. In feierlicher Prozession zogen die
so schändlich Ausgebeuteten dann doch noch in das Gotteshaus ein
und „um Mitternacht wurden Herzog Alexander, der Graf von Nassau,
Schweickhard von Sickingen, Stephan von Venningen und Heinrich
von Schwarzenberg in dem für die Heiden stets verschlossenen
heiligen Grabe durch den Bruder Johann von Preußen zu Rittern des
Heiligen Grabes geschlagen“.

Die Zeit des Aufenthaltes wurde zu mancherlei Ausflügen genutzt.
Man ritt nach Bethlehem, auf den Berg Juda, nach Bethanien und
zum Jordan, um dort „nach heißem, staubigem Wege“ in „den
erquickenden Fluten“ zu baden. Doch kaum waren die Pilger ins
Wasser gelangt, wurden sie „unter einem nichtigen Vorwand von
türkischen Reitern, die sie der Sicherheit wegen begleiteten,
wieder herausgejagt“. Am vorletzten Tag ihres Aufenthaltes
beteten alle noch einmal „eine Stunde in der heiligen
Grabeskirche“. Am 10. September brach man zur Heimfahrt auf.

Schon der erste Reisetag war von Unglück überschattet. Bischof
Anton von Croy sank „von einem hitzigen Fieber befallen“, vom
Esel und konnte nur mit Mühe zur nächsten Herberge gebracht
werden. Zur Sorge um den Kranken gesellte sich weiteres Unheil.
Ein deutscher Jude, der auf der Herreise in einem griechischen
Hafen an Bord gekommen war, hatte dem Aga von Jerusalem den hohen
Stand der Pilger aus der Kurpfalz verraten. Der fackelte nicht
lange, um daraus zuletzt noch Nutzen zu ziehen. Er forderte nicht
nur Bares, er drohte sogar, den Herzog, den Grafen und die Ritter
solange als Geiseln festzusetzen, bis der JohanniterGroßmeister
in Rhodos zehn „kürzlich gefangengenommene Türken“ freigegeben
habe.

Nach entnervendem Hin und Her und mehrmaliger Verdoppelung der
erpreßten Lösegeldsumme, für die sich die Franziskaner verbürgen,
der Schiffspatron sein ganzes Silber versetzen und weitere
Darlehen aufgenommen werden mußten, durften die der Verzweiflung
nahen Heimkehrer nach Jaffa weiterziehen. Sie dankten, endlich an
Bord der Galeere, „Gott dafür, nun aus den Händen der verfluchten
Heiden“ zu sein, die „ihnen so viel Übels und mancherlei Leid und
Kümmernis getan“ hatten.

Im Hafen von Salamis auf Zypern, dem ersten Ankerplatz nach drei
Tagen Überfahrt, erfuhren sie, daß sie einer weiteren Gefahr eben
noch entgangen waren. Nur wenige Stunden nach dem Segelsetzen
waren 500 arabische Räuber in Jaffa eingetroffen, die , wie ihnen
von Passagieren eines anderen Schiffes berichtet wurde, mit der
Absicht nach dort gekommen waren, die fremden „vornehmen Herren“
gänzlich auszuplündern.

Am 6. Oktober wurde Rhodos erreicht, wo der deutsche Großprior
des Johanniterordens die Ankommenden begrüßte und der Herzog
anderen Tags das Grab eines zwei Jahre zuvor während einer
Pilgerreise gestorbenen Verwandten, des Herzogs Christoph von
Bayern, aufsuchte.

Am 9. Oktober stach man erneut in See. Da meist „vollkommene
Windstille herrschte“, brauchte das Schiff nach Venedig ganze 71
Tage. Weihnachten feierte der Herzog mit seinen Getreuen in
Mestre, den Silvesterabend verbrachte man bereits in Meran. Von
dort ging der Ritt durch winterliche Landschaft über Landeck, den
Fernpaß und die Ehrenberger Klause ins obere Lechtal und mit
Übernachtungen in Kempten, Memmingen, Ulm und Göppingen nach
Esslingen. Unweit des Zisterzienserklosters Maulbronn
verabschiedeten sich der Sickinger und Stephan von Venningen, um
auf direktem Weg heimzukehren. Bei Bruchsal trennte sich auch
Junker Karl Boos von den übrigen.

Am 15. Januar setzte der Herzog bei Udenheim (dem heutigen
Philippsburg) über den Rhein und kam noch am Abend dieses Tages
im ersten Ort seines Landes, in Annweiler, an. Die Kunde
verbreitete sich wie ein Lauffeuer: „Der Herzog ist von seiner
Wallfahrt glücklich heimgekehrt!“ Ein Bote wurde auf den Weg
geschickt, um diese Nachricht auch nach Zweibrücken zu bringen.
Dort zog dem Landesherrn am anderen Nachmittag zur Begrüßung „die
ganze Einwohnerschaft in feierlicher Prozession entgegen: Die
Geistlichen im Ornat mit Monstranz und Reliquien, das ganze
Hofgesinde, seine Mutter, welche während seiner Abwesenheit mit
erprobten Räten die Regierungsgeschäfte geführt“.

Ob Herzog Alexander den Zweck seiner Reise und „die Ruhe seiner
Seele“ wiedergewonnen hatte, ist beim Chronisten Johann von
Meisenheim nicht überliefert.

Aus: Die Rheinpfalz, 13.1.1990, Ludwig Wien

Die Bauersfrau mit den vornehmen Manieren

Sie waren zwar verlobt, aber sie heirateten nie: die hübsche Frankfurter Bankierstochter Anna Elisabeth Schönemann und der angehende Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Als sich 1775 die beiden Familien gegen eine Heirat aussprachen, hatten die beiden Liebenden nicht mehr die Kraft, gegen diese Meinung zu heiraten. Goethe siedelte im November nach Weimar über, auch Lili Schönemanns zweite Verlobung mit dem Straßburger Harry Bernard scheiterte. Weiterlesen

Im Jagdrevier der Nibelungen

Am Abend bei einem Glas guten Weins auf der Burg Hirschhorn
wußten wir: „Der Odenwald hat es in sich, weit mehr als
erwartet.“ Ein langer Besichtigungstag lag hinter uns, angefüllt
mit Burgen, Schlössern, Rathäusern, Kirchen und Geschichtszahlen.
Und das alles in einer sanftgewellten Mittelsgebirgslandschaft
mit ausgedehnten Mischwäldern zwischen Rhein, Main und Neckar 
ehedem, wie die Sage es erzählt, das Jagdrevier der Nibelungen.
Im sinkenden Licht blickten wir hinunter ins Neckartal und auf
die Dächer des mauerumgürteten Städtchens Hirschhorn.

In Darmstadt, dem „Tor zum Odenwald und zur Bergstraße“, hatten
wir am frühen Morgen unsere zweitägige Autoreise angetreten. Über
die B 26 führte sie zunächst nach GroßUmstadt, der „Odenwälder
Weininsel“, wo es ein RenaissanceRathaus, eine spätgotische
Pfarrkirche und Adelshöfe zu besichtigen galt. Auf der
Ferienstraße AlpenOstsee, der B 45, vorbei an der trutzigen
Feste Otzberg und durch Höchst mit schönen Fachwerkbauten
gelangten wir zur Burg Breuberg, die mit ihren mächtigen
Wehranlagen das Mümlingtal beherrscht.

Bad König, das einzige Heilbad des Odenwaldes, zählt wahrlich
nicht zu den großen und mondänen seiner Zunft. Es ist vielmehr
ein kleiner, hübscher und (noch) beschaulicher Kurort mit
Fachwerkhäusern, dem Alten und Neuen Schloß und einer
Friedhofskapelle aus dem 11. Jahrhundert. Für seine Gäste hält es
ein modernes Kurzentrum mit Thermalbewegungsbad, einen Kurpark
und ein breites Aktivitätenangebot bereit.

Historie gebündelt gab es in Michelstadt, das 741 als
„Michlinstat“
erstmals urkundlich erwähnt wurde. Einhard, der
Berater und Biograph Karls des Großen, erhielt 814 die
Michelstadt von dessen Sohn Ludwig dem Frommen zum Geschenk. Im
Ortsteil Steinbach hinterließ Einhard mit der gleichnamigen
Basilika eines der seltenen noch erhaltenen Beispiele der
karolingischen Baukunst.

In Michelstadt wird Geschichte gleichsam lebendig: In der
Stadtkirche aus dem 15. Jahrhundert mit wertvollen Grabmälern, in
der Kellerei mit dem Odenwald und SpielzeugMuseum, in
zahlreichen Fachwerkhäusern und in der turmbewehrten Stadtmauer.
Sein unverwechselbares Wahrzeichen freilich ist das mit offener
Ständerhalle und Erkertürmchen höchst originelle und malerische
FachwerkRathaus aus dem Jahre 1484. Versteht sich, daß wir zum
Wasserschloß Fürstenau hinausfuhren und ebenfalls zum barocken
Jagdschloß Eulbach mit Englischem Garten, Wisentgehege und Resten
von Römerkastellen des nahen Limes. Und wer Zeit dazu hat: eine
LimesWanderung lohnt allemal.

Im benachbarten Erbach war der Besuch des Deutschen
Elfenbeinmuseums mit mehr als 1.000 Exponaten aus aller Welt
unerläßlich. Sehr eindrucksvoll der weite Schloßplatz mit der
imposanten Barockfront der Residenz der Grafen zu ErbachErbach,
mit dem Rathaus aus dem 16. und der Pfarrkirche aus dem 17.
Jahrhundert. Franz I. (1754 bis 1823), der die Elfenbeinkunst
nach Erbach brachte, füllte sein Schloß mit reichen Sammlungen
antiker Kunstgegenstände, mittelalterlicher Waffen, kapitaler
Hirschgeweihe und afrikanischen Jagdtrophäen.

Am Galgenberg von Beerfelden kommt man nicht vorbei  wenn nicht
des „dreischläfrigen“ Galgens von 1597, so doch des gerühmten
Fernblicks über die rund 600 Meter hohen Kuppen des Odenwalds
wegen. Im Ort betrachteten wir den ZwölfRöhrenBrunnen, die
Fassung der Mümlingquelle, und ein wenig außerhalb den über
einhundert Jahre alten HimbächelEisenbahnviadukt, um dann
Hirschhorn im Neckartal zuzustreben.

Nach einer Nacht im RenaissanceGemäuer mit neuzeitlichem
Komfort, machten wir uns auf den Rückweg über WaldMichelbach
nach Grasellenbach, an dessen Siegfriedbrunnen (den übrigens auch
andere Orte für sich reklamieren) der grimmige Hagen von Tronje
den jungen Helden mit dem Speer niedergestreckt haben soll.

Ein Stück auf der Siegfriedstraße, die Lorsch mit dem bayerischen
Amorbach verbindet, und wir erreichten den Heilklimatischen
Kurort Lindenfels, hoch auf einem Bergrücken, gekrönt von
wuchtigen Burgmauern mit freiem Blick über Berg und Tal. Die
Nibelungenstraße entführte uns sodann in die erdgeschichtliche
Frühzeit, zum Felsenmeer bei Reichenbach. Nach kurzer Fahrt über
OberRamstadt kündigte sich Darmstadt, die einstige Residenz der
Landgrafen und späteren Großherzöge von HessenDarmstadt, und die
Endstation unserer 210 Kilometer langen OdenwaldRundreise, mit
seinem JugendstilWahrzeichen an  mit dem Hochzeitsturm auf der
Mathildenhöhe.

Aus: RNZ, 11.2.1989, Heinz Bischoff

Holzdiebstahl wurde zum Volkssport

Aus dem Jahr 1837 ist eine Mitteilung des Großherzoglich badischen Forstamtes in Schwetzingen erhalten, in der über „einfallende Rotten“ berichtet wird, die „in Schaaren Gehölz in die Dörfer der Hardt“ gebracht hatten, um es dort zu verkaufen. Worin lagen aber die Ursachen, daß sich der Forstfrevel zu einem Massenphänomen entwickelte?
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Wer kennt schon die Kraich?

Ein Gau zwischen Neckar und Oberrhein trägt ihren Namen
Der Kraichgau ist dadurch berühmt, daß nur wenige Touristen ihn wirklich kennen. Die meisten Reisenden, die sein westliches Randgebiet auf eiliger Nord-Süd-Fahrt streifen, wissen nicht einmal den Namen der idyllischen Parklandschaft zwischen Oberrhein und Neckar.
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Unvergleichliches Heidelberg

Alt Heidelberg du feine,
Du Stadt an Ehren reich,
Am Neckar und am Rheine,
Keine andere kommt dir gleich
(J. V. v. Scheffel.)
Wem schlägt nicht das Herz höher beim Worte “Heidelberg”, wen zieht’s nicht hin mit allen Mächten der Sehnsucht zu der Königin deutscher Musenstädte, die residiert in der schönsten der schönen Landschaften Germaniens? Von Jahr zu Jahr huldigen ihr Hunderttausende aus aller Herren Länder in unversieglicher Begeisterung. Heidelberg ist das Mekka der Schönheitssucher in Gottes weitem Garten. Berg und Tal, Wald und Feld, Strom und Bach, Paläste und heimelige Häuslein, stolze Plätze, schmale, lauschige Gassen, unvergleichliche Denkmäler der Vergangenheit und neuzeitliche, bedeutungsvolle Schöpfungen, überwältigende Romantik und zarteste Lyrik, hohe Kunst und hehre Wissenschaft, geistvoller Ernst und ausgelassenste Fröhlichkeit, traute Schenken, würziger Wein und schäumendes Bier, herzliebe Mädel, lustige Kumpane sind hier vereinigt zu einem köstlichen Gemisch.
“Stadt fröhlicher Gesellen,
An Weisheit schwer und Wein,
Klar ziehn des Stromes Wellen,
Blauäuglein blitzen drein.”
(Scheffel.)
Schaue an der Brüstung der Molkenkur auf dies wunderbare Stück Erde. Zwischen zwei dichtbewaldeten Bergkuppen ruht ein lachendes Tal. Drin wälzt der Neckar seine grüne Flut. Auf dem leichten Wellengekräusel hüpft das Spiegelbild einer einzigartigen Stadt. Am linken Ufer reiht sich, eng und schmal, zwischen Fluß und Berg, das Dächergewirr der Altstadt in langer, langer Strecke aneinander. Machtvoll streben Halle und Turm der Heiliggeistkirche in formenschön Spätgotik darüber hinweg. Am andern Ufer folgen dem Wasserlaufe, hart an den Fuß des Heiligenberges geschmiegt, prächtige Villen, vornehme Wohngebäude. Über den Neckar schreiten die gleichmäßigen steinernen Bogen der alten Brücke, die Goethe eine der schönsten nannte. Aus dem in die Altstadt hineindringenden Blättermeer des Schloßberges ragt in den blauen Aether gigantisch auf die deutsche Alhambra: das majestätische Heidelberger Schloß. Nur schwer scheidet der Blick und schweift nach Westen, dahin, wo das Tal geweitet, wo in der breit gelagerten Rheinebene des Neckars geschlängelter Lauf in der Ferne verloren geht. Einem überquellenden Füllhorne gleich ergießen sich neue Stadtteile  vereint durch die Friedrichsbrücke  aus dem engen Flußtale hinaus in die Ebene und entlang der Bergstraße. Ganz draußen am Rheinstrom schimmern aus sonnig zarten Schleiern die Riesenschlote der Rheinau, flimmern die ernsten Umrisse des Kaiserdomes zu Speyer, leuchten die violetten Kuppen der Hardt.
Reich, wie die Schönheiten der Natur, sind die denkwürdigen Erinnerungen Heidelbergs. Im 12. Jahrhundert errichtete ein unbekannt Gebliebener die erste Burg auf dem Jettenbühl und ein Vorwerk auf dem Gaisberg. Im Schutze der Burg vergrößerte und entwickelte sich die spärliche Ansiedelung im Tal zu einem ordentlichen Gemeinwesen, das dem Bistum Worms gehört haben muß, denn 1225 gab Bischof Heinrich von Worms die Feste Heidelberg mitsamt der Ortschaft dem Pfalzgrafen Ludwig I. von Bayern als Leben, der sie zu seiner Residenz erkor.
Anfangs des 14. Jahrhunderts wurde die Pfalz von Bayern getrennt. Der erste Kurfürst der Kurpfalz, Ruprecht I., wählte Heidelberg wiederum zur Residenz. Dieser geistvolle Herrscher gründete 1386 die Universität, die nach Prag und Wien die älteste deutsche Hochschule war und bald zu hoher Berühmtheit gelangte.
Glanzvolle Tage rauschten über AltHeidelberg dahin. Zur Zeit der Renaissance wetteiferten Kurfürsten und Bürgerschaft in der Entfaltung fleißiger Bautätigkeit. 15501610 entstanden unter den Kurfürsten Friedrich II., Otto Heinrich und Friedrich IV. die wunderbaren Renaissancepaläste: der gläserne Saalbau, der OttHeinrichsbau und der Friedrichsbau.
Um 1610 stand das Schloß in vollstem Glanz inmitten feenhafter Luxusgärten, die der „Winterkönig“, Friedrich V., seiner Gemahlin zu Ehren hatte anlegen lassen. Die pfälzische Residenz zählte ungefähr 6000 Einwohner und war das Muster einer schmucken, mittelalterlichen Stadt mit prächtigen öffentlichen und privaten Bauten.
Da nahten die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges. Tilly, der schon nahezu die ganze Pfalz erobert hatte, trat 1622 mit Feuer und Schwert auf. Trotz tapferer Gegenwehr war nach einigen Monaten Belagerung Stadt und Schloß in seiner Macht. Die protestantischen Universitätslehrer wurden vertrieben, die berühmte Universitätsbibliothek wanderte zur größten Betrübnis der Heidelberger nach Rom.
Nur zehn Jahre lang besaßen die Kaiserlichen Heidelberg, dann eroberten die Schweden Schloß und Stadt. Zwei Jahre später, 1635, gelang den Kaiserlichen die Rückeroberung. Des Winterkönigs Sohn Karl Ludwig, der 1649 zur Regierung gelangte, richtete die Universität wieder ein und suchte nach besten Kräften Wunden, die der Krieg geschlagen, zu heilen. Aber noch hatte die Stadt das schlimmste nicht überstanden: den Befehl Ludwigs XIV.: “Brûlez le Palatinat!“ An den wunderbar ornamentierten Fassaden des Schlosses schlugen 1689 die Flammen empor. Kräftige Minen zerrissen das Mauerwerk. Der rote Hahn hüpfte von Haus zu Haus. Heidelberg und die Pfalz waren eine Wüste. Ludwig XIV. aber ließ ein feierliches Tedeum halten und eine Denkmünze prägte er: „Heidelberga deleta“, sein Bild und “Ludovicus Magnus, rex Christianissimus“!
An der Schwelle des 17. Jahrhunderte zog wohltätiger Friede durch die Lande, den die Bürgerschaft, immerwährender Religionszwiste wegen, jedoch nicht vollkommen genießen konnte. Zwar wurde die Stadt nach dem alten Lageplan wieder aufgebaut, Herrscher besserten an den Schloßüberresten dies und das aber der Glanz der Kurfürstenresidenz war und blieb verblichen. Der katholische Kurfürst Karl Philipp verlegte, des Streites der protestantischen Bürgerschaft müde, 1720 den Hof und gesamte Regierung nach Mannheim. Die Universität, die unter mißlichen Verhältnissen schwer gelitten hatte, sank fast zur Bedeutungslosigkeit herab. Der gute Wille des nächsten Kurfürsten Karl Theodor, der Stadt zu helfen, Handel und Wandel zu heben, Industrie einzuführen, hatte geringen Erfolg. Seine Absicht, dem von ihm wiederhergestellten Teile des Schlosses dann und wo zu residieren, durchkreuzten des Himmels Mächte. Ein Blitzstrahl schlug 1764 zu Trümmern, was Ludwigs XIV. General Melac übrig gelassen und die Kurfürsten nach dessen Schreckenstaten wieder geschaffen hatten.
Vernichtet waren die Hoffnungen der Heidelberger. Zähneknirschende Unzufriedenheit, Sorge, revolutionäre Gesinnung schritten durch die freudenleeren Straßen der vom Schicksal den Staub gepeitschten Stadt. Jeder neunzehnte Pfälzer soll damals ein Bettler gewesen sein. Da trat das 19. Jahrhundert durch die verlotterten Tore, gefolgt von der segenspendenden Glücksgöttin. Heidelberg und die rechtsrheinische Kurpfalz fielen 1803 an Baden, dessen Herrscher Karl Friedrich schon im gleichen Jahre der verwahrlosten Universität durch fürstliche Dotation neues Leben gab. Und neues Leben sproß allüberall auf. Die Hochschule gewann bald den ehemaligen Ruhm, weit über Deutschland, zurück. Die berühmtesten Gelehrten des 20. Jahrhunde saßen und sitzen heute noch auf den Lehrstühlen. Das Institut für experimentelle Krebsforschung ist einzig in seiner Art. Ueber 170 Dozenten und mehr als 2500 Studenten gehören gegenwärtig der „Ruperto Carola“ an.
Ansichten und Neigungen ändern sich. Fand man in launigen Zopfzeit die gleichmäßige Ebene und zierlich zugestutzte Gartenkunstwerke lieblich und schön, so hatten die Romantiker mehr Sinn für die Natur in ihrer reinen Ursprünglichkeit. Heidelberg mit den grünumrankten Burgtrümmern galt jetzt als Ideal landschaftlicher Schönheit. Tausende und Abertausende suchten dieses Ideal. Seit es Eisenbahnen und Dampfboote gibt, seit das Reisen Mode geworden, wälzt sich jahraus, jahrein ein ungeheurer Fremdenstrom zur Stadt am Neckar und am Rheine. Nahezu 200 000 Reisende werden alljährlich in den Fremdenlisten aufgezeichnet. Viele lassen sich zu dauerndem Aufenthalt nieder. Eine weitere Anziehungskraft erhält Heidelberg durch seine von der BadHeidelberg A. G. neu erbohrte, stark radiumhaltige Thermalsolquelle. Die in Verbindung damit zu schaffenden Einrichtungen bringen die Stadt in die Reihe der hervorragenden Kur und Badeorte Deutschlands. Heidelberg hat heute über 70000 Einwohner. Diese kraftvolle Entwicklung des Gemeinwesens ist aber nicht allein der Universität und dem Fremdenverkehr zu verdanken. Ein gut Teil dazu hat die Industrie beigetragen. Die großgewerblichen Bauten liegen aber vor dem Bahnhofsviertel an der Bergheimerstraße und beeinträchtigen so den Charakter Heidelbergs als vornehme Fremdenstadt durchaus nicht. Imposante neuzeitliche Bauten, zahlreiche großstädtische Kaufläden haben das Anheimelnde der Altstadt nicht zu verwischen vermocht. Jeder Stadtteil hat seine eigenen Reize. Still, vornehm, beschaulich ist’s in der Sofienstraße und in den Anlagen, heiter und genußvoll am Neckar entlang, kleinstädtisch in den schmalen Gäßlein AltHeidelbergs, prachtvoll im Rohrbacher und besonders im Neuenheimer Villenviertel, romantisch an den Bergstraßen beiderseits des Flusses.
Geistige Genüsse bietet Heidelberg in Hülle und Fülle. In erster Reihe gewährt sie die Universität mit ihren wissenschaftlichen und populären Veranstaltungen. Die riesengroße Universitätsbibliothek, die archäologische Sammlung, die Anatomie, die städtische Kunst und Altertümersammlung, die Gemäldeausstellung des Kunstvereins, die Landessternwarte, die zoologische Sammlung, der botanische Garten verdienen hier erwähnt zu werden. Berühmt ist das Musikleben Heidelbergs. Die Konzerte des Bachvereins unter Dr. Wolfrums Leitung hatten Weltruf. Eines guten Ansehens erfreut sich auch das Stadttheater. An Unterhaltung und Vergnügen mangelt es nicht. Wenn die ersten Frühlingsboten, Schlüsselblumen und Veilchen, sprießen, wenn der Mandeln Blüte der Berge Rand in jungfräuliches Weiß hüllt, an Lätare, zieht die Jugend in hell Scharen in unendlich langer Kette mit blumen und bändergeschmückten, brezel und äpfelbesteckten Sommerstäben, mit mächtigen Strohmännern, durch die Straßen, Dann schallt’s aus tausend Kehlen unermüdlich: „Strih, strah, stroh, der Summerdag ist do.”
Das Sommersemester beschert eine Reihe pompöser studentischer Feste mit Wagenkorso und Schloßbeleuchtung, Neckarfahrt und prunkhaftem Bankett. Jetzt ist die Zeit der Kongresse und Versammlungen. Es ist die Zeit der Regatten der Ruderklubs, der Schwimmwettkämpfe im Hallenbad und im Neckar. Alltäglich spielt das städtische Orchester im Schloßpark und im Stadtgarten. Und auf den Herbst voller Farbenpracht und prickelnden Bergsträßlerweine locken zuguterletzt des Winters Freuden droben auf den Rodelbahnen des Königsstuhls, zu denen die Drahtseilbahn bequem hinaufbefördert.
Das Herrlichste aber sind und bleiben die Schloßbeleuchtungen. Tausende und Abertausende streben diesen zu. Von Mannheim bringt Extrazug um Extrazug immer neue Schaulustige. Der langen Neuenheimer Landstraße ganze Breite ist besetzt, Kopf an Kopf. Die Nacht ist dunkel. Kleine Fünklein weisen nach dem Himmelsgewölbe, leuchtende Pünktchen lassen ahnen, wo Berge schlummern, leise Ruderschläge deuten hin auf die Nähe des Wassers. Sonst Stille ringsum. Die Zeit ist da. Donner rollt vom Königsstuhl zum Heiligenberg. Die Köpfe recken sieh. Drüben lodert ein feuriger Brand. Von der Bergwand steigt’s herauf, blutigrot.
Jetzt steht’s vor uns: das Schloß mit seinen Mauern und Zinne Türmen und Bastionen, mit seinen unheilbaren Wunden, und dennoch in unendlicher Pracht, in gewaltiger Erhabenheit. Alles ist dunkel. Nur das Schloß ist da, feenhaft, wundersam. Und wer die, Flammen träumerisch verglühen, dann ist’s, als ob ein verwehter Funke zu uns herübergeflogen. Die alte Brücke brennt. In Glut getaucht enthüllt sie ihre edlen Formen. Im dunklen Schoß des Neckars aber rasselt’s und prasselt’s. Ein Heer von Feuerkugeln steigt auf und sinkt in die Flut. Von fernher kommt ein Schiff. Aus dem Geheul des Pulvers treten harmonische Klänge immer deutlicher hervor. Das singt und klingt:
“Gaudeamus igitur
Juvenes dum sumus”,
und tausend hochgestimmte Herzen klingen und singen nach.
Aus dem Badischens Verkehrsbuch 1898