Forschungsergebnisse der Wersau-Grabung

Kernburg komplett abgetragen / Grabungskonzept mit Wissensvermittlung möglich

Auf großes Interesse stieß die letzte öffentliche Gemeinderatssitzung. Über 50 Bürgerinnen und Bürger wollten sich unter anderem über die Ergebnisse der Lehrgrabungen der Universität Heidelberg auf dem Gelände der ehemaligen Burg Wersau aus erster Hand informieren. Dass auch heute unter der Grasnarbe nichts mehr von der Kernburg erhalten ist, hat Prof. Dr. Thomas Meier vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Heidelberg selten erlebt.
„Schuld“ daran sind jene Reilinger, welche die Kernburg im 18. und 19. Jahrhundert mit einer großen Gründlichkeit abgetragen haben. „Die Befunderhaltung ist bei weitem zu schlecht, um die Burg Wersau in einem Archäologiepark zu präsentieren und erlebbar zu machen“, sagte Meier in der Gemeinderatssitzung. Die ältesten (nachweisbaren) Schichten der Lehrgrabung datieren in das frühe 13. Jahrhundert. Die ältesten Mauern stammen aus der spätmittelalterlichen Entstehungszeit, die jüngsten gehören zu den Mühlengebäuden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Ein Suchschnitt wurde auch zentral durch die Kernburg gelegt, um den dortigen Schichtenaufbau und Befunderhalt zu klären. Dort zeigte sich, dass sämtliche Nutzungsschichten und nahezu alle Baureste, ja selbst die Motte, das heißt ein künstlich angelegter Erdhügel, auf dem die Kernburg stand, durch die Abbrucharbeiten am Ende des 18. und im frühen 19. Jahrhundert abgetragen worden sind.
Die gefundenen Bauhölzer sind durch den sinkenden Grundwasserspiegel in so schlechtem Zustand, dass eine dendrologische Datierung nicht möglich ist. Im Burggarben wurden große Mengen Gebrauchskeramik, jedoch weder Küchenabfälle (Tierknochen) noch wertvollere Gegenstände aus Glas oder Metall gefunden, was auf geordnete Abbruch- oder Umbauarbeiten in der Burg schließen lässt.
Überrascht waren die Archäologen, als sie an mehreren Stellen endneolithische oder bronzezeitliche Keramikscherben (spätes 3./2. Jahrtausend v. Chr.) bergen konnten. Dies deutet auf eine umfangreiche Siedlungsstelle hin. Da vorgeschichtliche Fundstellen in der Region fast ausschließlich von sog. Mineralböden bekannt sind, ist der Reilinger Auenstandort ausgesprochen ungewöhnlich.
Dennoch sahen Dr. Folke Damminger vom Referat Denkmalpflege des Regierungspräsidiums Karlsruhe wie auch Professor Meier Ansatzpunkte für weitere „Forschungen auf lokaler, wenn nicht gar regionaler Ebene“. Universitäre Forschungen seien aber wegen der geringen Bodenfunde nicht möglich. Für eine Fortführung der Grabungen in kleinerem Rahmen müssten die Gemeinde oder private Sponsoren aufkommen.
Die beiden Fachleute konnten sich archäologische Grabungen zur Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte als Bestandteil eines Gesamtkonzepts für die Schlossmühle vorstellen. Ein wesentlicher Bestandteil sei die Einbindung ehrenamtlicher Kräfte vor Ort.
Eine Ausstellung in der Schlossmühle könnte Archäologie und Geschichte der Burg Wersau, aber auch die umgebende Landschaft (Kisselwiesen) in ihrer historischen Entwicklung und ihrem ökologischen Wert vermitteln. Auf eine professionelle Konzeption und Einrichtung (geschätzte Kosten für zwei Räume: 15.000 bis 20. 000 Euro) sollte ein ehrenamtlicher Betrieb folgen.
Für die Erlebbarmachung der einstigen Burg Wersau regten die Archäologen die Darstellung der wichtigsten Strukturen durch eine farbige Bepflanzung an. Sie könnte die Ausdehnung von Kern- und Vorburg auch für Laien nachvollziehbar machen. Denkbar wäre auch eine zeitweise Präsentation von Wersau-Überresten bei archäologischen Grabungen auf kleinen Flächen durch Ehrenamtliche unter Anleitung eines erfahrenen Studenten oder Magisters, der die Dokumentation übernimmt. Das würde schätzungsweise 12. 000 € pro Jahr kosten.
Obwohl nicht so viel wie erhofft von der ehemaligen Burg erhalten ist, sei die Wersau doch ein ganz zentraler Kristallisationspunkt für die lokale Identitätsbildung, stellten die Wissenschaftler fest. Ihr Wert liege insbesondere in der emotionalen Bedeutungszuschreibung vieler Reilinger, die hier die Keimzelle ihres Ortes sähen oder dem Platz durch persönliche oder familiäre Verbindungen verbunden seien.
Die Schlossmühle als Nachfolger der Burg Wersau bilde einen markanten und durch den Baumbestand vor allem landschaftsästhetischen Bezugspunkt, der den Raum zwischen der geschlossenen Ortsbebauung und dem Naturschutzgebiet Kisselwiesen strukturiere, so Prof. Maier. Dieser Bedeutung müsse jede weitere Nutzung des Geländes Rechnung tragen.
Einer Bebauung des Bereiches von einstiger Kern- und Vorburg räumen Meier und Damminger kaum Chancen ein. Denn zuvor würde die Denkmalpflege eine flächendeckende Ausgrabung fordern, die ausgesprochen zeit- und kostenaufwendig und vom Investor zu finanzieren wäre.
Weil auch durch sinkenden Grundwasserspiegel der Verfall der mittelalterlichen Bauhölzer drohe, wäre der Status quo, also die Nutzung des früheren Burgareals als Streuobstwiese, für die Archäologen der „denkmalpflegerische Idealfall“.
Damit konnte sich Sabine Petzold (Freie Wähler) nicht abfinden: „Es ist irgendwie ein touristischer Anziehungspunkt geworden“, erinnerte sie an das öffentliche Interesse, das grüne Klassenzimmer und den Arbeitskreis Wersau, der sich gegründet hat. Jens Pflaum (FDP) schloss sich der Expertenmeinung an und hielt es für das Beste, die Substanz unter der Wiese ruhen zu lassen. Er plädierte für eine kurzfristige Entscheidung. Dieter Rösch (SPD) dankte für enorme Erkenntnisse trotz geringer Substanz und wollte den Arbeitskreis Wersau einbinden. Peter Kneis (CDU) bat die Verwaltung, mit allen Interessenten in neue Gespräche einzutreten und zu informieren.
Über die Zukunft des Geländes müssen sich nun die Fraktionen weitere Gedanken machen.

Motte_Wersau
So oder so ähnlich könnte die Burg Wersau einmal ausgesehen haben. Rekonstruktion einer kleinen Burganlage am Niederrhein, des Husterknupp bei Grevenbroich. Zeichnung: Adolf Herrnbrodt et al., Der Husterknupp. Eine niederrheinische Burganlage des frühen Mittelalters. Beihefte der Bonner Jahrbücher 6 (Bonn 1957)

 
/ Öffentliche Gemeinderatssitzung am 12. November 2012

Musik und gute Laune zum Jubiläum

25. Reilinger Straßenfest / Spargelgemeinde erwartet am 10. September Tausende Besucher aus nah und fern / Reizvolle Angebote zwischen Kulinaria und Kultur
Wenn am Samstag, 10. September, das 25. Straßenfest in Reilingen nach einem Böllerschuss und dem Prolog des Wersauer Burgwächters von Bürgermeister Walter Klein und Siegfried Heim, dem Vorsitzenden der Kultur- und Sportgemeinschaft eröffnet wird, erwartet die vielen Besucher aus nah und fern in diesem Jahr ein “Fest der Dorfgemeinschaft” der ganz besonderen Art.
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"Napoleon" und die Karte

Der FIFA-Schiedsrichter Kurt Tschenscher / Historischer Moment des Weltfußballs
Ein Pfiff und was jetzt kommt, ist nicht nur für Evgeni Lovchev, der gerade seinen mexikanischen Gegenspieler Lopez gefoult hat, eine ganz neue Prozedur. Genau wie die 107 000 Zuschauer im Stadion und die Millionen Fußballbegeisterten vor den Fernsehgeräten wartet der Russe gespannt, was der Schiedsrichter nun tut. Weiterlesen

Technische Denkmäler mit neuem Reiz

Es gibt immer wieder verborgene Schätze, die in privaten Sammlungen in den Jahren zusammen getragen wurden und in der Zwischenzeit die Kulturlandschaft bereichern. So hat beispielsweise in Reilingen ein technikbegeisterter Landwirt mit seiner Sammelleidenschaft bäuerliche Gerätschaften zusammengetragen, die jedes Museum bereichern würden und die niemand in dieser Qualität und Quantität in der Spargelgemeinde vermutet hätte. Weiterlesen

Sankt Wendelin und die Bruderschaft von Reilingen

Der Heilige Wendelin zählt zu den ersten Missionaren im Frankenreich des sechsten Jahrhunderts. Er lebte zur Zeit des Trierer Bischofs Magnerich (um 570) als Mönch oder Einsiedler in den Vogesen. Spuren oder gar sichere Quellen über seine Tätigkeit in unserem Raum gibt es nicht. Glaubt man alten Überlieferungen, soll der Missionar um 617 gestorben
sein. Sein Grab befindet sich seit dem elften Jahrhundert im saarländischen Sankt Wendel.
Der Mönch Wendelin  sein Name bedeutet im Alhochdeutschen „Wanderer oder Pilger“  wurde schnell zu einem bedeutenden Kapellen und Wallfahrtsheiligen. Vor allem im alemannischfränkischen Raum stieg er zum Volksheiligen auf und galt sehr früh als Patron der Landleute sowie für Flur und Vieh. Deswegen wird Wendelin stets dargestellt als Hirte
mit Stab und Tasche. Ein Gemälde im erzbischöflichen Museum von Utrecht zeigt ihn vor einer Klause sitzend umgeben von Lämmer, Rinder und Schweinen, im Hintergrund die Türme von Tholey oder Sankt Wendel. Grund für diese Darstellung ist die aus dem 14. Jahrhundert stammende legendäre Vita, die Wendelin zu einem iroschottischen Königssohn und Abt von Tholey machte.
Standesgemäß erzogen, verließ er seine Heimat im ärmlichen Pilgerkleid, um die heiligen Stätten in Rom aufzusuchen. Auf seinem Weg zurück kam er auch durch die Vogesen, wo er in der Stille der Wälder eine Klause gründete. Als Schweine und Kuhhirt verdiente er sich sein täglich Brot. Als er eines Tages kein Wasser mehr für die Tiere fand, stieß er, so die
Legende, voll Gottvertrauen mit dem Stab in die Erde, wo sich plötzlich eine Quelle auftat. Noch heute trägt diese Stelle den Namen Wendelinsbrunnen und wird von Menschen fleißig besucht, da das Wasser Krankheiten von Mensch und Tier abwenden soll.
Jahre später lebte Wendelin dann als Einsiedlerbruder des Klosters Tholey. Da er viel von Tieren verstand, kamen die Bauern zu ihm, wenn sie wegen ihres Viehs in Nöten waren oder Viehseuchen drohten. Bereits zu Lebzeiten wurde er ob seiner Wundertaten als Heiliger verehrt. Die Mönche des Kloster Tholey wählten ihn schließlich zum Abt, ein Amt, das
er noch 20 Jahre innehatte.
Nach seinem Tod wurde Wendelin in seiner alten Klause begraben, die schnell zu einem Pilgerziel wurde. Die Kapelle wurde durch fromme Schenkungen erweitert, um sie herum entstanden Pilgerhäuser. Immer mehr Menschen siedelten sich an, sodaß der Ort im 14. Jahrhundert mit den Stadtrechten und dem Namen Sankt Wendel ausgestattet wurde.
Längst galt Wendelin auch in der Kurpfalz als Schutzheiliger. Wie in vielen Orten entstand auch in Reilingen eine Bruderschaft zum Heiligen Wendelin. Die am 10. Juni 1451 gegründete Bruderschaft zählte zu den bedeutendsten ihrer Art. Wieder einmal wurde die besondere Stellung des kleinen Dorfes an der Kraich in der Nähe der Burg Wersau besonders
hervorgehoben, wie ein Kirchenbucheintrag von diesem Tag bezeugt. Auffallend ist nämlich, daß einzig allein in der Reilinger Bruderschaft das gesamte kurfürstliche Herrscherhaus aufgeführt wurde: „Hiernach volgen Bruder und Schwester, so sich in die löbliche Bruderschaft sant Wendels zu Reutlingen (Reilingen) verbrudert haben … des durchlauchtigsten, hochgeborenen fürsten und herrn, herrn pfaltzgraven Philippen, pfaltzgraven bey Reyn samt Margret, Philipps Gemahlin …“.
Aufgeführt sind weiter Pfalzgraf Ludwig und seine Frau Sybilla sowie die Pfalzgräfinnen Elisabeth, Markgräfin von Baden, Amalia, Herzogin in Bayern, und Helena, Herzogin zu Meckelberg. Es folgen dann die Namen der Pfarrer „zu Lossen (Lußheim), hockenheym, Rutlingen (Reilingen) und Ketsch“. Unter den insgesamt 40 Namen der Mitglieder der Bruderschaft sind abschließend auch sechs Familien aus Hockenheim, drei aus Reilingen, drei aus Lußheim und je eine aus
Insultheim und Bruchsal aufgeführt.
Dieser Eintrag ist auch der letzte in den Reilinger Kirchenbücher. Aus anderen Quellen ist nur noch zu erfahren, daß „Jost messerschmiydt, pferrer zu hockenheym“ für die Wendelinsbruderschaft „ein ied monat eine heiligmess in der Capellen zu Wersau“ zu lesen hatte. Diese Gottesdienste galten in der kurfürstlichen Familie als Pflich und Pilgertermin und mußten von wenigstem einem Familienmitglied wahrgenommen werden. Später schien man dies nicht mehr so ernst zu nehmen, denn ein späterer Vermerk berichtet, daß der „Keller zu Wersawe an herrenstatt“ an den Gottesdiensten teilnahm.
Wie lange nun diese Bruderschaft bestand, welche Aufgaben und Ziele sie hatte, liegt im Dunkel der Geschichte verborgen und bedarf noch einer gründlichen Aufarbeitung.                         og

Brot für die "Armen Seelen"

Bereits in vorchristlicher Zeit waren zahlreiche Totenkulte und verehrungen bekannt. Nach der Christianisierung der Franken und Alemannen, der Neckarsueben und Merowinger machte es die Vielzahl der verehrungswürdigen Heiligen der Kirche notwendig, einen gemeinsamen Gedenktag für diejenigen einzurichten, für die im Jahreslauf kein Tag mehr zur Verfügung stand. In einem aus dem 6. Jahrhundert noch erhaltenen Heiligenverzeichnis künden noch heute über 5.000 Märtyrer und knapp 9.000 Heilige von der Vielzahl der zu Ehrenden.
Papst Gregor IV. legte selbst im Jahre 835 den Termin für das „Fest aller Heiligen“  also Allerheiligen  fest: den 1. November. Noch im gleichen Jahr wurde dieses hohe Kirchenfest auch vom deutschen Kaiser Ludwig dem Frommen in seinem Reichsgebiet eingeführt. Der Gedenktag für die Toten wurde erst später eingeführt und von der Kirche anno 998 auf den 2. November gelegt.
Vor allem mit dem „Fest aller Seelen“ knüpfte man an eine vorchristliche Tradition an, um den zum Teil immer noch religiös schwankenden Volksstämmen entgegenzukommen. Vor allem im nördlichen Europa hatte sich der Brauch erhalten, ein Totenfest gleich im Anschluß an das Erntefest zu feiern. Symbolisch hatte man damals den Termin auf die Wende vom
Herbst zum Winter gelegt. Dies hatte auch seinen Grund, denn diese Zeit galt in der Mythologie als der Moment der Öffnung der Unterwelt. Eng verbunden war damit auch das Ritual des Speiseopfers. Beides ging auf die Vorstellung zurück, daß sich die Verstorbenen in einem immerwährenden Kreislauf befänden, jedes Jahr aber an der Wende vom Herbst zum Winter aus ihren Gräbern kämen und von den Lebenden ihr Speiseopfer verlangten. Kam man diesem Wünschen der Ahnengeister nach, sollte es den Hinterbliebenen Erntesegen und Gesundheit für das kommende Jahr bringen.
Die Bewirtung der „armen Seelen“ spielte auch in verschiedenen Landesteilen der Kurpfalz eine Rolle. Vor allem das Brot als Grundnahrungsmittel galt als Symbol des Lebens schlechthin. So wurden, und das ist unter anderem auch für (Alt)Lußheim, Rheinhausen und Waghäusel überliefert, Brote an Allerseelen auf die Gräber gelegt. Aus dem Odenwald bekannt ist die Tradition des Aufhängens von „Kreuz oder Seelenbrezeln“ an Grabsteinen, Wegkreuzen und Votivtafeln. Diese „Seelenbrezeln“ werden noch heute in Bereich Buchen, Mudau und Boxberg gebacken.
Lange Zeit wurden die alten Totenkulte und speisungen von der Kirche verboten oder mit Argwohn betrachtet. Nach und nach trat aber an die Stelle der Totenopfer ein symbolisches Opfer für die Toten. Arme, Dienstboten und Kinder bedachte man mit Allerseelenbroten. Das konnten, wie im Kraichgau, „Heiligenstriezel“ als Beigabe zu Geld und Kleidern sein. „Seelbrote“, Zöpfe oder Brezeln  die Backwerke hatte je nach Landstrich und Tradition sehr unterschiedliche Formen. Überall aber waren es „Gebildbrote“, die frei mit der Hand figürlich oder geometrisch geformt wurden. Dadurch sollten sie sich vom Alltagsgebäck in den Bäckereien abheben.
Auch Klöster, Städte und Zünfte stellten für die Armen „Seelengebäcke“ bereit. Im Raum Hockenheim/Reilingen war es damals üblich, daß auch der Pate an Allerseelen seinem Patenkind ein Allerseelengebäck schenkte. Ein Brauch, der in der Kurpfalz längst vergessen ist, in Österreich aber noch immer aufrecht gehalten wird. Ebenso sind für unsere Region die „Armen-Seelen-Geher“ überliefert, die von Haus zu Haus zogen, um für die Toten Speisen zu sammeln. An den Häusern wurde die Gruppen nie abgewiesen, denn man versprach sich von der Spende ein glückbringendes und ertragsreiches kommendes Jahr. Ein Brauch, der heute im Dreikönigssingen der Sternsinger weiterlebt.
Wenn es also bei Ihnen an Allerheiligen oder Allerseelen an die Tür klopfen sollte, und „arme Seelen“ um eine milde Gaben bitten, sollte man sich immer an die alte Tradition erinnern. Es könnte ja immer sein …                                   og

Die amtlichen Bekanntmachungen früher und heute

Auch in Reilingen informierte der Rats- oder Polizeidiener die Bevölkerung
Über viele, viele Jahrzehnte hinweg wurden die notwendigen Bekanntmachungen der Gemeindeverwaltung an die Einwohnerschaft durch das Ausschellen und durch das Anschlagen der entsprechenden Schriftstücke an die Verkündungs- oder Anschlagtafel vorgenommen. Ob diese beiden sich ergänzenden Bekanntmachungsarten zeitgleich oder zu verschiedenen Zeiten hier praktiziert wurden, ist nicht mehr auszumachen und auch nicht von Bedeutung.
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Verdienten Bürgern ein Denkmal gesetzt

Es gehört schon seit vielen Jahren zum Vorrecht einer Gemeinde, verdiente Frauen und Männer besonders zu würdigen. Neben der Ehrenbürgerwürde oder Verleihung eines Ordens gilt die Benennung einer Straße nach dem Geehrten als eine der höchsten Auszeichnung. Gleich fünf Straßen wurden bisher in Reilingen nach Personen benannt, die sich um die Spargelgemeinde verdient gemacht haben.
Da ist zunächst der erste Ehrenbürger der Gemeinde, Adolf Ritzhaupt. Im Neubaugebiet Holzrott hat man nach ihm eine Wohnstraße benannt. Der gebürtige Heidelberger hatte 1860 auf dem Wersauer Hof eine Zigarrenfabrik eröffnet und bot damit vielen Menschen in Reilingen die Möglichkeit, den Lebensstandard  der zahlreichen Klein- und Nebenerwerbslandwirten durch den Hinzuverdienst zu verbessern. In den Jahren wurde er zu einer führenden, ja sogar bestimmenden Persönlichkeit im Ort. Viele Jahre gehörte Adolf Ritzhaupt dem Gemeinderat an. Als Sprecher der Verhandlungsabordnung in Sachen Eisenbahnbau setzte er sich intensiv für den Bau der Rheintalbahn und eines Bahnhofes auf Reilinger Gemarkung ein. Zu seinem Leidwesen konnte er es nicht verhindern, daß der Bahnhof nach Neulußheim gelegt wurde. Seine wichtigste Aufgabe war es aber, bei vaterländischen Veranstaltungen die „Hochs“ auf Kaiser, Reich und Großherzog auszurufen. Zur damaligen Zeit eine ganz besondere Ehre. 1907 verkaufte Ritzhaupt seine Fabrik und verließ Reilingen. In Heidelberg verbrachte er dann seinen Lebensabend.
Noch vielen Menschen in Reilingen ist die Ärztin Dr. Lea Ueltzhöffer in Erinnerung. Unermüdlich, bei Wind und Wetter, Tag und Nacht, war sie für „ihre“ Reilinger Patienten unterwegs. Im April 1946 war die gebürtige Jugoslawin in den Ort gekommen und eröffnete in der schwierigen Nachkriegszeit im Lutherhaus eine Praxis. Auf der „Insel“ erbaute sie mit ihrem Mann ein Haus und führte dort eine gemeinsame Arztpraxis. Ständig konnte man sie mit dem Fahrrad von Patient zu Patient radeln sehen. Die überaus große Beanspruchung blieb nicht folgenlos: Bis zu ihrem Lebensende litt sie selbst an schweren gesundheitlichen Schäden. Das hinderte sie aber nicht, ihrer Arbeit so gut wie möglich nachzugehen. Der Gemeinderat zeichnete diese Leistung mit der Ehrenbürgerwürde aus und benannte nach ihr im Neubaugebiet „Viehtrieb“ eine Straße.
Geprägt von zwei verlorenen Weltkriegen waren die Amtszeiten von Bürgermeister Ludwig Römpert. Bereits von 1919 bis 1928 Gemeindeoberhaupt, wurde er am 2. April 1945, einen Tag nach dem Einmarsch der US-Streitkräfte, von der Militärregierung kommissarisch als Bürgermeister von Reilingen eingesetzt. Er galt als besonnener und erfahrener Mann. Er organisierte die Gemeindeverwaltung neu und benannte einen neuen Gemeinderat. Die schwierigste Aufgabe aber war es, die vielschichtige Not der damaligen Zeit zu lindern. Wie bereits während seiner ersten Amtszeit prägten Inflation und Massenarbeitslosigkeit sein Wirken. Ludwig Römpert prägte durch seinen selbstlosen Einsatz den Aufbau eines demokratischen Staatswesens in seiner Heimatgemeinde entscheidend mit. Er meisterte aber auch die Herausforderung, rund 600 Heimatvertriebene und Flüchtlinge in Reilingen anzusiedeln. Tag und Nacht war der Mann unterwegs, um diesen Menschen Unterkunft und Wohnung zu besorgen. Dieses Engagement verschaffte ihm aber nicht nur Freunde. Zum Gedenken an den SPD-Bürgermeister benannte der Gemeinderat eine Straße im „Viehtrieb“ nach ihm.
Einem weiteren Bürgermeister wurde im gleichen Ortsteil ebenfalls eine Straße gewidmet: Hermann Kief. Der erste Christdemokrat auf dem Stuhl des Gemeindeoberhauptes versah von 1971 bis 1981 seinen Dienst im Reilinger Rathaus. Seine Amtszeit fiel in die Zeit des örtlichen Aufschwungs. Überall im Ort wurde gebaut, zahlreiche Gewerbebetriebe
siedelten sich an. Kurz nach seiner Wiederwahl verstarb Hermann Kief 54jährig nach kurzer Krankheit am 7. März 1981.
Schließlich gibt es im „Viehtrieb“ noch die Professor Krämer-Straße. Sie erinnert an den Reilinger Gymnasialprofessor Hermann Krämer, der sich intensiv mit der Heimatgeschichte beschäftigte und 1912 die erste „Reilinger Ortschronik“ veröffentlichte. Dieses Werk ist heute längst zur Historie geworden und bildete die Grundlage zur gesamten Heimatforschung in der Spargelgemeinde. Dem Altphilologen Krämer ist es zu verdanken, daß viele Urkunden und Dokumente aus längst vergangenen Tagen übersetzt werden konnten und so die Reilinger Geschichte lebendig und nachvollziehbar wurde.

Straßen- und Flurnamen in Reilingen

Noch vor etwas mehr als 200 Jahren gab es in Reilingen, wie auch in den meisten kleineren Städten und ländlichen Dörfern, keine amtlich festgelegten Namen für die Straßen und Gassen. Die Gemeinde war klein und überschaubar, die Menschen kannten sich untereinander. Brachte die Postkutsche aus Speyer oder der Kurierbote aus Hockenheim einmal einen Brief, was für die normale Bürgerschaft so gut wie nie geschah, dann konnte der Empfänger durch einfaches Fragen sofort ermittelt werden. Als Reilingen im ausgehenden 18. Jahrhundert größer wurde, führte das Dorfgericht (Gemeinderat) zunächst eine Numerierung der Häuser und Höfe ein, was das Finden und Aufsuchen erleichtern sollte.
Schwierig wurde es aber erst mit der Zeit, als immer mehr neue Häuser gebaut wurden. Um den Zahlenwirrwarr zu entflechten, entschloß man sich im Reilinger Rathaus, dem Beispiel der umliegenden Dörfer zu folgen und führte Straßennamen ein und numerierte die Häuser neu. Anfänglich war es ein leichtes, den wenigen Straßen einen Namen zu geben. Die wichtigste Dorfdurchgangsstraße wurde zur Hauptstraße, die Straßen in die Nachbarorte wurden nach denen bezeichnet: Walldorfer, Hockenheimer und Speyerer Straße oder Heidelberger Weg.
Vor allem der Letztgenannte hatte eine besondere Bedeutung, denn er führte quer durch die Obere Schwetzinger Hardt als direkte Verbindung in die Universitätsstadt am Neckar. Die Straße traf in der Höhe von Sandhausen auf die Alte Speyerer
Straße, die nach Hockenheim und von dort weiter in die Domstadt führte. Auf dieser Trasse wurde später dann übrigens ein Teil des Hockenheimringes gebaut.
Die Reilinger Bevölkerung nahm weiter zu, neue Häuser wurden gebaut, neue Straßen und Wohngebiete erschlossen. Längst hatte man sich über den bisherigen Ortskern hinaus ausgedehnt. Was lag also nähe, als den neu entstandenen Straßen und Wohnbereiche die Namen der historischen Flure und Gewanne zu geben.
So erinnert der Alte Rottweg noch heute daran, daß hier früher einmal sumpfiges Gelände lag und der Biblisweg führte bis 1818 in den Bibliswald zwischen Hockenheim und Reilingen. Aus dem Wort „Biblis“ selbst ist zu erkennen, daß dieser Bereich früher einmal als eine Insel im östlichen Urstrombett des urzeitlichen KinzigMurrFlusses gelegen haben muß.
Noch viele AltReilinger können sich daran erinnern, daß die „Fröschau“ noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg von tausenden von Fröschen bevölkert war. Daß sich der Ursprung der Hägebüchstraße im Reilinger Industriegebiet aber von einem ehemaligen Hainbuchenwald (Hagebuchen) und einer dort befindlichen Baumschule (Häge) ableitet, wissen nur noch
die wenigsten.
Geschichtlich weitaus interessanter aber dürfte die Vergangenheit des Herrenbuckels östlich von Reilingen sein. Der Fund von Gräbern läßt auf eine keltische Siedlung schließen. Manche Archäologen und Heimatforscher gehen sogar soweit, um von einem Fürstensitz zu sprechen. Weiteren Funden nach befand sich dort später auf jeden Fall eine römische villa rustica. Die Bedeutung des Herrenbuckels wird noch durch die Tatsache Unterstrichen, daß dieser Siedlungsbereich schon immer an einer der wichtigsten Straßenverbindungen der Geschichte lag. Noch nicht sicher geklärt ist auch der Ursprung des Hertenweges. Zum einen könnte der Begriff an die „hart“ gepflasterte Römerstraße erinnern, die einst durch die Reilinger Gemarkung führte. Andere wiederum vermuten, daß es sich dabei um Wiesengelände handelte, auf dem die „Herten“ der Reilinger Bevölkerung weiden durften.
Im Bereich des Nachtwaidweges stand bis 1806 eine kleines Wäldchen, in dessen Schutz sich die Reilinger Nachtweide befand. Dort wurden vor allem die Pferde und Kühe der besseren Überwachung wegen zusammengetrieben. Die wenigsten Neubürger im Ortsteil „Viehtrieb“ wissen, daß sich hier bis 1915 noch ein geschlossenes Waldgebiet gefand, das zur Unteren Lußhardt gehörte. In Akten von 1682 wird dieser Bereich auch „Kellerwald“ genannt, denn der Reilinger Keller, also der Verwalter der Reste der Burg Wersau und der Schloßmühle, durfte hierher sein Vieh auf die Weide treiben. Zwischen 1900 und 1930 wurde der „Viehtrieb“ zeitweise noch als Schweineweide genutzt.
Die Wörschgasse und der Wörschweg schließlich erinnern an ein „Land zwischen Fluß und stehendem Gewässer“. Aus dem selben althochdeutschen Wortstamm wird übrigens auch der Begriff „Wersau“, also die „Flußinsel“, abgeleitet. Die „Werschau“ selbst galt um 1650 als ein wunderschöner Wald mit einem für die damalige Zeit ungewöhnlich vielfältigen Bewuchs. In alten Dokumenten ist die Rede von „einem Gewäld“ aus Eichen, Rot und Weißbuchen, Eschen, Erlen, Espen, Haseln und Kirschbäumen. 1818 wurde der Wald abgeholzt und das Land zukünftig als Ackerland genutzt.

Knochenarbeit in der Wersauer Schloßmühle

Wir schreiben das Jahr 1777:  Caspar Zahn betreibt zusammen mit seiner Frau Barbara, verwitwete Fessler, und deren Sohn Heinrich Fessler die Schloßmühle in Reilingen, die sie von der Kurfürstlichen Domänenverwaltung des Kirchheimer Zehnt gepachtet haben. Es ist 5.30 Uhr als Müller Zahn die Verankerung des gewaltigen Wasserrades löst und die
Antriebswelle für den Schrot und Mahlgang in Bewegung setzt.
Normalerweise läuft die Schloßmühle nahe der Ruine des Wersauer Schlosses zu dieser Zeit bei Tag und Nacht, aber in dieser Nacht waren die Mahlsteine neu geschärft worden. Überall liegen noch Werkzeuge wie Mühlpicke, Bille und Kraushammer um die Schrot und Mahlgänge herum. Heinrich Fessler füllt den Trichter über dem Schrotgang. Der 100 Kilogramm schwere Weizensack scheint morgens um halb sechs fast doppelt so schwer zu wiegen, als Müller Fessler ihn die kleine hölzerne Treppe hochträgt, die bei jedem Schritt ächzt und stöhnt. Mit einem Rauschen gleiten die Weizenkörner in den Trichter. Schnell werden noch die Mahlsteine für das Mahlgut eingestellt  und schon beginnt die Mühle zu klappern.
Inzwischen ist der Mühlbauer, ein Bauer aus Reilingen, eingetroffen. Er ist für das Aus und Einfahren des Mehles bzw. des Getreides zu den umliegenden Ortschaften zuständig. Um halb sieben ist der Leiterwagen bereits beladen, und die zwei schweren Kaltblüter der Schloßmühle werden vorgespannt. Der Mühlbauer macht sich auf den Weg nach Schwetzingen, um im kurfürstlichen Schloß das gemahlene Mehl abzuliefern und um auf dem Rückweg in Oftersheim und Hockenheim noch zu mahlendes Getreide aufzuladen.
Caspar Zahn holt eilig seine Sense und den Holzkarren, um Futter für die Kühe an der nahegelegenen Wiese entlang der Kraichbach zu mähen. Auf dem kleinen Holzsteg über die Bach, die sich vor der Mühle teilt, um das Wasser der Mühle zuzuführen, kommt ihm Johann Jacob Riedel entgegen und fragt nach, wann er sein Getreide nun mahlen könne?  Schnell ist ein Termin für 11 Uhr vereinbart. Auch Tobias Kölble steht bald neben Zahn und möchte mahlen. Auch er bekommt einen Termin vom stets freundlichen Müllermeister.
Es ist bereits 7 Uhr durch, als Zahn das Vieh im Stall hinter der Schloßmühle füttern kann. Kühe, Schweine, Ziegen und vier Pferde zählen zur Landwirtschaft. Ein Dutzend Gänse, einige Enten und jede Menge Hühner tummeln sich auf dem Mühlenhof. Die Mühle läuft in der Zwischenzeit auf Hochtouren, und Zahn muß seinem Stiefsohn unbedingt bei der Arbeit helfen. Ununterbrochen wird der Trichter des Mahlwerkes gefüllt, geschrotet und gemahlen.
Barbara Zahn hat in der Zwischenzeit die Stallarbeit beendet und bringt den Müllern das erste Vesper in die Mühle. Als es vom Reilinger Kirchturm 11 Uhr schlägt, steht pünktlich der Bauer Riedel mit dem Pferdefuhrwerk vor der Tür. Die Säcke werden abgeladen, gewogen und schon kann es losgehen. Da die Müller zu zweit in der Mühle sind, schickt Caspar Zahn den Riedelbauer in den Stall, um nach dem Rechten zu sehen, wieder Futter nachzulegen und, wenn noch Zeit bleibt, etwas Holz für den Herd zu hacken. Riedel darf dafür zum Mittagessen bleiben.
Nach etwa zwei Stunden ist es soweit: die sechs Zentner Weizen von Bauer Riedel sind gemahlen. Riedel bezahlt seine Schulden durch „Mildern“, dies bedeutet, daß etwa 1/14 vom zu mahlenden Weizen vom Müller als Lohn einbehalten wird.
Es ist nun höchste Zeit für Zahn, um nach den Bienen zu sehen, denn die Bienenzucht wurde schon immer von den Müllern der Schloßmühle betrieben. Auch in der Landwirtschaft muß dies und jenes noch erledigt werden. Außerdem müßte dringenst noch ein neuer Eisenreifen auf das hölzerne Ersatzrad des Leiterwagens vom Schmied aufgezogen werden. Per
Hand wird das wuchtige Rad in die Schmiede nach Reilingen gerollt. In der Zwischenzeit ist es Spätnachmittag geworden und damit etwas Zeit zum Ausspannen. Deshalb läßt sich Caspar Zahn etwas mehr Zeit als sonst und kehrt auf dem Rückweg zur Schloßmühle noch schnell in die überfüllte Gaststube des „Löwen“ ein. Es ist die Zeit der Stammtische der Bauern und Handwerker. Es wird heftig debattiert und  auf die neuen Steuerpläne der kurfürstlichen Regierung gescholten.
Zu Hause ist Heinrich Fessler allein bei der Arbeit, und jetzt ist auch noch Tobias Kölble eingetroffen. Da Zahn nicht in der Mühle ist, muß der Bauer selbst mit Hand anlegen. Die Dämmerung bricht herein und taucht die Mühle in das gespenstische Licht der kerzenbestückten Sturmlaternen. Müllermeister Zahn, zwischenzeitlich vom Stammtisch zurückgekehrt, steht
bis zum Bauch im Mühlgraben, um den Rechen zu reinigen, der vor dem Wasserrad grobe Teile im Wasser abhält.
Draußen ist es längst dunkel geworden und die beiden Müller fragen sich immer wieder, wo denn nur der Mühlenbauer geblieben sei? Immerhin stellt das Aus und Einfahren des Mehles und des Getreides eine Knochenarbeit dar. Der Lohnbauer muß die oft über 100 Kilogramm schweren Säcke zuerst vom Speicher des Kunden holen und dann das Mehl im Gegenzug wieder hinauftragen. Dafür gibt es da und dort ein Vesper und etwas zu trinken. Meist reicht man Wein oder
Bier  und es ist auch am heutigen Tag so. Gegen 22 Uhr klappern plötzlich die Hufeisen auf dem gepflasterten Mühlenhof und wie aus dem nichts steht das beladene Fuhrwerk auf dem Hof der Schloßmühle. Der Mühlenbauer schläft selig auf den Säcken seinen Rausch aus. Nur gut, daß die Pferde den Weg fast alleine finden.
Die Schloßmühle läuft auch in dieser Nacht durch auf vollen Touren. Zum einen wird die Tageseinfuhr verarbeitet, zum anderen kommen nachts Landwirte zum Mahlen. In dieser Nacht legt sich Zahn etwas aufs Ohr, und Fessler mahlt durch. Kurz vor Mitternacht kommt der Müllermeister zurück, in der Hand einen großen Krug mit frischem Most. Doch ganz auf
den Beinen können sich die zwei nicht halten, so daß beide in den frühen Morgenstunden im Mahlstüble friedlich vor sich hinschlummern.
Plötzlich: Es klingelt! Der Schrotgang ist leer. Beide, insbesonders Heinrich Fessler, schrecken auf und sind sofort hellwach. Es muß schnellstens Weizen nachgeschüttet werden, damit sich die schweren Mahlsteine nicht gegenseitig zerreiben. Jeder Schrot und Mahlgang hat eine Glocke, die meldet, wenn das Mahlgut durchgelaufen ist und die Steine aufeinanderlaufen. Die Brandgefahr ist durch Funkenflug in einem solchen Fall besonders hoch. Doch bald ziehen sich die beiden wieder in
die warme Mahlstube zurück. Ehe Heinrich Fessler wieder einnickt, hört man ihn murmeln: „Jetzt fehlt nur noch, daß die Kuh kalbt …“ (og)

Ortsgeschichte in den Straßen noch lebendig

Viele Dinge der Geschichte von Reilingen sind längst Vergangenheit oder gehören in das Reich der Mysthen und Erzählungen. Anders ist es jedoch mit noch erhaltenen Bauwerken wie zum Beispiel dem Wersauer Hof oder den
historischen Wirtshäusern „Löwen“, „Engel“ oder „Hirsch“. Wer aber genau hinschaut, wird weitere, manchmal auch unscheinbare Stücke aus der Vergangenheit der Spargelgemeinde entdecken. Und dort, wo es längst nichts mehr zu sehen gibt, erinnern Straßennamen an längst vergangene Zeiten.
So trägt beispielsweise eine kleine Nebenstraße der verkehrsberuhigten Hauptstraße im Unterdorf den Namen „Am Dorfgraben“, obwohl weit und breit kein Graben zu erkennen ist. Vor rund 350 Jahren aber wurde der älteste Teil von Reilingen zwischen der Kraichbach und der Straßenabzweigung nach Hockenheim durch einen Graben deutlich vom übrigen Gemeindebesitz abgegrenzt. Der Dorfgraben schloß die Siedlung vollkommen ein und zog von der Kraichbach bis zum Gasthaus „Hirsch“, weiter durch die „Herten“ und schloß mit dem erneuten Treffen auf den Kraichbach den Kreis. Der mit Wasser gefüllte Graben war ein Teil der dörflichen Schutzeinrichtungen. Ein weiterer Schutz wurde auf der Dorfseite des Grabens durch Zaunbegrenzungen und Dornenhecken hinter den Hausgärten gebildet. Die Scheunen und Ställe wurden zudem, wie es noch heute teilweise zu sehen ist, Wand an Wand gebaut. Diese Art der Dorfbebauung schützte so die Einwohner und deren Höfe vor Gefahren von außen.
Bis 1650 entwickelte sich Reilingen noch innerhalb des Dorfgrabens weiter. Dann aber wurde mit der Bebauung in Richtung Westen und Norden der bisher schützende Dorfgraben überschritten. An die, durch zahlreiche Funde immer wahrscheinlichere, mittelalterliche Hochblüte Reilingens erinnern heute nur noch die Straßenbezeichnungen „Burgweg“, „Hofweg“, „Mühlweg“, „Schloßmühle“ oder „Wersauer Hof“. Sie erinnern letztendlich aber alle an die früher östlich von Reilingen gelegene Burg Wersau, Sitz eines einflußreichen Adels oder Rittergeschlechts in den Diensten der Pfalzgrafen, der späteren Kurfürsten.
Unter dem Schutz dieser Burg standen nicht nur die beiden zur Wersauer Herrschaft gehörenden Dörfer Hockenheim und Reilingen, sondern auch die von Speyer kommende Königsstraße, einer der wichtigsten Verkehrsverbindung im damaligen Reich. So weiß man heute, daß über 20 Mal gekrönte Häupter in der Burg bei Reilingen übernachteten. Und 1385 kam der päpstliche Gesandte in die Burg Wersau, um die Genehmigung zur Gründung der Universität Heidelberg zu überreichen. In den Jahrhunderten wurde die Burg zerstört, auf den Überresten eine Mühle errichtet, die das Mehl in die kurfürstliche Sommerresidenz nach Schwetzingen zu liefern hatte. Ein Stückchen weiter östlich wurde für die herrschaftliche Schäferei ein barockes Hofgut erbaut. Auch wenn nur noch der ehemalige Schäferhof etwas Glanz der Geschichte ausstrahlt und
lediglich einige Gewölbeteile und ein alter Brunnenschacht an die Burg Wersau erinnern, halten doch die Straßennamen die immer spannender werdende Geschichte Reilingens lebendig.
Im Ort gibt es aber auch noch ein paar weitere Straßenbezeichnungen, die auf die Dorfgeschichte hinweisen. Die „Alte Friedhofsstraße“ zeugt noch heute davon, daß früher einmal in diesem Bereich der Friedhof der frühen Reilinger lag. Und dank der „Bierkellergasse“ weiß man, daß hier früher auch einmal Bier gebraut wurde. Um das Gebräu in den Holzfässern frisch zu halten, wurde es vom Hirsch und Engelwirt am Ortsrand in einem Naturkeller unter alten Laubbäumen gelagert.
Daß die Friedrich und Hildastraße an das beliebte großherzogliche Herrscherpaar aus Karlsruhe erinneren, sei ebenso nur am Rande des Rückblicks auf die Reilinger Straßen und Flurnamen erwähnt wie der Hinweis auf die Wilhemstraße, die nach dem letzten deutschen Kaiser benannt wurde.

Obstbäume wurden bei Nacht gefällt

Reilingens nördlichstes Baugebiet ist der „Holzrott“ mit den Straßen In der Holzrott, Adolph-Ritzhaupt-Straße und dem Jargeauring. Während die beiden letzten an den ersten Ehrenbürger der Gemeinde und die französische Partnergemeinde an der Loire erinnern, verweist die erstgenannte Straße nochmals auf das frühere Gewann „Holzrott“.
Bis 1819 stand hier ein Eichen und Forlenwald, den sich Hockenheim und Reilingen miteinander teilten. Obwohl zwei Drittel des Waldes den nördlichen Nachbarn gehörte, war der Boden klar in Reilinger Besitz. Der Wald erstreckte sich auf rund 32 Hektar beiderseits der heutigen L 599 bis hin zum Kraichbach. Noch 1779 hatte das Churfürstliche Hofgericht Hockenheim das Recht bestätigt, seinen Anteil „durch einen Schützen begehen zu lassen, aber die Strafen sind vom
Gericht in Reilingen zu decredieren“. Kurze Zeit später wurde das Recht dahingehend erweitert, auch Feldfrevler aus Reilingen zu bestrafen und die Strafen einzuziehen. Um den Besitz und die Rechte zu dokumentieren, setzte Hockenheim zahlreiche Grenzsteine.
Der schwehlende Streit wurde dann 1818 akut, denn beide Gemeinden wollten ihren Holzrottwald fällen und in Ackerland umwandeln. Hockenheim ging dabei sogar noch ein Stück weiter und beantragte beim Großherzoglichen Amt in Schwetzingen, den eigenen Waldteil auch in die Gemarkung „einzuverleiben“. Im Juni 1818 versuchte der Oberamtmann aus Schwetzingen eine Einigung herbeizuführen und ludt die Kontrahenten zu einem Ortstermin in den Holzrottwald ein. Trotz intensiver Bemühungen kam es zu keinem Ergebnis. In Reilinger Gerichts(Gemeinderats)protokollen ist zu lesen, daß man werde „nie einwilligen, weil es gerade wäre, als wollte man ihnen das Herz nehmen“.
Die Angelegenheit wurde dem Directorium des Neckarkreises zur Entscheidung vorgelegt. Trotz der Fürsprache durch den Oberamtmann in Schwetzingen wurde der Hockenheimer Antrag von der Mannheimer Behörde abgelehnt. Gegen diese Entscheidung erhob Hockenheim dann 1819 Widerspruch beim „Großherzoglichen Höchstpreißlichen Ministerium des Innern“ in Karlsruhe. Aber auch hier versagte man „einer Losreißung aus der Gemarkung Reilingen und Einverleibung in die Gemarkung Hockenheim“ die Genehmigung.
In der Zwischenzeit waren mehr als 80 Jahre vergangen, doch an den Stammtischen beider Gemeinden blieb der Holzrottstreit lebendig. Und nicht selten sorgte der Streit um dieses Thema für Schlägereien auf den Kerwen in Hockenheim und Reilingen. Über Nacht wurde die Angelegenheit aber plötzlich wieder aktuell. Mit einem „Geheimkommando“ rückte Reilingens Bürgermeister Bernhard Eichhorn in einer Nacht des Jahres 1901 aus und ließ alle Bäume rechts und links der Straße nach Hockenheim bis zur Gemarkungsgrenze fällen. Die Obstbäume entlang der Straße mußten von der Gemeinde Reilingen unterhalten und geerntet werden, der Ertrag aber mußte nach Hockenheim abgeliefert werden.
Im Rathaus der jungen Stadt war man empört und erhob vor der Vierten Civilkammer des Civilgerichts Mannheim Klage gegen die Nachbargemeinde. Das Gericht verurteilte Reilingen zum Schadensersatz. Für die gefällten acht Obstbäume mußten 549 Mark an die Stadtkasse Hockenheim als Entschädigung bezahlt werden. Zur Schadenfreude der Reilinger mußte aber Hockenheim 84 Prozent der Kosten des Rechtsstreites übernehmen.
Noch heute ist die Stadt Hockenheim Eigentümer des Zwei-Drittel-Anteils und zahlt dafür Grundsteuer nach Reilingen. An den Stammtischen wird immer wieder mal dieses Thema aufgegriffen, denn „die Reilinger hatten“, so steht es im aktuellen Heimatbuch zu lesen,  „stets das Gefühl, daß sie in der Holzrottsache übervorteilt und hereingelegt wurden.“

Sankt Wendelin zu Reilingen

Kirchen prägen bereits seit vielen Jahrhunderten die Ansichten von Städten und Dörfern. Ihre Türme sind weithin sichtbar und dienten einst Reisenden als Orientierungshilfe. Nicht selten wachte ein Türmer von oben herab über die Geschicke der Stadt. Von hier aus konnten anrückende Truppen ebenso früh ausgemacht wie ein beginnendes Feuer erkannt werden.
Das Morgen und Abendläuten kündete die Arbeitszeit an, die nur vom Angelusläuten zur Mittagszeit für eine kurze Pause unterbrochen werden durfte. Dinge, die damals praktisch und notwendig waren, sind heute längst zur Tradition geworden.
Auch in Reilingen prägen seit Jahrhunderten die Kirchtürme das Ortsbild. Seit 1905 ist es vor allem der Turm der neugotischen katholischen Kirche, der weithin in die Rheinebene ragt. Am kommenden Montag feiert ihr Schutzheilige, der Heilige Wendelin, seinen Namenstag. Grund genug für die Pfarrgemeinde, an diesem Wochenende ihr traditionelles
Wendelinsfest zu feiern.
Wer aber zur Zeit einen Blick zur Turmspitze hinauf wirft , stellt fest, daß diese eingerüstet wurde. Dringende Instandsetzungsarbeiten machten dies erforderlich. Die acht offenen Ornamentfenster des Glockenturmes müssen erneuert werden, da die Teile aus gelbem Sandstein durch Umwelteinflüsse stark verwittert sind und erst jüngst drohten, herabzustürzen. Nach den Sanierungsarbeiten soll zudem die Gelegenheit genutzt werden, Schallrolläden in die Fenster der Glockenstube einzubauen. Diese sollen die für manchen Zeitgenossen störenden Schallspitzen schlucken und dem Geläut einen gedämpften, volleren Klang geben. Für das Glockengestühl ist die neue Ausstattung zudem aber auch ein dringend notwendiger Witterungsschutz. Die Instandsetzungsarbeiten sind mit 120.000 Mark veranschlagt und werden sich noch einige Zeit hinziehen.
Fast den gleichen Geldbetrag mußte die katholische Kirchengemeinde übrigens zu Beginn dieses Jahrhunderts aufbringen, um den Neubau der Kirche zu finanzieren. Die Baukosten beliefen sich damals auf 142.076,76 Mark. Ein Betrag, der aber aufgrund der Wertschöpfung nicht mit einem gleichen Betrag von heute verglichen werden kann. So kostete um 1900 ein
Glas Bier im „Hirsch“ zwölf Pfennig und der Arbeiter verdiente beim Kirchenbau in der Stunde noch nicht einmal eine Mark. Als im Juni 1905 der Hauptaltar der neuen Kirche zu Ehren des Heiligen Wendelins geweiht wurde, übernahm man einfach den Namen des Kirchenpatrons von der alten Vorgängerkirche.
Diese hatte seit 1788 bis zur Weihe der neuen Kirche an der Ecke Haupt und Hockenheimer Straße neben dem Rathaus gestanden. Um damals den Kirchenbau zu ermöglichen, verpflichteten sich 29 Reilinger Familien am 12. Oktober 1788, „was zur Unterhaltung und Herstellung derselben mangelt, jedesmal aus ihrem eigenen Vermögen, in solang obgemelter Fundus abgehet, beizuschießen“.  Grund dafür war die Finanznot der katholischen Kirchengemeinde, die um 1740 aus gerade mal 40 Haushaltungen bestand. Die Katholiken feierten seit dem 17. Oktober 1743 ihre Gottesdienste in einer „Capell unter dem Rathaus“ ihre Gottesdienste. Zu den Gottesdiensten kam regelmäßig ein Kapuzinerpater aus Waghäusel, da man seit der Reformation keinen eigenen Pfarrherrn mehr hatte und das Verhältnis zur Hockenheimer Muttergemeinde nicht gerade bestens war.
Die Wendelinskirche hatte man mit der zweiten kurpfälzischen Kirchenteilung (1707) an die Reformierten abgeben müssen. Seitdem mußten die Reilinger zu den Gottesdiensten in die gotische Georgskirche nach Hockenheim laufen. Bereits 1726 wurde daher an das Landkapitel St. Leon der Speyerer Diözese die Bitte gerichtet, „under dem Ratshauß“ ihre Gottesdienste abhalten zu dürfen. Erst 17 Jahre später genehmigte das „hochwürdigste Vikariat Speier“ diese Bitte.
Die Geschichte der katholischen Kirche in Reilingen ist aber viel älter. Den schriftlichen Quellen nach gehörte Reilingen zunächst zur Pfarrei in Hockenheim. 1364 wurde der Ort im Zusammenhang mit der „ecclesia parochialis in Hochekein, Spirensis diocesis“ erwähnt. Erst 1446 konnte in Reilingen eine eigene Kapelle gebaut werden. Diese wurde bereits vor
551 Jahren dem Heiligen Wendelin geweiht. Dies bezeugt ein Aktenvermerk von 1451: „… ecclesia parochialis Sancti Wendalini connfessoris in Ruttlingen Spirensis dyocsis“. Man blieb Filialort von Hockenheim, dessen Pfarrer in Reilingen nur dann die Messe las, wenn er keine Verpflichtung in der Nachbargemeinde hatte. Dafür bekam er von den Gläubigen jährlich vier Gulden und zudem auf Geheiß von Pfalzgraf Otto nach jedem Gottesdienst ein Mittagessen im Wersauer Schloß.
In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Spannungen mit dem Hockenheimer Pfarrer, da beide Seiten das Recht am Opferstockgeld der Kapelle für sich in Anspruch nahmen. Erst 1473 schlichtete Pfalzgraf Otto den Streit. Die Reilinger verpflichteten sich „die obgenannt Capellen zu ewigen Tagen in guten Bau zu halten“. In einem Vertrag wurde außerdem das Gehalt und die Aufteilung des Opferstockes geregelt.
Es war dann Pfalzgraf Philipp, der sich dafür einsetzte, daß die Reilinger Katholiken im kommenden Jahr ihr 500. Pfarrjubiläum feiern dürfen: 1498 wurde eine selbständige „Pfarre“ eingerichtet und das Dorf dazu verpflichtet, „die neue Pfarrkirche an Bau und sonst mit allen geistlichen Gezierden ewiglich zu handhaben“. Im heutigen Unterdorf wurde sofort mit dem Bau einer Kirche begonnen und wiederum dem beliebten Volksheiligen geweiht. Was aus der alten Kapelle wurde, ist nicht überliefert. Die Heimatforschung geht aber davon aus, daß sie abgerissen wurde. Der verbliebene Schlußstein wurde in der Erdgeschoßkapelle des Turmes der evangelischen Kirche eingemauert und ist dort noch heute an dem kurpfälzischen Wappen zu erkennen.
Mit der Reformation war auch in Reilingen, je nach Bekenntnis des regierenden Kurfürsten, mal die calvinistische, lutherische oder katholische Religion bestimmend. Zeitweise fanden in der Wendelinskirche sogar Gottesdienste aller drei Konfessionen statt. Die Katholiken wurden wieder von Hockenheim aus betreut. Ihre Kirche war, wie bereits erwähnt,
durch die beiden Kirchenteilungen in der Kurpfalz letztendlich den Reformierten zugesprochen worden.
Heute ist dies längst alles Geschichte, die Ökumene wird auch in der Spargelgemeinde praktiziert. Und wer die Geschichte von Sankt Wendelin zu Reilingen betrachtet, stellt fest, daß es da mehr gibt als nur einen eingerüsteten Glockenturm im Herzen der Gemeinde. Auf jeden Fall ist für genügend Gesprächsstoff beim Wendelinfest im Josefshaus gesorgt  und
dies über alle Konfessionsgrenzen hinweg.                                        og

Von Spargeln und anderen Küchengeheimnissen

Jetzt ist es wieder soweit und die Liebhaber des königlichen Gemüses können aufatmen: Die erntefrischen Spargel der Saison 1997 sind überall in den Gemeinden entlang der Badischen Spargelstraße und darüber hinaus erhältlich. Wer weiß, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn nicht der kunstsinnige und trinkfreudige Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz nicht schon 1720 den Spargel im Hofgarten seiner Schwetzinger Sommerresidenz hätte anpflanzen lassen. Weiterlesen

Mit der Burg Wersau fing alles an

Betrachtet man die 710jährige Geschichte der
Spargelgemeinde Reilingen, fällt auf, daß das Schicksal
des Dorfes und auch der ganzen Umgebung von der Burg
Wersau, dem früheren Herrschaftssitz, geprägt wurde. Schon
1286, als „Villa Reitling“ zum ersten Mal urkundlich im
Lorscher Codex erwähnt wurde, lag die Gemarkung im
Grenzgebiet der beiden alten Königsforste Lußhardt und
Schwetzinger Hardt. Die Lußhardt, also die Wälder, die
sich bis zum fränkischen Königshof in Bruchsal
erstreckten, war bereits 1056 durch König Heinrich III.
dem Bistum Speyer geschenkt worden. Nur sieben Jahre
später erweiterte Heinrich IV. den bischöflichen
Waldbesitz und die heutige Schwetzinger Hardt.
Aus alten Dokumenten weiß man heute, daß bereits die
Könige an der Kraichbach eine Burg besaßen, die
„Walsrhawe“ genannt wurde. Daraus entwickelte sich in den
Jahren der Begriff Burg Wersau. Diese stand an der Stelle
der heutigen Schloßmühle und lebt als Namen im
benachbarten barocken Wersauer Hof weiter.
Die gut befestigte Burganlage hatte damals die Aufgabe,
die umliegenden Wälder und die Verkehrswege zu sichern.
Zum Herrschaftsbereich gehörten die Dörfer Reilingen und
Hockenheim sowie für kurze Zeit auch Oftersheim und St.
Leon. Da es an genauen Unterlagen aus dieser Zeit fehlt,
gehen die Historiker heute davon aus, daß die Dörfer und
die Burg mit der Schenkung der Wälder an die Speyerer
Bischöfe kamen. Das Bistum setzte dann dort zur Verwaltung
ein Ministerialengeschlecht, die Schenken von Wersau, ein.
Als erster von ihnen wurde bereits um 1155 ein Dietrich
als Schenk des Hochstifts noch ohne den Bezug zu Wersau
genannt. 1198 wird Eberhard, der Sohn des Schenken von
Hockenheim, erwähnt und erst 1236 gab es dann einen
Schenk von Wersau. Von dieser Zeit an werden die Schenken
in den Urkunden immer unter dem Namen ihrer Burg genannt
und galten als Speyerer Dienstleute.
Im Dunkel der Geschichte wechselte der Besitz an Burg
Wersau an die Schenken, denn 1286 ist zu lesen, daß
Eberhard von Wersau die Hälfte seiner Burg an den Bischof
von Speyer wieder verkaufte. Da dieser das Geld nicht zur
Verfügung hatte, gab er seinen Erwerb als Pfand an den
Pfalzgrafen Ludwig II. weiter, der bereits die
andere Burghälfte von Markward von Krobsberg und den
Brüdern von Erligheim (alles Verwandte der Wersauer
Schenken) gekauft hatte. Als Zubehör zur Burganlage wurden
auch die Dörfer Reilingen und Hockenheim wieder genannt.
Obwohl sie als Lehen des Bistums Speyer galt, diente die
Herrschaft Wersau den Pfalzgrafen immer wieder als
Pfandobjekt und wurde zur Verschreibung als Witwengut
genutzt. Die Pfandnehmer wechselten meist sehr rasch und
aus einem Wittumsbrief (Witwenbrief) ist 1386 zu lesen,
daß die Schwetzinger Hardt von der Herrschaft Wersau
abgetrennt wurde. Unter anderem gehörte der Besitz auch
Königin Elisabeth, der Gemahlin Rupprechts III., als
Witwengut (eine Art Alters und Lebensversicherung zur
damaligen Zeit).
In der pfälzischen Landesteilung kam die Burg mit all
ihrem Besitz an die Linie PfalzMosbach der Wittelsbacher.
Herzog Otto verschrieb Wersau 1429 seiner Gemahlin Johanna
von Bayern, die die Burg und die Dörfer später Stephan von
PfalzSimmernZweibrücken verpfändete. Erst nach der
Schlacht von Seckenheim kam die Herrschaft Wersau
endgültig in den Besitz der immer mächtiger werdenden
pfälzischen Kurfürsten.
Nach wechselvoller Geschichte standen am Ende des
30jährigen Krieges von Wersau nur noch einige Mauern,
Kellergewölbe, Stallungen und ein baufälliger Turm mit
alten Glocken. Die Ruine wurde nochmals notdürftig
instandgesetzt und diente über längere Zeit hinweg den
Kurfürsten als Jagdschloß. Vor allem im Herbst herrschte
auf und um Wersau ein buntes Treiben, denn die
kurfürstlichen Hirschjagden galten als gesellschaftliches
Ereignis. Während die männlichen Einwohner Reilingens und
Hockenheims als Treiber zum Dienst verpflichtet waren,
mußten die Frauen der Dörfer bis zu 600 Mahlzeiten für die
Jagdgesellschaften herrichten.
Das Schloß war, nimmt man einen Plan aus der Zeit um 1680
zu Hilfe, eine ovale Anlage, deren maroden Außenmauern
durch Strebepfeiler gestützt wurden. Im
PfälzischOrleanischen Erbfolgekrieg wurde das Schloß 1689
zerstört und auch die beim Schloß eingerichtete Mühle
brannte bis auf die Grundmauern ab. Die Gebäudereste ließ
man verfallen und 1764 erhielt Reilingen einen Teil des
Gemäuers als Steinbruch zurück. Aus diesen Steinen baute
man eine Friedhofsmauer. Mit dem pfälzischen Oberamt
Heidelberg wurde Reilingen 1802/03 durch das Kurfürstentum
Baden, dem späteren Großherzogtum, in Besitz genommen und
bereits 1803 dem beugebildeten Amt Schwetzingen zugeteilt.
Von der ganzen herrschaftlichen Anlage ist heute fast
nichts mehr zu sehen. Lediglich ein Gewölbekeller und ein
alter Tiefbrunnen erinnern an die Burg. Besonders spannend
ist es aber, einmal mit einem Flugzeug über die ehemalige
Burg Wersau zu fliegen. Je nach Stand der Sonne kann man
den früheren Verlauf der Burganlage erahnen, was auch
Fotos der Luftbildarchäologie bestätigen. Das Schloßgut
umfaßte 1686 eine bebaubare Fläche von 154 Morgen
Ackerland und 30 Morgen Wiesen in der Ketschau.
Erst im 18. Jahrhundert wurde für die Landwirtschaft und
Schäferei östlich vom Schloß der Wersauer Hof errichtet,
der zunächst unter kurpfälzischer Verwaltung stand. Später
wurde das Hofgut von Schwetzingen aus verwaltet und
lediglich ein herrschaftlicher Wiesenknecht war noch in
Reilingen eingesetzt. Nach der Auflösung des
Herrschaftsbesitzes war der Wersauer Hof zunächst in
bäuerlichem Eigentum. Um die Jahrhundertwende übernahmen
dann die Freiherren von Wamboldt das Hofgut, das
schließlich 1927 an die evangelische Pflege Schönau
verkauft wurde. In deren Besitz ist die barocke Hofanlage
noch heute.
Mit der wechselvollen Geschichte der Burganlage ist eng
die Entwicklung der Dörfer Reilingen und Hockenheim
verknüpft, aber auch das kulturhistorisch bedeutsame
Ereignis der Übergabe der päpstlichen Bulle auf der Burg
Wersau an den Kurfürsten, dem damit die Errichtung der
Universität Heidelberg genehmigt wurde. (og)

                                    

Die versunkenen Glocken von Wersau

Um die ehemalige Burg Wersau in Reilingen ranken sich
viele Geschichten und Ereignisse. Während die meisten
historisch belegbar sind, gehört die seit Generationen
überlieferte Geschichte von den „versunkenen
Schloßglocken“ in die Welt der Sagen und Märchen. Wenn man
die Erzählung aber genau nimmt, hätte sie durchaus so
passieren können …

Dem Schenken von Wersau, adeliger Gefolgsmann der
Pfalzgrafen und Herr über Reilingen und Hockenheim, war
nicht jeder Freier für seine schöne Tochter Edelgard
recht. Und so verschwieg sie ihrem Vater, daß sie
Heinrich, den Sohn des Reilinger Hufschmiedes,
liebgewonnen hatte. Dieser hatte in Heidelberg den Beruf
des Schmieds und Glockengießers erlernt und war nun wieder
nach Hause gekommen, um in der Schmiede des Vaters zu
arbeiten. Da der junge Bursche öfters als für ihn gut war
nach Wersau kam, wurde ihm schließlich der Zutritt zur
Burg verboten. Der Schenk aber gab seine Tochter zur
Erziehung in das Magdalenenkloster nach Speyer.

Für Heinrich war kein Weg zu weit oder der sie trennende
Rhein zu breit. So oft er konnte, half er dem Lußheimer
Fährenmeister bei der Arbeit, um als Lohn eine freie
Überfahrt zu bekommen. Die beiden Liebenden trafen sich
von da an, von den Speyerer Nonnen geduldet, im
Klostergarten. Als der mißtrauische Vater der Tochter den
beiden auf die Schliche kam und überraschend im Garten
auftauchte, konnten die Nonnen gerade noch verhindern, daß
der junge Hufschmied entdeckt wurde.
Der Ritter deutete auf einen wilden Obstbaum und sprach
spöttisch zu Edelgard: „Ich will Dir gern den Burschen zum
Manne geben, wenn dieser Busch Edelobst trägt“.

Das Jahr ging ins Land, dem Frühling und Sommer folgte
wieder ein Herbst. Und siehe, da trug der kleine Baum
herrliche Birnen von der besten Sorte. Der Schenk von
Wersau konnte nun nicht mehr zurück, denn er wollte vor
den Nonnen, die vor Jahresfrist sein Versprechen gehört
hatten, nicht als Lügner dastehen. So stimmte er
schließlich der Hochzeit von Edelgard und Heinrich zu.

Viele Jahre zogen ins Land, Kriege brachten Tod und
Verwüstung. Auch die Burg Wersau wurde zerstört und nicht
mehr aufgebaut. Längst lebten dort nicht mehr die Schenken
von Wersau, sondern ein kurfürstlicher Müller sorgte
dafür, daß die Vorratskammern in der Schwetzinger
Sommerresidenz mit Mehl stets gut gefüllt waren. Die
Burgruine bot ein trauriges Bild und immer wieder nutzte
man sie als Steinbruch.

Nur der alte Friedrich, der im nahen Reilingen eine
Schmiede betrieb, machte allabendlich seinen Gang hinaus
zum zerfallenen Gemäuer. Der Alte wußte, daß die Glocken,
die dereinst sein Vorfahre Heinrich als Dank für seine
gesunden Kinder für den Turm von Wersau gegossenen hatte,
im Burgbrunnen versenkt lagen.

Eines Abends aber erschrak er fürchterlich, denn er hörte
die Glocken aus der Tiefe heraufklingen. Schöner, wie er
vorher nie ein Glockengeläut vernommen hatte. Verzaubert
lauschte der dem hellen Klang und ging erst wieder nach
Hause, als das Geläut verklungen war. Keiner im Dorf
wollte ihm die Geschichte glauben, die er da erzählte.

Erst am anderen Tag, als ein Kurier die Nachricht vom
brennenden Speyer brachte, wußte Friedrich und das ganze
Dorf, was das Geläut der Glocken bedeutet hatte: Ein
letzter Gruß für eine sterbende Stadt. Und tatsächlich,
immer wenn große Brände oder Kriegseinwirkungen die Gegend
heimsuchten, erinnerten sie so an das eigene Schicksal und
man vernahm das Läuten der Glocken aus den Tiefen des
Brunnens.

Längst ist von der Burg Wersau nichts mehr zu sehen und
auch die Schmiede und Glockengießerei gibt es nicht mehr
in Reilingen. Im Keller des über der Ruine erbauten Hauses
aber ist noch heute ein schmaler Spalt unter Bodenplatten
zu finden, der den Blick freigibt auf ein altes
Brunnengewölbe. An einem Dienstag im September 1991, es
war gerade zur nachmittäglichen Kaffeestunde, tönte
plötzlich der Klang von Glocken durchs Haus. Keiner konnte
sich dieses Phänomen erklären.

Nur die versunkenen Glocken von Wersau kannten den Grund
ihres Läutens: Es war der 17. September und im Dorf
brannte die Mannherz-Halle . . . (og)